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Waffenembargos der Vereinten Nationen um- und durchsetzen

Lehren aus verschiedenen Konfliktkontexten

SWP-Aktuell 2020/A 32, 06.05.2020, 4 Pages

doi:10.18449/2020A32

Research Areas

Die Berliner Libyen-Konferenz vom Januar 2020 sollte die Friedensbemühungen der Vereinten Nationen (VN) in dem eskalierenden Konflikt unterstützen. Unter den Beschlüssen erzeugte das Bekenntnis der teilnehmenden Staaten zum bestehen­den VN-Waffenembar­go besondere Aufmerksamkeit. Da dieses schon kurz nach der Konferenz wieder gebrochen wurde, geriet der Ansatz schnell in die Kritik. Tatsächlich gibt es bei Um- und Durchsetzung solcher Embargos der VN etliche Herausforderungen, die im Falle Libyens besonders ausgeprägt sind. Ein genauer Blick auf alle bestehenden VN-Waffen­embargos in Konflikt­kontexten zeigt aber auch Ansatzpunkte auf, wie diese am häufigsten verhängte Form von VN-Sanktionen besser genutzt werden kann. Gewiss wird kein noch so gut überwachtes Waffenembargo allein einen Friedens­prozess retten. Als Teil eines Gesamtpakets von Maßnahmen zur Kon­flikt­lösung kann das Instrument aber wirkungsvoller eingesetzt werden.

Die amtierende Leiterin der VN-Unter­stüt­zungsmission (UN­SMIL) in Libyen, Stephanie Williams, beklagte im Februar, das VN-Waffen­embargo gegen Liby­en sei »zu einem Witz geworden«. Tatsächlich hatte UNSMIL kurz zuvor Flüge im Westen und Osten Libyens registriert, die Waffen, ge­panzerte Fahr­zeuge und Kämpfer ins Land brachten. Solche Verstöße seitens verschie­dener Ak­teure sind seit langem bekannt. Hier aber folgten sie sehr rasch auf die von Deutschland initiierte Konfe­renz von Berlin, ob­wohl sich die 12 teilnehmenden Staaten dort noch einmal verpflichtet hatten, das bestehende Waffenembargo zu respek­tie­ren und um­zu­setzen. Das befeuerte die ohne­hin wiederkehrende Kritik an VN-Sanktionen. Ohne Zweifel unterminieren die wieder­holten und kaum kaschierten Verstöße die Glaub­würdigkeit des Embargos – und nebenbei auch die­jenige der verant­wort­lichen Staaten. Doch Schlussfolgerungen aus dem Fall Libyen lassen sich nicht ein­fach auf andere Situationen über­tragen, zumal Waffen­embargos die am häufigsten vom VN-Sicher­heitsrat verhängte Art von Sanktionen sind. Neun der zehn aktuellen Sanktionsregime zur Konflikteindämmung oder -lösung enthalten Waffenembargos (Soma­lia, Irak, Demokratische Republik Kongo, Sudan, Libyen, Taliban, Zentralafrikanische Repu­blik, Jemen, Süd­sudan). Ein Grund dafür mag sein, dass es nahe liegt, den Zugang der Konflikt­parteien zu Rüstungs­gütern ein­zuschränken. Zudem haben Waffenembargos kaum negative humani­täre Auswirkungen, sind aber wie andere Sanktionen des VN-Sicherheitsrats für alle Mitgliedstaaten bindend. Wohl deshalb wurde das VN-Waffenembargo zeit­weise zum Dreh- und Angelpunkt der Debatte über die Berliner Beschlüsse, obwohl sie viele andere Punkte zur Konfliktlösung in Libyen enthielten. Verantwortlich für die man­gelnde Um- und Durchsetzung von Embar­gos wie im Falle Libyens sind zwar letzt­lich Mit­gliedstaaten. Doch es gibt Handlungsmöglichkeiten auf VN-Ebene.

Als Haupthindernis gelten hier meist fest­gefahrene Positio­nen im Sicherheitsrat, vor allem unter den ständigen Mitgliedern. Ein genauerer Blick auf alle laufenden VN-Waffen­embar­gos in Konfliktkontexten zeigt jedoch ein differenziertes Bild – mit Ansatzpunkten in drei Berei­chen.

Embargos an dynamische Konfliktlagen anpassen

Waffenembargos beinhalten das Verbot der Lieferung oder Weitergabe von Waffen und anderem Wehrmaterial in ein bestimmtes Gebiet oder an bestimmte Akteure. Viele Embargos bestehen über lange Zeit, im Falle Somalias schon seit 1992. Sie ziehen direkte Verpflichtungen für die Mit­gliedstaaten nach sich – anders etwa als Reise­verbote, die zunächst individuell aus­gesprochen werden müssen. Damit Ziele und Reichweite von Waffenembargos mit dynami­schen Konfliktlagen Schritt halten, müssen sie auch angepasst werden. Andernfalls dro­hen sie zur reinen Symbolpolitik zu werden.

Grundsätzlich sind Waffenembargos um­fassender und präziser gewor­den. In Libyen etwa verwenden viele Konfliktpartei­en heute andere mili­tärische Mittel als 2011 und setzen vermehrt ausländische Kämpfer ein. Darauf sind Waffenembargos der VN mittlerweile eingestellt.

Während das Embargo für den Irak von 2003 recht knapp den Verkauf oder die Lie­ferung von Waffen und sonstigem Wehr­material verbietet, beziehen alle weiteren laufenden Verbote in Konfliktkontexten auch tech­ni­sche Beratung, finanzielle Hilfe und Ausbil­dung im Zusammenhang mit mili­tärischen Aktivitäten ein. Das Waffenembargo für Libyen – ebenso wie die Em­bargos für den Südsudan und die Zentral­afrikanische Repu­blik – untersagt explizit auch die Bereitstellung bewaffneter Söldner.

Auch bei einzelnen VN-Waffenembargos nimmt der Sicherheitsrat Veränderungen vor, die substantiell und durchaus am Kon­flikt­geschehen im Zielgebiet orientiert sind. Hilfreich dafür sind inzwischen übliche Befristungen von Sanktionen. Sie erfordern eine regelmäßige Verlängerung und damit Befassung mit der Lage.

Es gibt festgefahrene Fälle wie das Waffenembargo gegen Sudan/Darfur. Dieses konnte leicht verschärft, aber nie auf das gesamte sudanesische Territorium ausgewei­tet wer­den, vor allem weil China sich da­gegen sperrte. So war das Embargo kaum zu kon­trollieren und blieb fast wir­kungslos. Das ist aber nicht der Normalfall. Selbst nach der Kontroverse über die west­liche Intervention in Libyen wurden im Sicherheitsrat noch relevante Beschlüsse zu dem nicht befristeten Waffenembargo ge­fasst. Dazu zählten Lockerungen 2011 und 2013 ebenso wie 2014 eine erneute Ver­schärfung nach dem Wie­der­ausbruch von Gewalt.

Die meisten Änderungen durch den Sicherheitsrat differenzieren die Em­bargos weiter aus, vor allem durch Ausnahmen. Diese finden sich heute in allen Regimen, abgesehen von dem Waffen­embar­go gegen die Taliban. Sonderregelungen sollen zum Bei­spiel Liefe­rungen nichtletalen Geräts für humanitäre Zwecke oder die Ausstat­tung von Friedens­operationen er­möglichen, aber auch dem Kapazitätsaufbau nationaler Sicherheitskräfte dienen. In fast allen Fällen besteht diese Möglichkeit, nationale Sicher­heits­kräfte zu unterstützen und auszubilden, die ansonsten unter das Embargo fallen wür­de. In der Demo­krati­schen Republik Kongo gilt das Waffen­embargo seit 2008 nur noch für nichtstaat­liche Akteure.

Solche Lockerungen begründet der Sicher­heitsrat oft damit, dass in dem betreffenden Staat eine zivile Übergangsregierung ein­gesetzt wurde oder weitgehend freie Wah­len statt­fanden. Anpassungen beziehen sich also auf Ereig­nisse und Veränderungen vor Ort, doch diese werden vom Sicherheitsrat inter­pretiert. Fehl­einschätzungen hierbei können bewirken, dass sich das Embargo nicht mehr wirkungsvoll um­setzen lässt.

Selbst wenn Änderungen rechtzeitig und der Konfliktlage angemessen er­folgen, sind sie nicht leicht umzusetzen und zu kontrol­lieren. Mitunter erzeugen Ausnahmeregelungen neue Schlupflöcher. Auch können die Bedingungen für Ausnahmen kompliziert sein, so die übliche Meldepflicht oder Genehmi­gung durch den jeweiligen Sank­tionsausschuss. Da­mit Waffenembargos greifen können wie beabsichtigt, müssen Änderungen und ihre Ziele klar formuliert und an die Mitgliedstaaten, gerade in der betroffenen Region, kommuniziert werden.

Mechanismen im VN-Sanktionssystem nutzen

Nicht alle VN-Mitgliedstaaten verfügen über ein ausgefeiltes System der Ausfuhr- und Transitkontrolle. Neben der Umsetzung von VN-Sanktionen in natio­nales Recht und der Einbeziehung des Pri­vatsektors ist dies aber eine wichtige Voraussetzung für wirksame Sanktionsregime. Zudem sind Straf­verfol­gung und Justiz vieler Staaten kaum im­stande, Verstöße angemessen zu ahnden.

Deshalb kommt es darauf an, solche Kapazitäten in Mitgliedstaaten zu stärken. Bei Sanktionen zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung und zur Nichtverbrei­tung von Massenvernichtungswaffen geschieht das bereits recht umfangreich, doch wenn es um Regime zur Konfliktlösung geht, sind deutlich mehr Be­mühungen nötig. Dabei können immer noch viele Ansatzpunkte aus den Ergebnissen des Bonn-Berlin-Pro­zesses genutzt werden, den Deutschland 1999 an­ge­sto­ßen hatte, um die nationale Umsetzung von VN-Waffenembargos zu unter­stützen.

Doch die Grenze zwischen mangelnden Fähigkeiten und bewusster Umgehung und Verletzung von Waffen­embargos ist flie­ßend. So haben sich auch Mechanismen für eine bessere Um- und Durchsetzung von Sanktionen im VN-System etabliert. Zunächst bestehen Waffenembargos nicht mehr als alleinige Sanktion, da dies weit­gehend wirkungslos war. Inzwischen wer­den sie zusammen mit Ausfuhrverboten für Güter oder dem Einfrieren von Ver­mögens­werten erlassen, die zur Finanzierung von Waffenbeschaffung relevant sind.

In Libyen etwa ist die unerlaubte Ausfuhr von Rohöl und Erdölprodukten Teil des Sanktionsregimes. Doch wenn Drittstaaten Konfliktparteien direkt militärisch unter­stützen, sind diese weniger auf solche Finan­zierungsquellen angewiesen. Die teilweise offenen Eingriffe Ruan­das und Ugandas in der Demo­kratischen Republik Kongo führ­ten daher zu einem Beschluss des Sicherheitsrats über Flugverkehr- und Zoll­kon­trol­len an den Grenzen im Osten des Landes. Gegen Eritrea wurden 2009 Sekundärsanktionen verhängt, weil es Al-Shabaab in Somalia unterstützte. Solche Ansätze als Reak­tion auf Verstöße durch Staaten nutzt der Sicherheitsrat aber relativ selten, zumal wenn Eigeninteressen seiner ständigen Mitglieder berührt sind.

Ein anderer Weg führt über die Listung von Personen oder Entitäten, die an dem Bruch eines Embar­gos beteiligt sind. Fast alle der laufenden neun Sanktions­regime sehen die Möglichkeit vor, Verstöße gegen das Waffenembargo mit Reiseverboten oder dem Einfrieren von Vermögenswerten zu ahnden. Doch finden sich kaum Personen oder Unternehmen wegen solcher Ver­stöße auf den Sanktionslisten – bisher drei zu Soma­lia, eine zum Sudan und vier zu den Taliban. Nur im Falle der Demo­kratischen Republik Kongo ist eine größere Zahl mit dieser Begründung gelistet, auch deshalb, weil bis Ende 2005 die Verletzung des Waffenembargos ein­ziges Kriterium für eine Listung war. Heute gibt es die Tendenz zu immer mehr und ausdifferenzierteren Listungs­kri­terien. Wichtig wäre aber auch, die beste­hen­­den Kriterien in den VN-Sank­tions­syste­men zu nutzen, wenn Ver­stöße auftreten.

Verstöße feststellen – und ahnden

Listungen von Personen und Entitäten nimmt in der Regel ein Sanktionsausschuss vor, den der Sicher­heitsrat eingesetzt hat. Dass Verstöße zu selten Konsequenzen haben, liegt aber nicht einfach daran, dass der Ausschuss aus den 15 Mitglied­staaten des Sicherheitsrats besteht. Denn im Aus­schuss gilt das Konsens­prinzip, so dass jeder Staat Be­schlüsse ver­hindern kann. Bei den einzel­nen, an den Ausschuss delegierten Entscheidungen zur laufenden Umsetzung spielen außer­dem konsistente Regeln eine größere Rolle als im Sicher­heits­rat, wo oft Paketlösungen ausgehandelt werden. So haben nicht­ständige Mitglieder über die Aus­schüsse mehr Einflussmöglichkeiten. Aller­dings benötigen sie eine sehr gute Infor­ma­tionsgrundlage, um Vor­schläge einzubringen. Daher ist es wichtig, dass fast alle Aus­schüsse mittlerweile von VN-Exper­ten­panels unterstützt werden, die mit eigenen Unter­suchungen die Umsetzung der Sank­tionen über­wachen und auch Waffenexperten umfassen. Wenn die Panels Verstöße auf­decken, kann dies selbst ohne Listung Wirkung entfalten, etwa wenn nationale Behör­den die Informationen aus den Berich­ten nut­zen. Freilich kann es schwierig sein, Ver­stöße gegen Waffenembargos zweifelsfrei nachzuweisen, zumal in den Konfliktgebieten oft bereits viele Waffen zirku­lieren. Zudem stehen die Experten­panels aufgrund finanzieller Beschränkungen und politischer Einflussnahme immer wieder unter Druck.

Daher sind weitere Ansätze der Über­wachung relevant, etwa durch inter­natio­na­le Zollkooperation. Diesen Weg ist die Euro­päische Union in den 1990er Jahren gegan­gen, um die Überwachung der Sank­tionen gegen das ehemalige Jugo­slawien zu ver­bessern. In »Sanction Assistance Missions« wurden Zollexperten an die Gren­zen der Nachbarstaaten von Serbien und Monte­negro ent­sandt und waren über ein Kommu­nikations­zentrum in Brüssel mit dem VN-Sanktionsaus­schuss verbunden. Das lässt sich so nicht einfach wiederholen, zumal die Koopera­tion der Nachbarstaaten unver­zichtbar ist. Doch das Beispiel zeigt, dass die Frage der Machbarkeit eine politi­sche ist, nicht vor­rangig eine der Kapazitäten.

Etwas anders verhält es sich bei den VN-Friedensmissionen, die teilweise ein Mandat zur Überwachung von Waffen­embargos im Einsatzgebiet haben, so in der Zentral­afrikanischen Republik und der Demokra­tischen Republik Kongo. Systematische Kontrollen sind bei schrumpfenden Mitteln schwierig und haben keine Priorität. Auch werden Sanktionen in VN-Missionen häufig skep­tisch beurteilt. Hier ist neben mehr Ressourcen eine bessere Abstimmung von VN-Maßnahmen nötig, die letztlich auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet sind.

Wo die Kontrolle von Seewegen einen Ansatzpunkt bietet, autorisiert der Sicher­heitsrat auch Operationen von Staaten und Regionalorganisationen, so bei den Embar­gos zu Somalia und Libyen. Die Anfang April mandatierte EU-Opera­tion Irini etwa soll das VN-Waffenembargo auf hoher See vor der Küste Libyens mit Schiffen, Flug­zeugen und per Satellit über­wachen. Oft konzentriert sich die Debatte auf die Be­schlag­nahmung von Waffen auf See. Doch der Gewinn an belastbaren Informationen durch Irini dürfte weitaus wichtiger sein, inklusive der Erhe­bung von Beweis­mitteln, was auch im deutschen Mandatsentwurf aufgeführt ist. Inso­fern ist eine deutsche Beteiligung sinnvoll. Wesent­lich ist, dass Erkenntnisse im Sinne einer Kon­fliktlösung über das VN-Sanktions­system und in diplo­matischen Prozessen genutzt werden. Dafür kann sich Deutschland mit dem Vorsitz im Sanktions­aus­schuss zu Liby­en ein­setzen. Mit Blick auf andere Kontexte wäre es wünschens­wert, wenn die Bundesregierung sich auch über den Sitz im Sicher­heitsrat hinaus für die bessere Um- und Durch­set­zung von VN-Waffenembargos als Teil einer umfassenden Konfliktlösung enga­gierte.

Dr. Judith Vorrath ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2020

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