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Kampf um Kontrolle: Die VN-Waffenkonvention droht bei der Regulierung autonomer Waffen zu scheitern

Die internationalen Gespräche über die Regulierung autonomer Waffen drohen zu scheitern. Als glaubwürdiger Befürworter der Rüstungskontrolle sollte sich Deutschland nun für das Prinzip der menschlichen Kontrolle des Waffeneinsatzes einsetzen, meinen Anja Dahlmann und Marcel Dickow.

Kurz gesagt, 28.08.2019 Research Areas

Die internationalen Gespräche über die Regulierung autonomer Waffen drohen zu scheitern. Als glaubwürdiger Befürworter der Rüstungskontrolle sollte sich Deutschland nun für das Prinzip der menschlichen Kontrolle des Waffeneinsatzes einsetzen, meinen Anja Dahlmann und Marcel Dickow.

Letale autonome Waffensysteme (LAWS) werden Gefechte in Zukunft schneller machen. Weil denkbar ist, dass ihr Einsatz ohne die Kontrolle durch Menschen vonstattengeht, wollen viele Staaten diese Systeme verbieten, wenigstens aber regulieren. Ein schwieriges Unterfangen in Zeiten, in denen die Rüstungskontrolle allgemein in der Krise ist. Seit nunmehr sechs Jahren besprechen die 125 Vertragsstaaten der Waffenkonvention der Vereinten Nationen (CCW, Convention on Certain Conventional Weapons) die Potentiale und Risiken dieser Technologie. Doch ein Scheitern der Gespräche droht. Die Gruppe von Regierungsexperten (Group of Governmental Experts, GGE), die Verhandlungen vorbereitet, konnte sich bei ihrer Sitzung in der vergangenen Woche lediglich darauf einigen, die Gespräche für weitere zwei Jahre fortzuführen; Empfehlungen für ein konkretes Verhandlungsmandat wurden nicht verabschiedet. So erscheint es zunehmend unwahrscheinlich, dass es zu einer verbindlichen Regulierung von LAWS kommt, ein Wettrüsten der technologisch führenden Staaten könnte die Folge sein.

 

Neue Anforderungen an die Rüstungskontrolle

Bei der Entscheidung, welche Waffensysteme als autonom gelten und daher reguliert werden müssen, geht es nicht um die Gestalt der Waffe an sich, sondern um die Frage, welchen Einfluss der Mensch bei der Entscheidung ausübt, wie, wann, wo und gegen wen die Waffe eingesetzt wird. Im Prinzip kann jedes Kampfflugzeug, jeder Panzer oder jedes Kriegsschiff mit autonomen Funktionen ausgestattet werden und so eigenständig Ziele auswählen und bekämpfen. Da solche Systeme weder ethischen Prinzipien folgen noch Völkerrecht »verstehen«, muss Regulierung in erster Linie für menschliche Kontrolle sorgen. Experten sind sich prinzipiell einig, dass diese durch vier Komponenten sichergestellt werden sollte: Menschen müssen erstens den Einsatzkontext verstehen können und zweitens ausreichende Eingriffsmöglichkeiten haben. Beides muss, drittens, sowohl im Design des Waffensystems als auch, viertens, in den Einsatzregeln festgelegt sein. Diese Minimalanforderungen ergeben sich nicht nur aus ethischen und rechtlichen, sondern auch aus operativen Überlegungen, z.B. um den versehentlichen Beschuss eigener Truppen zu vermeiden. Dabei ist entscheidend, dass nicht einmalig, sondern der gesamte Prozess des Waffeneinsatzes vom Menschen kontrolliert wird. Eine Regulierung würde sich entsprechend auf das Verfahren bei der Ausübung militärischer Gewalt beziehen. Damit schlügen die Staaten in der CCW einen neuen Pfad in der Rüstungskontrolle ein, denn bisher stehen dort Anzahl, Fähigkeiten oder Effekte von Waffen im Mittelpunkt.

 

Mangel an politischem Willen

Noch hat dieser Richtungswechsel in der GGE nicht stattgefunden, obwohl viele Staaten das Prinzip der menschlichen Kontrolle als entscheidenden Verhandlungsgegenstand anerkennen. Insbesondere die USA lehnen es kategorisch ab, den Begriff in die offiziellen Berichte der GGE aufzunehmen; dank des Konsensprinzips haben sie damit Erfolg. Dabei sprechen sie in ihrer eigenen Militärdoktrin immerhin von menschlicher Involvierung, auch wenn es dort heißt, dass diese zwar Kontrolle beinhalten kann, aber nicht muss. Russland zweifelt gar an, dass Autonomie, also die Abwesenheit menschlicher Kontrolle, ein zentrales Element autonomer Waffensysteme sei. Diese Grundsatzfrage stellte es an einem Punkt der GGE-Gespräche, an dem das Gremium längst im Begriff war, über Details zu sprechen. Überzeugende Gründe dafür führte die russische Delegation nicht an. So darf bezweifelt werden, dass diese und andere Staaten den politischen Willen für Fortschritte bei einer Regulierung aufbringen. Zu groß ist das Interesse einiger Länder, LAWS zu entwickeln, künftig einzusetzen und deshalb die Gespräche zu verzögern bzw. zu sabotieren. Ein Ausweg könnte ein Wechsel des Gesprächsforums sein. Sofern sich allerdings die technologisch führenden Staaten nicht an einem solchen Prozess beteiligen, wäre sein Einfluss schwach – er kann darum nur eine Notlösung sein. Zudem sind die bestehenden Foren der Rüstungskontrolle seit Jahren blockiert, und es fehlt an einem Staat, der – ähnlich wie Kanada bei den Antipersonenminen – einen Verhandlungsprozess außerhalb der VN anstößt und mit seinem politischen Einfluss trägt. Diese Rolle könnte Deutschland als glaubwürdiger Befürworter der Rüstungskontrolle jetzt übernehmen.

 

Deutschlands ambivalente Rolle

Ob in der CCW oder in einem eigenen Forum: Eine klarere Haltung und ein entschiedeneres Auftreten Deutschlands würden einen Regulierungsprozess stärken. Immerhin fordert die Bundesregierung im Koalitionsvertrag eine Ächtung vollautonomer Waffensysteme (wobei dies nicht zwingend ein völkerrechtliches Verbot meint). Auch eine Konferenz des Auswärtigen Amtes unter dem Titel »Rethinking Arms Control« machte im März 2019 die Ambitionen Deutschlands deutlich. Doch es fehlt an einer überzeugenden Strategie nach innen und außen. Und so ist die Bundeswehr schon heute an der Planung und Entwicklung von Waffensystemen beteiligt, die erhebliche Fragen bezüglich der menschlichen Kontrolle aufwerfen: Die Projekte Future Combat Air System (FCAS, Zukünftiges Luftkampfsystem) und Main Ground Combat System (MGCS, Hauptbodenkampfsystem) werden wohl autonome Funktionen enthalten. Zwar erhält das Projekt FCAS deswegen im Entwicklungsstadium einen Ethikbeirat. Der ist aber nicht etwa beim Auftraggeber, dem Verteidigungsministerium, sondern bei einem Unternehmen angesiedelt. Berlin sollte jedoch frühzeitig auf politischer Ebene die ethischen und rechtlichen Vorgaben ausarbeiten und damit langfristig auf Technologieentwicklung und Rüstungsprojekte Einfluss nehmen. Akzeptiert Deutschland hier die Einführung autonomer Funktionen in Zielauswahl und –bekämpfung, sei es auf Druck von Bündnispartnern oder als Reaktion auf die Entwicklung in anderen Staaten, vergibt es die Möglichkeit, als glaubwürdiger Akteur in internationalen Gesprächen aufzutreten.

Neben einer konkreten, öffentlichen Strategie der Bundesregierung zur Rolle des Menschen beim Gewalteinsatz wäre auch eine Resolution des Bundestags nötig, die menschliche Kontrolle über die kritischen Funktionen von Waffensystemen einfordert. Eine solche Resolution könnte Ausgangspunkt für eine einheitlichere Linie der Bundesregierung sein. Bisher wurde das Thema im Bundestag nicht umfassend behandelt. Immerhin: Zum ersten Mal hat in der vergangenen Woche ein Mitglied des Bundestags die CCW-Gespräche beobachtet.