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Feministische Außenpolitik

Konzepte, Kernelemente und Kontroversen

SWP-Aktuell 2022/A 50, 04.08.2022, 8 Pages

doi:10.18449/2022A50

Im Koalitionsvertrag 2021–2025 sprechen sich die Ampel-Parteien für eine »Feminist Foreign Policy« aus. Das Auswärtige Amt (AA) hat sich einer »feministischen Außen­politik« (FAP) verschrieben und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen­arbeit und Entwicklung (BMZ) will eine »feministische Entwicklungspolitik« verfolgen. Auch im Erstellungsprozess der »Nationalen Sicherheitsstrategie« soll über FAP dis­kutiert werden. Damit schließt sich Deutschland einem Trend an: Immer mehr Regie­rungen schreiben sich eine FAP auf die Fahnen oder wollen Elemente davon umsetzen. So deutlich diese Entwicklung sich auch zeigt, bleibt dennoch unklar bzw. umstritten, was der feministische außenpolitische Ansatz konzeptionell wie materiell genau be­deu­tet – welche Voraussetzungen er benötigt, in welchen Zusammenhängen er sich bewegt und welche Implikationen er mit sich bringt. Diese Offenheit gibt Anlass zur Debatte, an der sich Stimmen aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissen­schaft be­tei­li­gen. Zwar finden feministische Ansprüche nur begrenzt in den nationalen Imple­men­tierungsvarianten der FAP ihren Niederschlag. Aber schon der offizielle Bezug auf Feminismus fordert tradierte Denk- und Politikmuster heraus, drängt zur Über­prü­fung politischer Priorisierung und Kohärenz und kann Politik­innovation fördern.

Beginnend mit Schweden im Jahr 2014 haben immer mehr Staaten aus verschiedenen Regionen die Einführung einer »femi­nistischen Außenpolitik« bzw. einer »femi­nis­tischen Entwicklungszusammenarbeit« oder »feministischen Diplomatie« verkündet, darunter Kanada (2017), Frankreich (2018), Luxemburg (2019), Mexiko (2020), Spanien (2021) und Libyen (2021) – zuletzt auch Deutschland (2021).

Vor diesem Hintergrund dreht sich die De­batte um FAP hauptsächlich um zwei Fra­gen: Was ist FAP (und Feminismus bzw. femi­nis­tisch), was sollte sie sein? Wie ist die von den Regierungen implementierte FAP, gemessen an der eigenen Zielsetzung, aber auch aus feministischen Perspektiven, zu bewer­ten? Der politischen Praxis folgen akademische Bemühungen um Konzept­klärung und Theoriebildung, die sich aus femi­nis­tischen Ansätzen verschiedener Disziplinen speisen.

Wachsendes Gender-Bewusstsein auf internationaler Ebene

FAP ist zwar ein Phänomen jüngeren Datums; sie kann aber ebenso als Produkt eines kontinuierlich wachsenden Gender-Bewusstseins in der internationalen Politik betrachtet werden (Aggestam et al. 2020). Ein genealogischer Blick offenbart, dass der Fokus sich ständig erwei­tert: Ausgehend von der Entwicklungspolitik über die Felder Menschenrechte so­wie Konflikte und Sicher­heit, erfasst das Gender-Bewusstsein nun auch die Außenpolitik (Thomson 2022).

Den Auftakt machten die drei Weltfrauen­konferenzen im Rahmen der United Nations Decade for Women in Mexiko Stadt (1975), Kopenhagen (1980) und Nairobi (1985). Im Jahr 1979 hat die Vollversammlung der Ver­einten Nationen (VN) das »Übereinkom­men zur Beseitigung jeder Form von Dis­krimi­nierung der Frau« (CEDAW) verabschie­det, das 1981 in Kraft trat. Deutschland hat es 1985 ratifiziert. Ergebnis der vierten Welt­frauenkonferenz in Peking (1995) war die »Pekinger Erklärung und Aktionsplattform«.

Die Gleichstellung der Geschlechter fand zudem Eingang sowohl in die Millenniums-Entwicklungsziele (MDG 2000–2015, Ziel 3) als auch – als Geschlechtergleichheit – in die Ziele für nachhaltige Ent­wicklung (SDG 2016–2030, Ziel 5). Im Jahr 2000 hat der VN-Sicherheitsrat die Resolu­tion 1325 »Frauen, Frieden und Sicherheit« (WPS) auf Anregung von Netumbo Nandi-Ndaitwah, damals Frauenministerin Nami­bias, be­schlos­sen. Es folgten neun weitere Resolutionen zu genderbezogenen Themen (WPS-Agenda), unter anderem die Resolution 2467 zu sexu­a­lisierter Gewalt, die Deutschland 2019 als nichtständiges Mitglied in den VN-Sicher­heitsrat einbrachte. Seit 2005 haben rund 100 Staaten, darunter auch Deutschland, einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Sicherheitsrats-Reso­lu­tion 1325 aufgelegt.

Bei den Institutionen der Europäischen Union (EU) steigt die Gendersensibilität ebenfalls. So bekräftigte der Rat der Euro­päischen Union 2015, wie wichtig die »För­derung der Rechte von Frauen und Mäd­chen, der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung der Rolle von Frauen und Mädchen« in der Ent­wicklungspolitik sei. Die EU-Kommis­sion steckte mit der Strate­gie für die Gleichstellung der Geschlechter 2016–2019, die später für den Zeitraum 2020–2025 aktua­lisiert wurde, den Rah­men ab für ihre Arbeit auf diesem Gebiet. Im Jahr 2020 hat sie den »Gender-Aktions­plan III« (Aktionsplan für die Gleichstellung der Ge­schlechter und die Stärkung der Rolle der Frau im auswärtigen Handeln 2021–2025) ins Leben gerufen, um die Gender­perspek­tive in den EU-Außenbeziehungen zu för­dern, 2022 hat sie eine »Richt­linie zur Be­kämp­fung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt« vorge­schlagen.

Dieser multilaterale Rahmen, auf den sich nationale FAP beziehen, ist in erster Linie als Errungenschaft transnationaler, zivilgesellschaftlicher feministischer Bewe­gungen zu sehen (Cheung et al. 2021). Am 1. Juli 2021 lancierten sieben Regierungen, die sich einer FAP verschrieben haben, zu­sam­men mit zwölf zivilgesellschaftlichen Organisationen das »Global Partner Net­work for Feminist Foreign Policy« (Thompson et al. 2021). Sein Ziel ist, Politikinnovation, ge­mein­same Lernprozesse und Politik­konver­genz zu fördern – Letzteres indem ein ge­meinsamer Rahmen für FAP sowie Kriterien für deren Operationalisierung entwickelt werden.

Transformativer Anspruch mit Genderperspektive

Ob FAP nun als junges Phänomen oder als Produkt eines jahrzehntelangen Prozesses angesehen wird – in jedem Fall handelt es sich um ein neues Branding: Zum ersten Mal wird ein spezifisches Politikfeld (von Regie­rungen offiziell) als feministisch bezeichnet. Außenpolitik ist ein Politikbereich, dessen Strukturen in besonderem Maße männlich dominiert sind und daher die Perspektive, die Ideen und die Erfahrungswelt von Män­nern privilegieren. In der Folge reproduziert eine Außenpolitik, die sich als »gender­neutral« versteht, die geschlechtsbezogene Ungerechtigkeit, weil sie die verschiedenen genderspezifischen Perspektiven nicht oder nur unzureichend bedenkt. Sie zementiert den Status quo. Denn in einer asymmetrischen Geschlechterordnung machen Männer und Frauen unterschiedliche Erfahrungen; sie erleben die bestehenden Machtstrukturen unterschiedlich aufgrund ihrer unter­schiedlichen Positionen und Rollen in der Gesellschaft. Beispielsweise sind Frauen und Männer (hinsichtlich Wahrscheinlichkeit und Qualität) von Armut, Konflikten und Krieg unterschiedlich betroffen und ihre Beiträge zu Entwicklung und Frieden divergieren.

Für Gendergerechtigkeit wird sowohl normativ als auch pragmatisch argumentiert: Zum einen wird das Ziel Gender­gerech­tig­keit intrinsisch begründet, also im Sinne eines Wertes an sich, bisweilen mit Bezug auf die Menschenrechte und das Diskriminierungsverbot. Zum anderen spielen aber auch Erkenntnisse über die Effekte von Gendergerechtigkeit eine Rolle – sie wer­den als extrinsische Argumente herangezogen, wenn für eine gleichberechtigte Teil­habe von Frauen plädiert wird. Empirische Evi­denz attestiert einen positiven Zusammenhang zwischen Gendergerechtigkeit auf der einen und Wohlstand und Frieden auf der anderen Seite. Eine Verbes­se­rung der Situa­tion und der Chancen von Frauen käme also nicht nur dieser Gruppe, sondern der ganzen Gesellschaft bzw. dem internatio­nalen System zugute.

Einige Beispiele: Eine größere Präsenz von Frauen im Parlament (deskriptive Re­präsentation) wirkt sich auf die Gesetz­gebung dergestalt positiv aus (substantielle Repräsentation), dass der Schutz von Men­schenrechten gestärkt wird (IPU). Ein ver­besserter Zugang von Frauen zu Produk­tions­mitteln wie Agrarflächen und zu Finanzdienstleistungen hat einen ungleich stärker lindernden Effekt auf Hunger und Armut, als wenn lediglich der Zugang von Männern ausgebaut würde (Brot für die Welt). Die Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen fördert die Umsetzung und Nachhaltigkeit der Vereinbarungen (cfr; UNWOMEN).

Richtete sich die Forderung nach gleichberechtigter Teilhabe der Frauen zunächst auf binnenstaatliche Angelegenheiten, er­fasst sie nun in Form der FAP ebenfalls die internationalen Beziehungen. In einem breiteren Verständnis gehören neben Diplo­matie und Entwicklungspolitik auch Han­del und Verteidigung zur Außenpolitik.

Unabhängig von der Reichweite des Außen­politikbegriffs soll das Adjektiv femi­nistisch die Absicht verdeutlichen, sich nicht nur um Gleichstellung zu bemühen, son­dern darüber hinauszugehen, nicht einfach reformistisch innerhalb vorhandener Struk­turen zu sein, sondern vielmehr strukturell disruptiv und transformativ. Dar­über, unter welchen Voraussetzungen der transformative Wandel im Sinne (verschiedener Spiel­arten) des Feminismus gelingen kann, herrscht allerdings keine Einigkeit, ebenso wenig über seine Reichweite und seine Implikationen.

Verständnisse von Feminismus

Es ist umstritten, was »Feminismus« be­deu­tet bzw. was er beinhaltet, denn er umfasst vielfältige Strömungen. Das ursprünglich westlich geprägte Konzept wurde (und wird) kritisch reflektiert und stetig erweitert, so dass sich verschiedene Verständnisse von Feminismus entwickelt haben. Dies haben unter anderem die Beiträge von Schwar­zen Frauen, Frauen aus dem Globalen Süden und Transpersonen möglich gemacht.

Feministische Positionen westlich-libe­ra­ler Prägung nehmen ihren Anfang in der Erkenntnis, dass ein sozial konstruiertes, also nicht naturgegebenes Herrschafts­verhält­nis zwischen den Geschlechtern be­steht (männliche Dominanz = Patriarchat) und dass damit eine ungleiche Ver­teilung von Rechten, Privilegien, Ressourcen, Chancen und dergleichen zwischen den Geschlech­tern einhergeht. Dabei dekonstruiert der Feminismus für »natürlich« gehal­tene Macht­strukturen, das heißt, er macht sie sichtbar und deckt ihren nicht­notwen­digen Charakter auf. Normativ bewerten diese feministischen Positionen die struk­turelle Machtasymmetrie als ungerecht, dis­krimi­nierend und unterdrückend. Daher fordern sie die Überwindung des Patriarchats und die Gleichstellung zwischen den Ge­schlech­tern in allen Bereichen der Gesell­schaft.

Das emanzipatorische Ziel im Feminismus ist, jegliche Form von Herrschaftsverhält­nis zwischen den Geschlechtern abzuschaffen (und nicht das bestehende umzukehren). Nach marxistisch-feministischen Ansätzen setzt dieses Ziel die Abschaffung des Kapita­lismus voraus. Einige Auf­fassungen des Feminismus stellen in Frage, dass eine um­fassende Emanzipation mit nationaler Poli­tik bzw. mit der Existenz des Staates ver­einbar sei, da dieser als patriarchaler Unter­drückungsapparat gesehen wird.

Queerfeministische Positionen streben an, Heteronormativität (Heterosexualität als die Norm in der Gesellschaft) und Zwei­geschlechtlichkeit (die gesellschaftliche An­erkennung von nur zwei Geschlechtern, einem weiblichen und einem männlichen) als gesellschaftliche Ordnungsprinzipien für Sexualität und Geschlecht zu überwinden. Damit wird die binäre Zentrierung auf cisgeschlechtliche Männer und Frauen auf­gebrochen, deren Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. In einem inklusiv verstandenen Feminismus finden auch wei­tere Identitäten Beachtung, wie LGBTQIA+ (lesbisch, schwul, bisexuell, trans, queer, intersexuell und asexuell).

Aus der Kritik an einem »weißen Feminis­mus«, der etwa kolonial-rassistische Denk­muster und Strukturen reproduziere, ent­wickelten sich feministische Positionen, die sich dafür einsetzen, dass jegliche Dis­kri­mi­nierung und Unterdrückung entlang von Merkmalen wie Geschlecht, Geschlechter­rolle, sexueller Orientierung, Hautfarbe, Behinde­rung, Religion oder Herkunft be­kämpft wird. Intersektional nennt sich ein Feminismus, der sich kritisch mit sich über­lappender Mehrfachdiskriminierung aus­einandersetzt. Er geht der Frage nach, wie die Wech­sel­wirkungen verschiedener Benach­teili­gungen das (soziale) Leben von Menschen bedingen.

Wird dieses inklusive, intersektionale Ver­ständnis um zusätzliche Aspekte angereichert, lassen sich weitere feministische Stränge oder Ansätze identifizieren, die sich im Lauf der Zeit herausgebildet haben. Zu den zent­ralen Fragen, auf die innerhalb des Femi­nismus teilweise unterschiedliche Ant­wor­ten gegeben werden, zählen:

  • Biologie vs. Gesellschaft: die Frage nach der Existenz und Rolle einer biologischen Grundlage bei der geschlechtlichen Mar­kie­rung in der Gesellschaft;

  • Praxis vs. Theorie: das Verhältnis zwischen Feminismus als politischem Aktivismus bzw. advokatorischer Bewegung einerseits und Feminismus als akademischer Disziplin (etwa in Form der Gender Stu­dies) bzw. als Typus von Theorien der Gesellschafts­analyse andererseits;

  • Reform vs. Transformation: die Einordnung und Bewertung von Korrekturen innerhalb patriarchaler Strukturen, die die Dis­kriminierung bzw. die Asymmetrien abmildern (etwa Genderquoten), jedoch die Schieflage nicht von Grund auf trans­formieren und die geschlechtliche Mar­kierung womöglich sogar akzentuieren.

Theoretisch-normativer Rahmen

Vor dem Hintergrund feministischer Ver­ständnisse wirft die Auseinandersetzung mit nationalen FAP-Varianten eine Reihe von Fragen auf: Geht FAP in ihrer Konzeption und Umsetzung über Gendermain-streaming hinaus? Wieviel Sub­stanz steckt hinter der Rhetorik eines trans­formativen Strukturwandels? Worin besteht das eman­zi­patorische Moment? Es geht schließ­lich um die zentrale Frage, was an der Außenpolitik feministisch sein soll bzw. welche fundamentale Stoßrichtung der »feministische Faktor« der Außenpolitik geben soll.

Die nationalen FAP-Initiativen haben aka­demische Bemühungen um Konzept­klärung nach sich gezogen. Diese gehen teils empirisch vor, vergleichen und syste­ma­tisie­ren nationale Dokumente, um gemein­same Kernelemente zu identifizieren (Thompson 2020). Teils sind sie theoretisch angelegt und greifen auf feminis­tische Ansätze zurück, etwa der Politikwissenschaft, der internationalen Beziehungen sowie der Friedens- und Konfliktforschung.

In diesem Sinne schlagen Thompson et al. (2020) eine umfassende normative Defi­nition von FAP vor: »Feministische Außenpolitik ist die Politik eines Staates, der seine Interaktionen mit anderen Staa­ten sowie mit Bewegungen und anderen nichtstaatlichen Akteuren so gestaltet, dass Frieden, Gleichberechtigung der Geschlechter und ökologische Integrität Vorrang haben, die Menschenrechte aller geachtet, gefördert und geschützt werden, koloniale, rassistische, patriarchale und männer­dominierte Machtstrukturen aufgebrochen und erhebliche Ressourcen, einschließlich für Forschung, zur Verwirklichung dieser Vision bereitgestellt werden. Feministische Außenpolitik ist kohärent in ihrem Ansatz über alle ihre Einflussmöglichkeiten hin­weg und dadurch verankert, dass diese Werte im eigenen Land gelebt werden. Sie wird gemeinsam mit feministischen Akti­vis­tinnen, Gruppen und Bewegungen im In- und Aus­land entwickelt.« (Übers. d. Autorin).

Cheung et al. (2021) betrachten FAP als ethische Politik, bei deren Formulierung und Implementierung »fünf Kernwerte« handlungsleitend sein und zu besseren Ent­scheidungen und inkrementellem Wandel führen sollten: (1) Intersektio­na­lität, (2) em­pa­thische Reflexivität (Selbstkritik bezüglich der eigenen Position und Beachtung der Be­dürfnisse anderer), (3) substantielle Reprä­sen­tation und Partizipation, (4) Rechen­schafts­pflicht und (5) aktives Friedens­engagement.

Auf einer niedrigeren Abstraktionsebene wird aus feministischer (advokatorischer wie theoretischer) Perspektive im Sinne einer FAP häufig für Demilitarisierung plä­diert sowie dafür, Frieden gegenüber Sicher­heit zu priorisieren, Inklusion gegenüber Exklusion, Mediation gegenüber Sanktion, Solidarität gegenüber Konkurrenz, Koope­ration gegenüber Herrschaft. Damit wird ein normativer Denk- und Handlungs­rah­men gesetzt, innerhalb dessen konkrete Positionen und Lösungsansätze immer wie­der ausgehandelt werden müssen.

Schweden als Vorreiter der FAP

Unter den national eingeführten Vari­anten von FAP weist Schweden das älteste und umfassendste Konzept auf (Thompson et al. 2021). Dabei gilt Schweden als Vorreiter und Vorbild, ein Phänomen, das in den inter­nationalen Beziehungen als Norm­diffusion bezeichnet wird (Aggestam et al. 2019a). Schweden hat sich traditionell innen- wie außen­politisch für Gender­gerech­tigkeit enga­giert, so dass viele Staa­ten ihm große normative Legitimität (Repu­tation und An­erkennung) attestieren (Rosén Sundström et al. 2021). Das Land führte 1994 per Gesetz Gendermain­streaming als Regierungsstrategie ein.

Unter Außenministerin Margot Wallström, die von 2010 bis 2012 VN-Sonder­beauftragte für das Thema sexuelle Gewalt in Konflikten gewesen war, erklärte Schwe­den 2014 offi­ziell, es betreibe eine feminis­tische Außen­politik. Damit ent­schied sich die schwedische Regierung, die sich selbst als »feministisch« bezeichnete, nach eigener Auskunft dafür, die Genderperspektive systematisch in ihre außenpoliti­sche Agenda zu integrieren. Diese umfasst drei Bereiche: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungs­zusammenarbeit sowie Handel und Außen­wirtschaftsförderung. Nach eigenen An­gaben verfolgt Schweden mit FAP das trans­formative Ziel, Strukturen zu verändern und die Sichtbarkeit von Frauen und Mäd­chen als Akteurinnen zu erhöhen. Dabei kennzeichnet die Regie­rung ihren FAP-An­satz als intersektional.

Die Formel der »3R« (siehe Aufzählung unten), mit der Schweden seine FAP zu Beginn zusammenfasste, hat Modellcharakter erlangt bzw. wurde zum Ausgangspunkt für jene Regierungen, die – wie Deutschland – einen ähnlichen Weg einschlagen wollen. Laut dem Hand­buch der schwedischen FAP (2019) geht es dabei mit Fokus auf Frauen und Mädchen darum, folgende Aspekte zu stärken:

  • Rechte: Bekämpfung jeglicher Form von Gewalt und Diskriminierung, die ihren Handlungsspielraum einschränken;

  • Repräsentation: ihre Beteiligung an Ent­schei­dungsprozessen sowie Einflussnahme auf allen Ebenen und in allen Bereichen;

  • Ressourcen: Mitteleinsatz, um Gender­gerechtigkeit und Chancengleichheit zu fördern, sowie Verbesserung ihres Zugangs zu Ressourcen.

Die Beachtung der Realität, in der Frauen und Mädchen leben, begründete die Ein­führung eines vierten »R«, dem zufolge Kontextsensibilität gefordert wird.

Darüber hinaus definiert Schweden mit Blick auf die Situation von Frauen und Mädchen sechs langfristige Schwerpunkte seiner auswärtigen Politik: (1) Umsetzung und Achtung der Menschenrechte; (2) Schutz vor physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt; (3) Beteiligung an Konfliktpräven­tion und -lösung; (4) poli­tische Beteiligung und Einflussnahme in allen Gesellschaftsbereichen; (5) öko­no­mische Rechte und Empowerment sowie (6) sexuelle und repro­duktive Gesundheit und Rechte.

Um die FAP zu implementieren, wurden verschiedene Stellen und Programme ins Leben gerufen, darunter der Aktionsplan des Außenministeriums. Dieser beinhaltet seit 2017 ebenfalls eine ressortinterne Dimension, die auf die Umsetzung der »3R« innerhalb des Außenministeriums abzielt. Eine Botschafterin für die Gleichberechtigung der Ge­schlechter wurde ernannt, die die FAP koor­diniert. Sie steht einem Team vor, das den FAP-Aktionsplan erarbeitet und mit der Abtei­lung für die Gleichberech­tigung der Geschlechter im Arbeitsministerium koope­riert. Letz­tere fördert und über­wacht die Genderpolitik der Regierung in allen Politik­feldern. In den verschiedenen Refe­raten des Außenministeriums wurden Focal Points für FAP eingerichtet. Die 2018 gegrün­dete nationale Agentur für Gender­gerechtigkeit soll die Gleichstellungs­politik der Regierung unterstützen.

Kriterien und Kritik

Bei der Bewertung der schwedischen FAP sowie dem Vergleich mit anderen nationalen Varianten (Thompson et al. 2021) kom­men aus advokatorischer wie akademischer Perspektive Gesichtspunkte zum Tragen, die zentrale Aspekte der Debatte um FAP widerspiegeln: Der schwedische FAP-Ansatz gilt in seiner Reichweite als umfassend in­sofern, als er – dem Konzept nach – meh­rere auswärtige Politikbereiche ein­schließt, aber auch eine starke innenpolitische Kom­ponente hat. Enger gefasst sind etwa der kanadische und der französische An­satz: Ersterer besteht bisher in einer »femi­nis­ti­schen Entwicklungszusammen­arbeit«, Letz­terer bezieht sich lediglich auf eine »femi­nistische Diplomatie«.

Die schwedische FAP zeichnet sich durch eine hohe Institutionalisierung aus, da sie sich in verschiedenen Organisationseinheiten und Zielvorgaben niederschlägt. Weniger ausformuliert und institutionalisiert ist zum Beispiel die feministische Diplomatie Frank­reichs. In Schweden fallen allerdings Moni­toring und (unabhängige) Evaluierung sowie Wirkungsanalyse – ähnlich wie in Kana­da – schwach aus. Daher wird die Ein­führung von weiteren »R« für Research, Reporting und Reach empfohlen (Thompson et al. 2021).

Aus der Perspektive eines inklusiven Femi­nismus stellt sich der schwedische Fokus auf Frauen und Mädchen als eng, binär und cisgenderzentriert dar. Im Gegensatz dazu hat Luxemburg ein breiteres Konzept. Und auch das AA stellt klar, dass FAP »keine Poli­tik von Frauen für Frauen« sei; es bringt sie auf die Formel »3R+D«, wobei »D« für die För­derung von Diversität steht. Ähnlich weit­reichende Vorstellungen hat das BMZ. Be­mängelt wird im Falle Schwedens zudem, dass der deklarierte intersektionale An­spruch weder konzeptionell noch operativ über­setzt werde. Doch bei den auf Frauen und Mädchen bezo­genen »3R« schneide Schweden hinsichtlich des Umsetzungsgrades relativ gut ab, also bei der Implementierungskohärenz (Diskurs vs. Handeln), wobei auch die Finan­zierung von Programmen mit einer starken Genderperspektive (Budgeting) berücksichtigt wird (Thompson et al. 2021).

Heftig kritisiert wird allerdings eine feh­lende horizontale Kohärenz, vor allem zwi­schen Schwedens FAP und seiner Rüstungsexport­politik (Aggestam et al. 2019b). Obwohl seit dem Gesetz von 2017 »der demokratische Status des Empfängerlandes eine zentrale Voraussetzung für die Beurteilung der Frage ist, ob eine Genehmigung erteilt wird oder nicht« (Übers. d. Auto­rin), werden schwe­di­sche Waffen weiterhin auch an repressive Regime gelie­fert, die Menschen- und Frauen­rechte massiv ver­letzen. So werden sie nach Saudi-Arabien verkauft und im Jemen ein­gesetzt – ein vielzitiertes Beispiel.

Aus postkolonial-feministischer Perspektive wird darüber hinaus analysiert, wie Schweden FAP als strategisches Narrativ einsetzt (Zhukova 2021) bzw. wie Schweden und andere Staaten sich mittels FAP in den globalen Hierarchien zu positionieren ver­suchen (Achilleos-Sarll 2018). Mitunter wird FAP als »neuer Normexport« des Globalen Nordens angesehen, der auf einem libera­len Feminismus bzw. einem feministischen Uni­versalismus basiere und daher der Viel­falt kultureller Kontexte nicht gerecht werde. Die Außenpolitik von Staaten, die Frauen (im Globalen Süden) zu »retten« suchen, wird auch als »feministischer Impe­rialis­mus« bewer­tet.

Trotz seines erklärten transformativen Anspruchs zeigt sich der schwedische An­satz insgesamt eher reformistisch – er bleibt in der bestehenden Wirt­schaftsordnung verhaftet (Thomson 2020). Sein nichtradikaler Cha­rak­ter dürfte zu seiner internatio­nalen Ver­breitung beige­tragen bzw. diese erst mög­lich gemacht haben. Während Spanien und Mexiko sich ebenfalls für einen Struk­tur­wandel aus­sprechen, sehen andere Länder wie Kanada von einem dis­ruptiven Versprechen in ihren FAP-Doku­menten ab.

Dekonstruktion und Denkanstöße

Im Mittelpunkt der kritischen Auseinandersetzung mit FAP steht die Problematisierung erstens der Kluft zwischen Rhetorik und Praxis, zwei­tens des Spannungsverhält­nisses zwischen FAP und anderen Politikfeldern, drittens der Diskrepanzen zwi­schen den heterogenen Anforderungen verschiedener feministischer Perspektiven.

Die offizielle Einführung einer FAP gibt Anlass, Regierungshandeln beim Wort zu nehmen und Rechenschaft einzufordern. Aktivistinnen und For­schende wenden ihr Instrumentarium an, überprüfen und analysieren die nationalen FAP-Varianten. Denn die feminis­tischen Bewe­gungen und Theorien blicken auf eine viel längere Ge­schichte zurück als der feminist turn in der Außenpolitik.

Regierungen mögen sich mit FAP progressiv geben und dabei dünne, gebrauchstaugliche Versionen von Feminismus pro­pa­gieren. Damit führen sie aber zugleich den Begriff »Feminismus« in den politischen Diskurs ein; damit wird Feminismus »staats­fähig«. FAP drängt die Regierungen dazu, ihre Außenpolitik nicht nur auf Staaten, sondern auch (stärker) auf (benach­teiligte) Personengruppen auszurichten, sie gegen­über der Zivilgesellschaft und dem Aktivis­mus – etwa über Konsultationen – (weiter) zu öffnen und sie mit anderen Res­sorts (besser) abzustimmen.

Eine FAP, die nicht systemisch verstanden wird und sich darin erschöpft, eine Agenda zur Förderung von Frauenrechten in den Bereichen Diplomatie und Entwicklungs­zusammenarbeit zu sein, bleibt – gemessen am Anspruch eines auf Transformation statt auf Reform zielenden Feminismus – sicherlich zu eng und greift zu kurz. Trotz dieser Einschränkung kann FAP in ihren schmalen, nationalen Versionen den multi­lateralen, normativen Rahmen (CEDAW, WPS, SDG etc.) stärken, indem diese dessen Normen internalisieren. Es bleibt abzuwarten, wo FAP Regierungs- und Macht­wechsel über­steht bzw. ob sie im Lauf der Zeit als Ansatz vertieft und erweitert wird.

Es dürfte kein Zufall sein, dass in den meis­ten Ländern, in denen eine feministische Außen- bzw. Entwicklungspolitik ein­ge­führt wurde, Frauen den entsprechenden Ressorts vorstanden – so auch in Deutsch­land. Doch nicht überall, wo Frauen sind, setzen sich feministische Inhalte durch. Zwar sind dominante Gruppen die Haupt­träger herrschender Ordnungen; margina­lisierte Gruppen stützen sie aber durch an­gepasstes, ordnungskonformes Verhalten. Zudem erschweren patriarchale Strukturen die Übersetzung deskriptiver in substantielle Repräsentation benachteiligter Gruppen. Und schließlich ist der Feminismus – poli­tisch wie theoretisch – pluralistisch zu ver­stehen, so dass hinsichtlich vieler Problemzusammenhänge unterschiedliche (femi­nis­tische) Einschätzungen möglich sind.

Mehr Frauen in den Streitkräften und ein Verteidigungsministerium unter weiblicher Leitung, während zugleich die Verteidigungs­ausgaben bzw. Rüstungsexporte steigen – ist das alles FAP-kompatibel? Ja oder nein zu Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, damit (weibliche) Opfer sich gegen (sexualisierte) Gewalt wehren bzw. von Soldaten davor ge­schützt werden können – wie lautet eine feministische Antwort darauf? Gelangen wir zu alternativen Begriffen, Diagnosen, Bewäl­tigungsstrategien und Lösungsansätzen, wenn wir etwa die »Systemkonkurrenz«, den »Handelskrieg« oder die »Migra­tions­krise« durch eine feministische Brille betrachten?

FAP lädt zweifelsohne zur Debatte über diese und weitere Fragen ein. Sie fordert tradierte Denk- und Politikmuster heraus. Das transformative Ziel von FAP regt zur kritischen Reflexion über Machtstrukturen an, die als »natürlich« angesehen werden, und über die eigene Position. Darüber hin­aus bietet FAP einen Anlass, Prioritäten und Mittel zu überprüfen und sich ernst­haft um Kohärenz in der Politik zu bemühen. Sie führt zusätzliche Perspektiven in die Prob­lem­analyse ein und hebt den normativen Maßstab für politische Entscheidungen und deren Begründung. Nicht zuletzt kann das disruptive Ideal von FAP den Impuls geben für alternative Betrachtungen, Quelle sein für Dekonstruktion und Denkanstöße. Auch darin liegt das Potential eines feminis­tischen Blicks auf die Außenpolitik.

Zitierte Literatur

C. Achilleos-Sarll, »Reconceptualising Foreign Policy as Gendered, Sexualised and Racialised: Towards a Postcolonial Feminist Foreign Policy (Analysis)«, in: Journal of International Women’s Studies, 19 (2018) 1, S. 34–49.

K. Aggestam / J. True, »Gendering Foreign Policy: A Comparative Framework for Analysis«, in: Foreign Policy Analysis, 16 (2020) 2, S. 143–162.

K. Aggestam / A. Bergman Rosamond, »Feminist Foreign Policy 3.0: Advancing Ethics and Gender Equality in Global Politics«, in: SAIS Review of International Affairs, 39 (2019a) 1, S. 37–48.

K. Aggestam / A. Bergman Rosamond / A. Kronsell, »Theorising Feminist Foreign Policy«, in: International Relations, 33 (2019b) 1, S. 23–39.

J. Cheung / D. Gürsel / M. J. Kirchner / V. Scheyer, Practicing Feminist Foreign Poli­cy in the Everyday: A Toolkit, Berlin: Inter­nationale Frauenliga für Frieden und Freiheit Deutschland, November 2021.

M. Rosén Sundström / E. Zhukova / O. Elgström, »Spreading a Norm-Based Policy? Sweden’s Feminist Foreign Policy in Inter­national Media«, in: Contemporary Politics, 27 (2021) 4, S. 439–460.

L. Thompson, Feminist Foreign Policy: A Frame­work, Washington, D. C.: ICRW, 2020.

L. Thompson / S. Ahmed / T. Khokhar, Defining Feminist Foreign Policy: A 2021 Update, Washington, D. C.: ICRW, 2021.

L. Thompson / G. Patel / G. Kripke / M. O’Donnell, Toward a Feminist Foreign Policy in the United States, Washington, D. C.: ICRW, 2020.

J. Thomson, »Gender Norms, Global Hier­archies and the Evolution of Feminist Foreign Policy«, in: European Journal of Politics and Gender, 5 (2022) 2, S. 173–190.

J. Thomson, »What’s Feminist about Femi­nist Foreign Policy? Sweden’s and Canada’s Foreign Policy Agendas«, in: Inter­national Studies Perspectives, 21 (2020) 4, S. 424–437.

E. Zhukova, »Postcolonial Logic and Silences in Strategic Narratives: Sweden’s Feminist Foreign Policy in Conflict-Affected States«, in: Global Society, 10.12.2021 (online).

Dr. Claudia Zilla ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Amerika.

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