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Staatlich-private Kooperationen für nachhaltige Rohstofflieferketten

Chancen und Risiken am Beispiel des südafrikanischen Bergbausektors

SWP-Aktuell 2021/A 84, 22.12.2021, 8 Pages

doi:10.18449/2021A84

Research Areas

Die Förderung von staatlich-privaten Kooperationen in rohstoffreichen Ländern im Globalen Süden kann eine flankierende Maßnahme sein, um die Wirkung von Liefer­kettengesetzen zu unterstützen. Der Fall der Corona-Bekämpfung im südafrikanischen Bergbausektor zeigt, dass die enge Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Staat und privaten Organisationen unter bestimmten Voraussetzungen dazu dienen kann, die Nachhaltigkeit transnationaler Lieferketten zu erhöhen. Dennoch bergen diese Kooperationen das Risiko negativer Kaskadeneffekte, wenn staatliche Kern­aufgaben an Unternehmen delegiert werden. Die Bundesregierung sollte daher auch das staatlich-regulatorische Umfeld im Bergbausektor und insbesondere die Qualität der Umsetzung von Gesetzen in den Partnerländern mit in den Blick nehmen und Maßnahmen auf den Weg bringen, die dazu beitragen können, soziale und ökologische Rechte zu stärken.

Mit der Verabschiedung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes hat Deutschland neue Wege hin zu einer verbindlichen Regulierung von Lieferketten beschritten. Es folgt damit Ländern wie Frankreich und den Niederlanden, die bereits verbindliche Regulierungen umsetzen. Mit Inkraft­treten des deutschen Gesetzes zu Beginn des Jah­res 2023 steigen die Anforderungen an aktuell etwa 600 Unternehmen. Sie müssen sicherstellen, dass es in ihrem unmittel­baren Geschäftsbereich und bei ihren direk­ten Zulieferern nicht zu Ver­letzungen von Menschenrechten und spe­zifischen Umwelt­standards kommt.

Nachhaltigkeit durch öffentlich-private Allianzen

Deutschland ist als exportorientierte Öko­nomie besonders abhängig von Rohstoff­importen. Die digitale Transformation und die Energiewende werden den Rohstoff­bedarf vor­aussichtlich weiter erhöhen. Dabei ist die nachhaltige Gestaltung von Rohstofflieferketten eine große Herausforderung. Denn diese sind aufgrund der Viel­zahl von Verarbeitungsschritten, die mit­unter in unterschiedlichen Län­dern statt­finden, besonders komplex. Gleichzeitig ist die Steuerungsfähigkeit der deutschen Poli­tik im Hinblick auf transnationale Rohstoff­lieferketten begrenzt, da die Bundesregierung nicht unmittelbar auf die Setzung von Standards und auf deren Um- und Durchsetzung vor Ort einwirken kann. Auch ver­fügt Deutschland im Gegensatz zu anderen Staaten nicht über große Bergbauunterneh­men, die den Abbau vor Ort mitgestalten und auf diese Weise zu »sauberen« Liefer­ketten beitragen könnten.

Der industrielle Abbau von Rohstoffen geht mit gravierend negativen ökologischen und sozialen Begleiterscheinungen einher und führt in vielen Ländern der Welt zu massiven Konflikten. Eine stärkere Um- und Durchsetzung von Nachhaltigkeitszielen ist in diesem Sektor daher unabdingbar. Die Reichweite von Lieferkettengesetzen ist be­grenzt. Rechtliche Regelungen in rohstoffimportierenden Ländern können die viel­schichtigen Herausforderungen ent­lang von Rohstofflieferketten nicht lösen. Des­wegen stellt sich die Frage, wie die Bun­desregie­rung – und auch die EU, sollte sie sich zu einem verbindlichen europäischen Liefer­kettengesetz durchringen – durch flankie­rende Maßnahmen die Umsetzung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards in Rohstofflieferketten erhöhen könnten.

Bedarf dafür besteht besonders in großen industriellen Projekten des Rohstoffabbaus, bei denen es – aufgrund von unterschied­lichen Interessen – häufig zu Konflikten zwischen Staat, Unternehmen, Gewerkschaf­ten und betroffenen Gemeinden kommt. Multi-Stakeholder-Ansätze, die als Ziel auch in den Sustainable Development Goals (SDGs) verankert sind, bieten sich hier an, denn diese Formate beziehen verschiedene Akteure und ihre Interessen mit ein und sind auch bereits in unterschiedlicher Form in roh­stoffreichen Ländern etabliert. Damit erhöhen sich die Legitimität der von diesen Gruppen getroffenen Entscheidungen und die Wahrscheinlichkeit, dass die gemeinschaftlich beschlossenen Standards durch­gesetzt werden. Derartige Modelle, die auf einer Kooperation zwischen der jewei­ligen Regierung und privaten Akteuren (profitorientierten Fir­men und nicht-profitorien­tierten privaten Orga­nisationen) beruhen zu dem Zweck, gesellschaftliche Ziele zu erfüllen, bezeichnet man als Public Private Partnerships (PPP).

Die Bundesregierung kann solche PPPs im Rahmen der bilateralen (entwicklungspolitischen) Zusammen­arbeit anstoßen bzw. fördern. Auf diese Weise kann sie die Partnerländer bei der Um­setzung von Nachhaltig­keitsstandards unterstützen und somit indirekt auf die Governance vor Ort einwirken.

Sozialer Sprengstoff im Bergbau

Die Einbeziehung von Bergbaufirmen in die Impfkampagne in Südafrika gilt als jüngstes Beispiel für eine erfolgreiche staatlich-pri­va­te Allianz. Es illustriert gleichzeitig, wie Nachhaltigkeit in einem Land gestaltet wer­den kann, in dem es häufig zu Konflikten im Rohstoffsektor kommt.

Für die südafrikanische Wirtschaft spielt die Rohstoffindustrie eine zentrale Rolle: Mit über 450.000 Beschäftigten zählt sie zu den größ­ten Arbeitgebern des Landes und hatte im Jahr 2020 einen Anteil von 8,2 Pro­zent am Bruttoinlandsprodukt.

Die südafrikanische Bergbaugesetzgebung hat hohe soziale und Umweltstandards etabliert, hinzu kommen freiwillige Selbst­verpflichtungen von Unternehmen. Die Regulierung des Bergbaus in Südafrika ist somit anschlussfähig an die regulatorischen Rahmenbedingungen der europäischen Lieferkettengesetze.

Dennoch kommt es in Südafrika immer wieder zu massiven Konflikten um den in­dustriellen Bergbau. Ein besonders dramati­sches Beispiel, das internationale Aufmerk­samkeit erfahren hat, war das Massaker von Marikana im Jahr 2012, bei dem die süd­afrikanische Polizei 34 Minen­arbeiter bei einem »wilden Streik« erschoss. Gegenstand des Konflikts waren die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen in den Siedlungen rund um die Platin-Mine Marikana in der Ge­meinde Rustenburg, die von der briti­schen Firma Lonmin betrieben wurde. Auch deut­sche Unternehmen waren als Hauptabneh­mer von Lonmin in die Lieferkette involviert.

Der Gewaltexzess von Marikana mag ein Einzelfall sein, aber er ist nur ein besonders krasser Ausdruck für einen Dauerkonflikt. Ein umfassender Bericht von Human Rights Watch aus dem Jahr 2019 beschreibt die Stim­mung in vielen Bergbaugemeinden Südafrikas als ein »Klima der Angst«, in dem Menschen, die Bergbauvorhaben kritisieren, bedroht wer­den, um ihr Leben fürchten und dabei auch unter staatlichen Repres­sionen leiden.

Das zeigt, dass zwischen regulatorischem Anspruch und der Wirklichkeit im südafrika­nischen Bergbausektor eine mas­sive Lücke klafft, zumal die Erwartungen hin­sichtlich der Entwicklungspotentiale, etwa die Schaffung von Arbeitsplätzen oder die Verbesserung der Infrastruktur, in den be­troffenen Gemeinden hoch sind. Umso bedeutsamer ist es, die Bedingungen für erfolgreiche Allianzen zwischen dem Staat, den Unternehmen und nicht-profitorien­tier­ten Organisationen in den Blick zu nehmen.

Covid-19-Bekämpfung im südafrikanischen Bergbausektor

Bereits zu Beginn der Gesundheitskrise, die die weltweite Verbreitung des Coronavirus ausgelöst hat, forderte die südafrikanische Regierung private Unternehmen dazu auf, bei der Bekämpfung der Pandemie und der Bewältigung der mit ihr verbundenen wirt­schaftlichen und sozialen Folgen mitzuhelfen. Auch der südafrikanische Covid-19-Wiederaufbauplan aus dem Oktober 2020 setzt auf eine Stärkung von Public Private Partnerships. Bei der Pandemiebekämpfung waren diese staatlich-privaten Allian­zen erfolgreich: Die Impfquote im Bergbau­sektor ist fast doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt.

Kooperation zur Minimierung von Covid-19-Risiken im Bergbau

Noch während des strikten Lockdowns in Südafrika beschloss die Regierung im April 2020 die Wieder­aufnahme des Bergbau­betriebs mit halber Produktionskapazität. Dafür mussten allerdings umfassende Maß­nahmen zur Bekämpfung der Pandemie ergriffen werden. Die Arbeit in den meist engen und schlecht durchlüfteten Minen, und die Schwierigkeit, dort Abstandsregeln einzuhalten, sowie die weite Verbreitung von Vorerkrankungen unter der Belegschaft erhöhten das Risiko für Infektionen und schwere Krankheitsverläufe. Eine überdurch­schnittliche arbeitsbedingte Mobilität und prekäre Lebensbedingungen, insbesondere in den zahlreichen informellen, mit un­zureichender Infrastruktur ausgestatteten Bergbausiedlungen, erschwerten die Pan­demie­bekämpfung zusätzlich.

Vor diesem Hintergrund fanden seit Be­ginn der Pandemie intensive Verhandlungen zwischen dem Bergbauministerium, Unternehmen und Gewerkschaften statt. Das Ministerium reagierte zügig mit dem Erlass zunächst freiwilliger, später verbind­licher Arbeitsschutzrichtlinien für die Förder­unternehmen und kündigte Stich­kontrollen an, um deren Umsetzung zu überwachen. Der Minerals Council of South Africa (MCSA) – der bedeutendste Indus­trieverband und Repräsentant der größten Bergbaufirmen des Landes – kooperierte umfangreich und übernahm darüber hin­aus sogar die zentrale Rolle bei der Pan­demie­eindämmung innerhalb des Sektors. Der MCSA stimmte nicht nur den strikten Covid-Protokollen zu, sondern etablierte auch zahlreiche freiwillige Begleitmaßnah­men. Im Januar 2021 sagte der Verband öffentlich die Unterstützung der anlaufen­den nationalen Impfkampagne zu – und setzte sie im Bergbausektor erfolgreich um.

Die Rohstofffirmen haben hohe Test­kapazitäten aufgebaut und ein niedrig­schwelliges Impfangebot bereitgestellt. Im Bergbau wird doppelt so häufig getestet wie im Landesdurchschnitt. Die Industrie setzt dabei auf breite Auf­klärungskampagnen zu Covid und zur Impfung und schafft gezielte Impfanreize. Angestellte in Minen können sich in 75 Impfzentren, oft in direkter Nähe zu den Minen, immunisieren lassen. Nach An­gaben des MCSA waren Mitte Dezember knapp 71 Prozent der circa 450.000 Mit­arbeitenden im Sektor mindestens ein­mal geimpft, während die landesweite Impf­quote bei Erwachsenen bei 43 Prozent lag.

Voraussetzungen für die erfolgreiche Umsetzung der Impfkampagne

Eine Reihe von Faktoren hat die konstruk­tive Zusammenarbeit von Staat, Unter­nehmen und Gewerkschaften begünstigt:

Gemeinsames Interesse: Eine Hauptbedin­gung für die erfolgreiche öffentlich-private Kooperation zur Eindämmung von Corona war das gemeinsame Interesse aller drei Akteure, die Produktion im Bergbausektor aufrechtzuerhalten, nicht zuletzt in An­betracht der aktuell hohen Rohstoffpreise und der Aussicht auf maximale Gewinne. Trotz einiger pandemiebedingter Einschrän­kungen konnte die Versorgung der inter­nationalen Märkte auch tatsächlich gewähr­leistet werden Gemäß den Berechnungen der Südafrika-Niederlassung von Price Water­house Coopers (PWC) Südafrika war der südafrikanische Bergbau im Finanzjahr 2021 (Juli 2020  Juni 2021) sehr profitabel. So stie­gen die Einnahmen im Sektor gegen­über dem Finanzjahr 2019 um 33 Prozent auf etwa 793 Milliarden Rand (rund 44 Mrd. Euro). Sie bescherten dem angespannten Staatshaushalt schätzungsweise 229 Mil­liarden Rand, etwa 12 Milliarden Euro. Im Finanzjahr 2021 bekräftigen die Rohstoff­förderer wieder ihre Rolle als wichtiger Arbeitgeber des Landes: Etwa 2,3 Millionen Arbeit­nehmer waren direkt im Bergbau oder in den vor- und nachgelagerten Bran­chen beschäftigt.

Von der Freiwilligkeit zum Unternehmens­standard: Dass die Impfkampagne im Berg­bausektor so erfolgreich war, verdankt sich einem Gerüst aus beständigen Kooperations- und Aushandlungsprozessen. So diente der Mine Health and Safety Council – in dem Vertreter der Regierung, der Unternehmen und der Gewerkschaften sitzen – als wich­tiges Gremium zur Koordination der Pan­demiebekämpfung. Während die meisten Arbeitnehmervertreter im Council das Vor­gehen des Ministeriums und der Industrie weitgehend widerspruchslos unterstützten, wählte die regierungskritische Gewerkschaft Association of Mineworkers and Construction United (AMCU) einen anderen Weg. Über einen Gerichtsprozess im April 2020 erreichte sie die gesetzliche Anerkennung von Covid-19 als Angelegenheit des Arbeits­schutzes. Damit war das Bergbauministe­rium verpflichtet, für die Unternehmen im Rohstoffsektor verbindliche Richtlinien zum Gesundheitsschutz zu erlassen.

Gesundheits- und Arbeitsschutzrechte: Ein wei­terer zentraler Treiber der produktiven staatlich-privaten Zusammenarbeit bei der Pandemiebekämpfung waren die bereits etablierten rechtlichen Rahmenbedingungen. Mit dem »Mine Health and Safety Act« war 1996 nicht nur der erwähnte Coun­cil gegründet worden; das Gesetz hatte auch umfangreiche Gesundheits- und Arbeitsschutzstandards im Sektor verankert. So sind für Minenarbeiter jedes Jahr ärzt­liche Vorsorgeuntersuchungen vorgesehen, durch die Gesundheitsrisiken früh erkannt und bestehende Erkrankungen überwacht wer­den. Da die Corona-Prävention wie er­wähnt inzwischen auch als Arbeitsschutzmaßnah­me gilt, ist eine entsprechende Vorsorge gegen die Verbreitung von Covid-19 mittler­weile eng­maschig in den Arbeits­alltag in­tegriert.

Gesundheitsinfrastruktur: Um den Anforderungen des Arbeitsschutzes trotz der schlech­ten öffent­lichen Versorgung gerecht zu werden, haben die meisten Unternehmen eigene Gesundheitszentren aufgebaut und mit qualifiziertem Personal ausgestattet. Zudem profitiert der Sektor von seiner langjährigen Erfahrung im Kampf gegen Tuberkulose und HIV/AIDS. Diese private Gesundheitsinfrastruktur konnte während der Pandemie genutzt werden und An­gestellte im Bergbau waren somit nicht auf das schwache und stark fragmentierte Gesundheitssystem Süd­afrikas angewiesen. Im Rahmen der Sozial- und Beschäftigungs­pläne, die an die Vergabe der Bergbau­lizen­zen geknüpft sind, wurden bereits vor der Pandemie vielerorts Gesundheitseinrichtun­gen in Bergbaugemeinden verbessert oder neu errichtet. Auf diese konnte während der Pandemie zurückgegriffen werden.

Grenzen der Impfkampagne

Die Grenze der Impfkampagne beginnt vor dem Firmentor. Während der Großteil der Belegschaft inzwischen geimpft ist, sind viele Menschen in den Anrainergemeinden des Bergbaus weiterhin ungeschützt – und deren Unzufriedenheit wächst.

Die Interessen der Bergbaugemeinden werden weder von den südafrikanischen Gewerkschaften vertreten noch vom Minis­terium ausreichend berücksichtigt. Auch fehlt den Kom­munen ein eigenständiger Zugang zu eta­blierten Foren wie dem Mine Health and Safety Council. Zwar müssen Delegierte von Gemeinden nach dem Ge­richtsurteil vom April 2020 in Multi-Stake­holder-Konsultationen mit einbezogen wer­den. Die vom Bergbau betroffenen Gemein­den beklagen jedoch, dass diese weiterhin ohne sie statt­finden. Das wichtige Instrument der Gemeinden und ihrer Vertreterinnnen und Vertreter, durch Protest und Streik auf sich aufmerksam zu machen und so Einfluss zu nehmen, ist wegen der Pan­demie gegenwärtig nur eingeschränkt ein­setzbar.

Der MCSA hat zugesagt, die Impfkampa­gne auf die Bergbaugemeinden auszuweiten. Doch diese Ankündigung scheint bis­lang nicht umfassend umgesetzt worden zu sein. Zwar gibt es vereinzelt Presseberichte über Impfaktionen in Gemeinden, aber Zahlen, die Aussagen über Impferfolge im Umfeld der Minen zulassen würden, liegen nicht vor. Diese fehlende institutionelle Einbeziehung der Bergbaugemeinden, kom­biniert mit dem Frust über unzureichende materielle Teilhabe an den Profiten der Förderindustrie, erhöht das Konfliktpotential im Umfeld der Minen. Das Beispiel der Corona-Bekämpfung im Bergbau zeigt dabei erneut auf, dass das Engagement der Fir­men die mangelnde staatliche Sorgfaltspflicht nur sehr begrenzt ausgleichen kann.

Positive und negative Kaskadeneffekte

Das Beispiel der Impfkampagne im süd­afrikanischen Bergbausektor gilt mit Blick auf die Frage der konkreten Problembewältigung – der Notwendigkeit, die Verbreitung von Corona im Bergbausektor ein­zudämmen – als erfolgreich. Gleichzeitig verdeutlicht die Ana­lyse, dass sich aus dieser Form staatlich-privater Arrangements nicht nur positive, sondern auch negative Kaskadeneffekte ergeben. Die Übernahme der Verantwortung für staatliche Aufgaben durch Unternehmen geht mit einem still­schweigenden Rollentausch zwischen Staat und Unternehmen einher und kann in diesem Sinne nur bedingt als erfolgreiches Modell für staatlich-private Kooperationen angesehen werden. Aus diesem strukturellen Problem heraus lässt sich aber auch die generelle Konfliktanfälligkeit des südafrika­nischen Bergbaus erklären.

Sicherung der Produktionsabläufe

Krisen wie die gegenwärtige Covid-19-Pan­demie erhöhen für die Akteure innerhalb eines Wirtschaftszweigs – Staat, Firmen und Gewerkschaften – den Anreiz, durch ein gemein­sames Arrangement die Pro­duktionsfähigkeit »ihres« Sektors aufrechtzuerhalten. Der südafrikanische Staat pro­fi­tiert durch die Fortführung der Abbautätig­keit von den fiska­lischen Mehr­einnahmen und von der Sicherung dringend benötigter Arbeitsplätze und kann an seinem roh­stoff­basier­ten Entwicklungsmodell festhalten. Die Bergbau­firmen wiederum haben keine finanziellen Ausfälle durch Produktions­unterbrechungen. Die Gewerkschaften, die im korporatistisch angelegten Regierungssystem Südafrikas eine zentrale Stellung einnehmen, tragen ihren Teil zur Erhaltung der Arbeitsplätze bei und beziehen weiter­hin die damit verbundenen Mitgliedsbeiträge. Darüber hinaus sichern sie ihre poli­ti­sche Stellung, indem sie die Arbeitnehmer­interessen durchsetzen.

Staatliche Interessenkonflikte

Die starke Fokussierung des südafrikanischen Staats auf den reibungslosen Ablauf wirtschaftlicher Produktionszyklen spiegelt sich bereits in der Gesetzgebung des Landes wider. Diese zielt deutlich darauf ab, den Bergbau­firmen durch schlanke Verfahren und wenig Einspruchsmöglichkeiten durch ex­terne Akteure einen störungsfreien Geschäfts­betrieb zu ermöglichen. Für die Umsetzung des Bergbaugesetzes ist das Berg­bauministerium zuständig, dessen Außen­stellen An­träge auf Erteilung von Schürfrechten prü­fen, die wiederum vom Bergbauminister abgesegnet werden. Das Ministerium ge­neh­migt auch die Sozial- und Beschäfti­gungs­pläne und kontrolliert den Arbeits­schutz in den Minen. Seit 2014 ist es zudem für die Umsetzung der Umwelt­gesetze zuständig. Das Umweltministerium kann lediglich Ein­spruch erheben, wenn bei ihm Beschwerden gegen die Genehmigung von Schürfrechten eingehen.

Dadurch entsteht innerhalb des Bergbau­ministeriums ein Interessenkonflikt. Auf­gabe und oberste Priorität des Ministeriums ist es, den Bergbau in Südafrika zu fördern und neue Investitionen anzuziehen, um die staatlichen Einnahmen aus dem Sektor zu erhöhen. Die Durchsetzung umfassender Umweltstandards wird dabei eher als Hin­dernis wahrgenommen, dessentwegen sich Pro­zesse verzögern.

Die Defizite bei der Durchsetzung von Sozial- und Umweltstandards werden da­rüber hinaus durch den Umstand zemen­tiert, dass in allen Ministerien Kapazitäten und Ressourcen fehlen, um die Einhaltung von Standards gründlich zu kontrollieren. Dieser Sachverhalt wird durch Korruption inner­halb der Ministerien, insbesondere im Bergbauministerium, und in den Kommunen noch verschärft. Mögliche externe Ef­fekte der Bergbauaktivitäten, wie Wasser- oder Umweltverschmutzung, können aus diesem Grund nicht hinreichend überprüft werden. Die Umsetzung der gesetzlich ver­ankerten Standards hängt in Bergbauregionen somit zunehmend vom Willen der Fir­men ab, während der Staat durch die Aus­lagerung öffentlicher Auf­gaben an private Firmen wichtige Kompetenzen und Hand­lungsspielräume verliert.

Risiken für Firmen

Für die Bergbaufirmen mag die Übernahme öffentlicher Zuständigkeiten auf den ersten Blick attraktiv sein. Doch begeben sie sich damit in Tätigkeitsbereiche, die außer­halb ihres Kerngeschäfts – des Abbaus und der Verarbeitung von Rohstoffen – liegen. Die Förderung von Entwicklung auf lokaler Ebene erfordert viel Sensibilität und Exper­tise, die Bergbaufirmen sich mühsam und in der Regel nach der Versuch-und-Irrtum-Methode aneignen müssen. Das verursacht hohe Kosten für die Unternehmen, während die erhoffte Wirkung der beachtlichen Aus­gaben der Firmen für Investitionen in den vom Bergbau betroffenen Kommunen, so­genannte Corporate Social Investments, oft aus­bleibt. Auch dies erklärt, warum viele soziale Proteste am Werkstor beginnen und nicht vor den Türen der lokalen Gemeindeverwaltung.

Bergbauunternehmen in Südafrika ver­folgen bei der Umsetzung ihrer sozio-öko­nomischen Verpflichtungen einen Com­pliance-orientierten Ansatz, das heißt sie orientieren sich an der Einhaltung der gesetzlichen Min­destanforderungen. In vielen Fällen führt dies jedoch nicht dazu, dass die Bedürfnisse der betroffenen Ge­meinden in angemessener Weise erfüllt werden und sich die dortigen Lebensbedingungen spürbar verbessern.

Dieses Manko wird dadurch verstärkt, dass die Sozial- und Beschäftigungspläne von Firmen oft nicht mit den integrierten Entwicklungsplänen der Kommunen ab­gestimmt sind, in denen diese im Fünf­jahresturnus ihre Modernisierungsziele nieder­legen. Ein Abstimmungsprozess zwischen den beiden Dokumenten wäre notwendig, um zu verhindern, dass die Gemeinden bei der Ausarbeitung der Sozial- und Beschäftigungspläne umgangen bzw. ignoriert werden und dadurch Unzufrieden­heit entsteht. Die mangelnde Koordination befeuert geradezu unvermeidlich Strei­tig­keiten zwischen den Bergbaufirmen und den Kommunen über Zuständigkeiten, beispielsweise in der Frage der Unter- und Instandhaltung der von den Firmen finan­zierten Infrastruktur wie Straßen, Schulen oder Krankenhäuser.

Viele Bergbauunternehmen investieren schon alleine aus Gründen der Risikominde­rung freiwillig in Infrastruktur und öffent­liche Versorgung. Denn viele sehen mitt­ler­weile in der sogenannten »sozialen Betriebs­lizenz« (Social License to Operate) das größ­te Störpotential innerhalb der Lieferkette. Eine fehlende gesellschaftliche Akzeptanz für die Akti­vitäten von Bergbaufirmen führt in den vom Bergbau betroffenen Ge­meinden oft zu Konflikten, zu Streiks und Protesten und mit­unter zur Unterbrechung der Produktion – mit hohen Kosten für alle Firmen entlang der Lieferkette.

Jenseits des Werkstors: Folgen fehlender staatlicher Fürsorge

Die starken Gewerkschaften fungieren im südafrikanischen Fall als Korrektiv, dank dessen – bis zu einem bestimmten Punkt – zumindest fundamentale Arbeitnehmerrechte geschützt wer­den können. Dies ist sogar im Interesse der Betriebe, da durch die Einhaltung von Arbeitsstandards der Produktionszyklus auf­rechterhalten werden kann. Die Sicherung bestimmter Rechte und Privilegien für gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte birgt aber das Risiko, dass sich in den Bergbaukommunen eine Zwei-Klassen-Gesell­schaft herausbildet, da die Belegschaft am Arbeitsplatz von zusätz­lichen Leistungen profitiert, die anderen Mitgliedern der Gemeinde nicht unbedingt zur Verfügung stehen.

Zudem können Bergbaufirmen vom Gesetzgeber nur für die Betriebsdauer der Mine zur Erbringung von Leistungen im sozialen, Gesundheits- und Infrastruktur­bereich verpflichtet werden. Auch die frei­willige Bereitstellung von Leistungen erfolgt nur, solange eine Mine in Betrieb ist, um negative Auswirkungen auf die Geschäftsaktivität und dadurch entstehende Kosten abzuwenden. Wird eine Mine still­gelegt, verliert die lokale Bevölkerung den Zugang zu diesen Leistungen.

Lektionen für öffentlich-private Arrangements

Staatlich-private Kooperationen können als flankierende Maßnahme zum deutschen und geplanten europäischen Lieferkettengesetz durchaus positive Anreize setzen. Das Beispiel des südafrikanischen Bergbausektors verdeutlicht aber, dass das Instrument dann an seine Grenzen stößt und so­gar negative Anreize setzt, wenn Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet werden, zunehmend staatliche Aufgaben in den Bereichen Infrastruktur, lokale Entwicklung und Gesundheit zu erfüllen.

Eine Mitverantwortung der Firmen für die Einhaltung der Menschen- und Umwelt­rechte ist sowohl im deutschen Lieferketten­gesetz als auch in der südafrikanischen Gesetzgebung fest verankert. Dies darf aber nicht dazu führen, dass Unternehmen die auf staatlicher und kommunaler Ebene bestehenden Kapazitäts- und Ressourcen­engpässe in der öffentlichen Ver­waltung im Gegenzug für den Zugang zu lukrativen Schürfrechten ausgleichen. Das Risiko, das dies geschieht, ist in Ländern mit schwach aus­geprägten staatlichen Strukturen beson­ders hoch.

Die Bundesregierung sollte daher bei der Förderung von staatlich-privaten Kooperationen das politische und regulatorische Um­feld in den Blick nehmen und, wo nötig, im Rahmen der Entwicklungszusammen­arbeit Kapazitätsaufbau auf allen staat­lichen Ebenen betreiben, um so die Korrek­tivfunktion öffentlicher Institutionen zu stärken, deren Fokus bislang nicht nur im südafrikanischen Fall in der Regel auf der wirtschaftlichen Förderung des Rohstoff­sektors und weniger auf der Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards liegt.

Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf dem Monitoring von Nachhaltigkeitszielen liegen, die nicht im unternehmensnahen Bereich liegen oder im Fokus der gewerk­schaftlichen Interessenvertretung stehen. Hierzu gehören vor allem Umweltziele. Luft- und Wasserverschmutzung als Folgen des industriellen Abbaus von Roh­stoffen treten häufig erst mit zeitlicher Ver­zögerung auf und gelangen meist erst dann auf den Schirm staatlicher Institutionen, wenn sie bereits gesund­heitliche Schäden für Menschen mit sich bringen.

Um dem oben beschriebenen Risiko einer selektiven Interessenvertretung entgegen­zuwirken, ist es unabdingbar, die Interessen der Gemeinden zu fördern – entweder durch Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung oder durch die Unterstützung der Zivilgesellschaft. Darüber hinaus sollte sich die Entwicklungszusammenarbeit zu­gunsten unabhän­giger Insti­tutionen in den Partnerländern einsetzen. Hierzu gehören Menschenrechts­kommissionen oder un­abhängige Ombuds­stellen, die Beschwerden von Betroffenen aufgreifen und publik machen.

Im Hinblick auf Südafrika sind die Mög­lichkeiten der Einwirkung begrenzt. Das Land gehört zwar zu den acht »Glo­balen Partnern« Deutschlands im Reformkonzept BMZ 2030. Die Koopera­tion mit Südafrika konzentriert sich allerdings nicht auf den Rohstoffsektor. Daher hat Deutschland im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit nur bedingt Ansatzpunkte, um auf die staat­liche Governance in diesem Produk­tions­zweig einzuwirken, zumal die süd­afrika­nische Regierung bis­lang weiterhin auf ein extraktives Wirtschaftsmodell setzt, das durch hohe Roh­stoffpreise im Moment be­sonders attraktiv ist. Daher sollte er­wogen werden, bestehende und geplante Projekte der Gesellschaft für Internationale Zusam­menarbeit (GIZ) im Bereich Governance und Korrup­tionsbekämpfung auf den Rohstoff­sektor auszuweiten. Dabei sollte es das Ziel sein, die staatliche Aufsichtsfunktion in diesem Industriebereich auf nationaler und regio­naler Ebene zu stärken. Die Bundes­regierung sollte sich weiterhin mit Nach­druck dafür einsetzen, Süd­afrika zum Bei­tritt zur Extractive Industries Transparency Initia­tive (EITI) zu bewegen. Damit würden die Zahlungsströme im Rohstoffsektor, ins­besondere staatliche Ein­nahmen und deren Verwendung, sichtbar. Die Schaffung einer Multi-Stakeholder-Gruppe ist ein zentrales Element des EITI-Standards. Sie würde ge­währleisten, dass Akteure in Südafrika, die bisher nur unzureichend in bestehende Dia­logformate integriert sind, eine Stimme erhalten.

Darüber hinaus sollte sich die Bundes­regierung auf europäischer Ebene dafür ein­setzen, dass im geplanten Lieferkettengesetz der EU ein risikobasierter Ansatz ver­ankert und dementsprechend Regelungen fixiert werden, die auf die Minimierung von sozialen und Umweltrisiken und nicht (nur) auf die Erfüllung von gesetzlichen Mindest­standards abzielen. Dies ist eine Chance, bestehende Schwächen im deutschen Liefer­kettengesetz zu korrigieren.

Dr. Melanie Müller ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten und leitet das Projekt »Transnationale Governance-Ansätze für nachhaltige Rohstofflieferketten im Andenraum und im südlichen Afrika«. Dr. Christina Saulich arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Meike Schulze als Forschungsassistentin in diesem Projekt. Das Projekt wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2021

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