Vom 22. bis zum 24. August 2023 wird in Johannesburg der 15. Gipfel der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) stattfinden. Mit der nun bestätigten virtuellen Teilnahme des russischen Präsidenten Putin konnten diplomatische Verwicklungen aufgrund des gegen ihn vom Internationalen Strafgerichtshof erlassenen Haftbefehls vermieden werden. Die Aufmerksamkeit gilt nun wieder der weiteren Entwicklung der BRICS. Im Zuge einer möglichen Erweiterung seiner Mitgliedschaft um bedeutende Rohstoffmächte könnte sich der BRICS-Verbund als Stimme des Globalen Südens konsolidieren und gleichzeitig seine weltpolitische Rolle ausweiten. Doch die Übermacht Chinas innerhalb der BRICS wird von den anderen Mitgliedern kritisch gesehen – man will sich dem weltpolitischen Vormachtstreben Pekings nicht unterordnen. Gleichwohl wird sich der Westen mit einem gestärkten Selbstbewusstsein der BRICS-Staaten und deren Vorstellungen von der internationalen Ordnung proaktiv auseinandersetzen müssen.
Die BRICS sind als Gruppe durch innere Ungleichgewichte gekennzeichnet, sei es hinsichtlich der Größe der einzelnen Länder, ihrer jeweiligen Wirtschaftskraft oder auch ihrer Rolle in der internationalen Politik. Diese innere Heterogenität wurde lange als Beschränkung für den Zusammenhalt und die politische Wirksamkeit der Gruppe angesehen. Chinas Wirtschaft ist zum Beispiel bedeutender als die Volkswirtschaften Brasiliens, Russlands, Indiens und Südafrikas zusammen, gleichzeitig ist China ein wichtiger Wirtschafts- und Handelspartner für diese vier Länder. Darüber hinaus ist das politische Gewicht Chinas relevant für den Zusammenhalt der Gruppe. Angesichts der heterogenen Interessenlagen der beteiligten Länder beruht der Weg zum Erfolg der BRICS bis heute auf ihrem Willen zur praktischen Zusammenarbeit als Grundlage der Vertrauensbildung.
Die Zielsetzungen des BRICS-Verbundes ergeben sich daher primär auch aus den individuellen Interessen seiner Mitglieder. Auf internationaler Ebene bewegen sich die BRICS bisher trotz ihrer Forderung nach einer Neuordnung der globalen Ordnung zwischen zwei Polen: Einerseits bilden sie einen Gegenpol zu vom Westen dominierten internationalen Foren, andererseits fungieren sie häufig als Kooperationspartner westlicher Staaten und agieren komplementär zu westlichen Interessen. Zwar kritisieren die BRICS die bestehende internationale Ordnung, (unter)stützen sie durch ihr praktisches Handeln letztlich aber eher und legitimieren sie dadurch. Dies zeigte sich deutlich während der Finanzmarktkrise 2007 / 2008 und in abgeschwächter Form bei der Bewältigung der weltweiten Ausbreitung des Coronavirus.
Wachsende Spannungen zwischen den westlichen Staaten und (einigen) BRICS-Ländern bezüglich der Implementierung von Sanktionsregimen – nicht zuletzt im Kontext des Ukraine-Krieges – könnten dazu führen, dass die BRICS künftig mit einer größeren Zahl von Entwicklungsländern enger zusammenarbeiten. Damit würden das BRICS-Format ebenso wie seine Rolle bei der Reform der Global Governance weiter gestärkt. Aktuell steht der BRICS-Verbund im Zeichen zunehmender innerer Spannungen, bedingt durch die Großmachtkonkurrenz zwischen den USA und China bzw. Russland, und muss sein internationales Handeln anpassen. Überdies haben viele Staaten ihr Interesse an einem Beitritt bekundet.
Die innere Institutionalisierung der BRICS
Seit Goldman Sachs 2001 das Akronym BRIC für einen Investmentfonds schuf, haben Brasilien, Russland, Indien und China ihre Zusammenarbeit sowohl erweitert als auch vertieft. Dabei standen Verfahren der Entscheidungsfindung und die Ausweitung ihrer Agenda im Vordergrund. Im Jahr 2011 ist Südafrika beigetreten und vervollständigte damit die Gruppe um die Präsenz Afrikas, die bis dahin gefehlt hatte. Obwohl es sich bei der BRICS-Gruppe um einen informellen Zusammenschluss ohne eigene Charta handelt, vertritt sie dennoch in vielen Fragen gemeinsame Positionen, etwa was globale Gesundheit, eine neue weltweite Handels- und Finanzordnung oder die Sicherheitsarchitektur angeht.
Der institutionelle Charakter der BRICS hat sich im Lauf der Jahre ebenfalls weiterentwickelt, sowohl durch ein hohes Maß an politischer Interaktion in Gestalt jährlicher Gipfeltreffen als auch durch die Schaffung wirtschaftlicher Institutionen wie der Neuen Entwicklungsbank (NDB) 2014 und die im selben Jahr getroffene Vereinbarung über eine Reserve und einen Notfallfonds (Contingency Reserve Arrangement, CRA). Nach Angaben der Weltbank ist der Anteil der BRICS am globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 18 Prozent im Jahr 2010 auf 26 Prozent im Jahr 2021 angestiegen, mit jährlichen Zuwächsen während dieses Zeitraums. Allerdings muss dabei eine grundlegende Asymmetrie berücksichtigt werden, weil dieser Aufwärtstrend insbesondere auf das Wachstum Chinas zurückgeht, das 2021 über 70 Prozent des BIP der BRICS ausmachte.
Auf institutioneller Ebene konnte der BRICS-Verbund unterschiedliche Dynamiken miteinander verbinden: Die multilaterale Ausrichtung geht mit bilateralen Vereinbarungen zwischen den fünf Mitgliedern einher. Die Bilateralisierung der BRICS erweitert also den »Multilateralismus à la carte«. Dieser wiederum erlaubt es den Mitgliedern, ihre Zusammenarbeit einzuschränken, wenn ihre Interessen divergieren, und von kollektiven BRICS-Einrichtungen wie der NDB zu profitieren, wenn diese mit dem eigenen Interessenprofil übereinstimmen. Diese flexibilitätswahrende Komponente ist – trotz zunehmender geopolitischer Spannungen – das Element, das den Zusammenhalt dieser heterogenen Versammlung politischer Akteure bis heute gesichert hat. Das Schwanken zwischen der Bildung zwischenstaatlicher Koalitionen auf der einen Seite und dem Interesse an der Formulierung gemeinsamer Narrative und Normen im Sinne von community building auf der anderen Seite hat sich als erfolgreiche Überlebensmaxime der BRICS erhalten – selbst angesichts wechselnder politischer Einstellungen von Regierungen in einzelnen Mitgliedstaaten wie zuletzt in Brasilien.
Eine zentrale Rolle fällt dabei der NDB zu, die das Narrativ der BRICS als Infrastrukturgemeinschaft maßgeblich geprägt hat. 48 Prozent der im Zeitraum von 2016 bis 2020 geförderten Projekte bezogen sich auf Infrastrukturmaßnahmen. Als Maßnahmen, die unter das globale Nachhaltigkeitsziel »Industrie, Innovation und Infrastruktur« (SDG 9) fallen, werden in der NDB-Strategie 2017–2021 sogar beinahe zwei Drittel aller Projekte beschrieben. Die Aktivitäten der NDB und ihr Gestaltungsanspruch spiegeln sich in der Frage der Mitgliedschaft wider: Die NDB soll sowohl ihren kreditnehmenden als auch ihren nicht kreditnehmenden Mitgliedern einen Anlaufpunkt bieten – prinzipiell steht sie allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen offen.
Der Wandel der BRICS-Identität
Mit der Gründung der Gruppe war das Akronym BRIC gekoppelt an eine bestimmte Wahrnehmung ihrer Mitgliedsländer, nämlich als die sogenannten »rising powers«, als die aufsteigenden Mächte der Weltwirtschaft und damit auch als geeignetes Ziel von Auslandsinvestitionen. Schnell war die Debatte um die BRICS von der Frage geprägt, ob ihr Handeln in der internationalen Politik vor allem Statusinteressen folge oder ob sie auch bereit wären, sich an der Verteilung von Lasten (burden sharing) zu beteiligen.
Seit die G20 im Jahr 2008 die zentrale Instanz zur Bewältigung der globalen Finanzmarktkrise wurde, hat sich dieses Forum zu einem Ort entwickelt, an dem sich die BRICS-Staaten als die neuen Anführer des Globalen Südens profilieren konnten. Damit hat sich die Tendenz verfestigt, das Akronym BRICS weniger mit »aufsteigenden Mächten« zu assoziieren, deren Aufstieg mit Ausnahme Chinas weitgehend ins Stocken geraten ist, sondern stattdessen das Aufkommen einer »postwestlichen Welt« mit multipolaren Charakteristika in den Vordergrund zu rücken. Tragend ist nun weniger eine gemeinsame Identität als das Interesse an einer neuen globalen Ordnung, die am besten durch die strategische Bündelung von Kräften in einer Gruppe vorangetrieben werden könne. Damit hat das Transformationsinteresse an Gewicht gewonnen, während das Aufstiegsnarrativ immer mehr in den Hintergrund getreten ist.
Die innere Heterogenität der BRICS-Gruppe, die Dominanz Chinas in wirtschaftlicher Hinsicht und Russlands G8-Mitgliedschaft bis zu seinem Ausschluss im Jahr 2014 behinderten indes nicht die Bemühungen, sich als Stimme des Globalen Südens zu etablieren und in gewissem Umfang auch eine Führungsrolle anzustreben. Wichtigstes Instrument dabei war und ist die Förderung der NDB, um Süd-Süd-Kooperationen voranzubringen und so ein Zeichen für ein verändertes Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit zu setzen, die nun auf der Basis von Solidarität und verminderten Auflagen stattfinde. Aufgenommen wird dabei wiederum das Narrativ globaler Machtverschiebungen, die diesmal jedoch zugunsten des Globalen Südens erfolgen sollen.
Auf globaler Ebene konnten die BRICS ihre Innovationskraft bislang allerdings nur sehr beschränkt unter Beweis stellen. Ihr Anspruch, das internationale Ordnungsgefüge zu reformieren, hat nicht zu den erwünschten Gewichtsverschiebungen geführt. Vielmehr ist die BRICS-Gruppe zunehmend in den Strudel der Verwerfungen internationaler Politik geraten und wird von China und Russland als Instrument betrachtet, um westlichen Positionen entgegenzuwirken. Daraus ergibt sich eine wachsende Rivalität zwischen den BRICS und der G7, die sich seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und den damit verbundenen geopolitischen Spannungen weiter verschärft. Obwohl in den letzten Jahren BRICS-Mitglieder und andere Staaten des Globalen Südens zu G7-Gipfeln eingeladen wurden, entwickelt das BRICS-Forum antiwestliche Tendenzen, die sich mit der (berechtigten) Kritik an der ungleichen Machtverteilung im multilateralen System vermischen und die BRICS so für unterschiedliche Akteure attraktiv machen.
Die Erweiterungsfrage: BRICS, BRICS+, Friends of BRICS?
Über 40 Staaten weltweit haben laut Aussage der südafrikanischen Regierung ihr Interesse an einer BRICS-Mitgliedschaft bekundet. 23 Staaten haben einen formalen Antrag gestellt. Dazu gehören Ägypten, Algerien, Argentinien, Bahrain, Indonesien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sowie jüngst auch Belarus. Die bisherigen Mitglieder wollen ein Verfahren erarbeiten, das den Aufnahmeprozess regelt und Gegenstand einer möglichen Beschlussfassung auf dem Gipfel in Johannesburg sein soll.
An der Erweiterungsfrage zeigt sich erneut die unterschiedliche Interessenlage der BRICS-Mitglieder: China betrachtet eine Erweiterung zu BRICS+ als Teil seiner Strategie zur Neugestaltung der internationalen Ordnung und wird dabei von Russland unterstützt. Die drei anderen Mitglieder Brasilien, Indien und Südafrika hingegen standen diesem Interesse an einer Erweiterung zunächst sehr reserviert gegenüber, da sie durch eine Aufnahme neuer Mitglieder ihren eigenen Status gefährdet sahen – nicht zuletzt auch deshalb, weil sich einige wirtschaftlich starke Akteure unter den potenziellen Beitrittskandidaten befinden. Darüber hinaus befürchten sie, dass sich das bereits bestehende chinesische Übergewicht verstärken würde. Zudem könnte durch eine Aufblähung des Verbunds die ohnehin prekäre Kohäsion leiden und die Konsensfindung noch schwieriger werden. Aus diesem Grund bevorzugen diese drei Länder eine Erweiterung in Form von abgeschwächten Mitgliedschaften, die die bisherige Kerngruppe in ihrer jetzigen Zusammensetzung erhalten würden.
Während China seit 2017 auf eine baldige Entscheidung drängt, spielen Brasilien, Indien und Südafrika auf Zeit und wollen zunächst Formen der Beteiligung an der NDB anbieten und längere Aufnahmefristen etablieren. Die NDB hat bereits die VAE, Bangladesch und Ägypten als Mitglieder aufgenommen, Uruguay ist Beitrittskandidat. Daher ist denkbar, dass neben der BRICS-Kerngruppe ein erweiterter Kreis von BRICS+-Staaten entstehen wird, der von einem noch weniger eingebundenen Kreis der »Friends of BRICS« umrahmt würde. Die Teilhaberechte wären bei einer solchen Lösung proportional zur Entfernung vom Kern zunehmend schwächer ausgeprägt. Auch hier müssen sich die BRICS-Mitglieder noch einig werden darüber, welche Staaten aufgenommen werden sollten.
Für einige interessierte Staaten wäre vermutlich selbst eine schwächere Lösung attraktiv. Denn eine Annäherung könnte Reputationsgewinn und möglicherweise eine weitere Absicherung (etwa gegen Sanktionen und deren Folgen) bedeuten, und das in einer zunehmend polarisierten Welt, in der sich Aufforderungen, sich einer bestimmten Seite der geopolitischen Konkurrenz anzuschließen, womöglich häufen werden. Außerdem dürfte eine BRICS-Mitgliedschaft die Beziehungen zu weiteren Ländern im Globalen Süden stärken.
Die unterschiedlichen Haltungen zur Erweiterungsfrage werden durch die Art und Weise unterstrichen, wie die BRICS-Mitglieder konkret vorgehen: Die Umsetzung des BRICS+-Rahmens ist bei verschiedenen BRICS+-Gipfeln 2017 (China), 2018 (Südafrika) und 2022 (China) erfolgt, indem auch eine Reihe von Entwicklungsländern eingeladen waren, die nicht Teil des BRICS-Kerns sind. Die Teilnehmer dieser BRICS+-Gipfel sind nicht generell festgelegt, sondern variieren stark in Abhängigkeit von den Präferenzen des Landes, das gerade die Präsidentschaft führt. Brasilien, Russland und Indien hatten beschlossen, in den Jahren 2019 bis 2021 während ihrer jeweiligen Präsidentschaft keine BRICS+-Gipfel abzuhalten.
Doch jenseits der formalen Erweiterung durch die Aufnahme neuer Mitglieder sind auch andere Formate vorstellbar: Diskutiert wird zum einen ein regionaler Ansatz, der insbesondere die Kooperation mit jenen regionalen Gruppen und Organisationen in Betracht zieht, in denen einzelne BRICS-Mitgliedstaaten selbst aktiv sind. Hierzu zählen etwa Mercosur (dem das BRICS-Mitglied Brasilien angehört), die Eurasische Wirtschaftsunion (Russland), die Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation (BIMSTEC) (Indien), die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (China, Russland, Indien) sowie die Afrikanische Union (Südafrika). Ein solch regionaler Zuschnitt hätte den Vorteil, dass die NDB regionale Entwicklungsbanken ansprechen könnte und regionale Stabilisierungsinstrumente einbezogen werden könnten, wodurch sich die Reichweite der finanziellen Kooperation erhöhen ließe. Auf diese Weise würde ein Rahmen für ein gemeinsames Portfolio im Investitionsbereich geschaffen, der eine Beteiligung folgender Institutionen ermöglichte: der Eurasischen Entwicklungsbank (EDB), der Entwicklungsbank des Südlichen Afrika (DBSA), des SAARC-Entwicklungsfonds (SDF), des Mercosur-Fonds für Strukturelle Konvergenz (FOCEM), der Chinesischen Entwicklungsbank (CDB) sowie des China-ASEAN-Investitionskooperationsfonds (CAF). Die Zusammenarbeit mit Staatsfonds in der arabischen Welt wäre eine zusätzliche Option.
Zum anderen wäre als Alternative hierzu eine Pool-Option denkbar, in der einzelne Schwergewichte aus dem Kreis derjenigen Entwicklungsökonomien, die als Ressourcenmächte in der Weltwirtschaft Bedeutung haben, in den BRICS+-Rahmen aufgenommen würden. In diesen Zusammenhang fällt die sogenannte InPEAKS-Gruppe, der Indonesien, Pakistan, Ägypten, Argentinien, Kasachstan und Saudi-Arabien angehören. Ergänzend könnte man auf bereits bestehende Allianzen zugehen, etwa die Plattform zum Schutz der Regenwälder (Brasilien, Demokratische Republik Kongo, Indonesien), oder auf einzelne Staaten, die stark auf Rohstoffgewinnung ausgerichtet sind, wie Argentinien, Bolivien und Chile (das lateinamerikanische Lithium-Dreieck).
Von indonesischer Seite wurde Interesse an einem Kooperationsformat geäußert, das dem Modell der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) nachempfunden ist, um eigene Nickel-, Kobalt- und Manganvorkommen international besser verwerten zu können. Allerdings würden Zusammenschlüsse wie eine Gas-OPEC oder sektorale Plattformen für die Verwertung Seltener Erden oder Dünger mit dem Ziel, größere Marktmacht und damit höhere Preise zu erzielen, auch die Abnehmer in Entwicklungsländern betreffen. Sie würden dem Geist der BRICS als Vertreter des gesamten Globalen Südens also zuwiderlaufen. Die Attraktivität für viele Länder des Globalen Südens läge aber sicherlich darin, den BRICS+-Rahmen dafür zu nutzen, durch Sektorplattformen protektionistischen Tendenzen in den Industrieländern entgegenzuwirken, etwa Friendshoring und anderen Maßnahmen zur Reindustrialisierung, wie sie insbesondere die USA ergriffen haben.
Letztlich wird eine selektive Erweiterung um solche Länder im Vordergrund stehen, die aktiv zur BRICS-Gruppe beitragen können, aber keinen politischen Konfliktstoff und diplomatischen Ballast mitbringen. Die VAE, Saudi-Arabien und Indonesien könnten angesichts ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und ihres Kooperationspotenzials interessante Kandidaten für einen anlaufenden Aufnahmeprozess sein. Dieser Ansatz würde es den BRICS ermöglichen, ihren Einfluss auszuweiten, ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit zu vertiefen sowie potenziell disruptive Folgen zu minimieren, die die Aufnahme politisch komplexer Länder mit zusätzlicher Problemlast haben könnte. Dies setzt jedoch voraus, dass die BRICS sich darauf verständigen, auf regionale Lobbyarbeit zu verzichten, im Rahmen derer sie sich auf der Grundlage regionaler Bündnisse für bestimmte Länder einsetzen – etwa China für Pakistan, Russland für Belarus und den Iran oder Brasilien für Argentinien. Ein solcher Verzicht ist aktuell aber nur bedingt wahrscheinlich.
Die Transformationsagenda der BRICS
In ihren gemeinsamen Erklärungen haben die BRICS-Staaten die übergreifenden Grundsätze für ihre Zusammenarbeit formuliert. Sie betonen stets die Achtung der Souveränität, der Unabhängigkeit, der territorialen Integrität und der nationalen Einheit ihrer Mitglieder sowie die Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Zudem wollen sie sich für die Förderung des Friedens einsetzen – ein Aspekt, der namentlich Brasilien, Indien und Südafrika seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in arge Bedrängnis gebracht hat.
Ein besonderes Augenmerk der BRICS gilt der Transformation des internationalen Finanzsystems. Diskutiert wird der Aufbau einer eigenen Reservewährung, die als Währungskorb R5 oder R5+ angedacht und deren Bezeichnung angelehnt ist an die Anfangsbuchstaben der Währungen der fünf BRICS-Staaten (Real, Rubel, Rupie, Renminbi, Rand). Ziel ist ein Mechanismus, der sich am System der Sonderziehungsrechte der Weltbank orientiert und der durch entsprechende Reservenbildung bei den jeweiligen Nationalbanken als Sicherungsoption fungieren könnte.
Auch wenn gegenwärtig noch 84,3 Prozent des grenzüberschreitenden Handels zwischen den BRICS-Staaten in US-Dollar abgewickelt werden und über den chinesischen Yuan nur 4,5 Prozent, sind die Beteiligten bestrebt, für den Intra-BRICS-Handel nicht mehr den Dollar als primäre Zahlungs- und Rechnungseinheit zu verwenden. Wenn die BRICS-Mitglieder für den internationalen Handel nur den »Bric« als Währung nutzen wollten, um damit der Dollar-Hegemonie zu entkommen, müsste dies in bilateralen Vereinbarungen festgelegt werden. Brasilien und China haben bereits vereinbart, den bilateralen Handel über die jeweiligen Landeswährungen abzuwickeln, China und Russland praktizieren dies seit Längerem.
Abgesichert werden soll die neue Währung durch Gold und andere strategische Exportgüter (Rohstoffe). Dies könnte die Attraktivität ebenso für internationale Anleger erhöhen, da wegen steigender Rohstoffpreise zusätzliche Gewinne zu erwarten wären. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass alle BRICS-Staaten auch weiterhin für einen großen Teil ihres Außenhandels auf den Dollar zurückgreifen werden. Überdies ist das Volumen des Intra-BRICS-Handels eher gering, wenn man vom jeweils bilateralen Handel mit China absieht. Aus geopolitischer Sicht ist das Streben nach einer De-Dollarisierung Ausdruck des Interesses, die Fähigkeit der USA einzuschränken, ihre Sicherheitsinteressen mithilfe von Finanzsanktionen durchzusetzen.
Insgesamt betrachtet sind mit der Schaffung einer neuen Währung zahlreiche Fragen verbunden, zum Beispiel wie Wechselkursstabilität gewährleistet, die Geldpolitik koordiniert und eine angemessene Finanzinfrastruktur aufgebaut werden kann. Sie bedürfen intensiver Klärung innerhalb des BRICS-Verbundes und benötigen eine belastbare Vertrauensbasis. Daher wird das Thema gemeinsame Währung bei dem anstehenden Gipfel in Johannesburg noch keine Rolle spielen, wie die südafrikanische Regierung ankündigte.
Die Rolle Südafrikas als Gastgeber des BRICS-Gipfels
Im Rahmen des Außenministertreffens der »Freunde der BRICS-Gruppe« am 2. Juni 2023 in Kapstadt bezeichnete Südafrikas Außenministerin die BRICS als Block, der als »Vorkämpfer für die Entwicklungsländer« auftrete. Iran, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuba, die Demokratische Republik Kongo, die Komoren, Gabun und Kasachstan schickten Vertreter zu den Gesprächen; Ägypten, Argentinien, Bangladesch, Guinea-Bissau und Indonesien nahmen virtuell teil.
Südafrika, einer der ökonomisch schwächeren Staaten in der BRICS-Allianz, hat dieses Jahr den Vorsitz inne. Für die südafrikanische Regierung ist BRICS ein wichtiges Format, das einerseits die Beziehungen zu dem für Südafrika zentralen Wirtschaftspartner China stärkt und andererseits eine Möglichkeit bietet, die Beziehungen zu anderen Schwellenländern zu intensivieren. Dennoch genießt BRICS für die südafrikanische Regierung seit der Präsidentschaftsübernahme durch Cyril Ramaphosa im Februar 2018 nicht mehr die Sonderstellung, die es noch unter dem Vorgänger Jacob Zuma einnahm, der sich außenpolitisch vorrangig darauf konzentrierte. Ramaphosa hat sich in den letzten Jahren sehr darum bemüht, die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit westlichen Staaten wieder voranzubringen, was ihm zum Teil auch gelungen ist.
Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Zuspitzung des geopolitischen Konfliktes kommt Südafrika mit dieser Haltung immer deutlicher an seine Grenzen, weil es an verschiedenen Punkten gezwungen ist, Position zu beziehen. Nach der Durchführung eines Marinemanövers mit China und Russland im Februar 2023 und dem – bisher unbelegten – Vorwurf durch den US-Botschafter in Südafrika, dass Waffen und Munition von einem südafrikanischen Marinestützpunkt nach Russland geliefert wurden, haben sich die Beziehungen zwischen Südafrika und den USA verschlechtert. Dies geht so weit, dass im US-Senat sogar Forderungen laut wurden, Südafrika vom African Growth and Opportunity Act (AGOA) auszuschließen, der afrikanischen Staaten bevorzugten Zugang zum US-Markt gewährt.
Dass es die südafrikanische Regierung nach langem Ringen geschafft hat, Wladimir Putin davon zu überzeugen, nur virtuell am BRICS-Gipfel teilzunehmen, hat Südafrika aus einer schwierigen Lage befreit. Nachdem der Internationale Strafgerichtshof am 17. März 2023 einen Haftbefehl gegen Putin erlassen hat und auch die innerjuristische Lage in Südafrika recht eindeutig ist, wäre die südafrikanische Regierung verpflichtet gewesen, Putin bei seiner Einreise zu verhaften. Die Diskussion um eine mögliche Verhaftung des russischen Präsidenten hat diejenige über den diesjährigen BRICS-Gipfel lange Zeit dominiert und dazu geführt, dass die südafrikanische Regierung ihre eigene Agenda nur begrenzt vorwärtsbringen konnte.
Für Südafrika stehen während seines BRICS-Vorsitzes zwei Ziele im Mittelpunkt: Erstens will es die Interessen des afrikanischen Kontinents im Rahmen der BRICS vertreten. Ein Fokus liegt auf der Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den afrikanischen Ländern und den BRICS-Staaten und damit verbunden auf der Ausweitung des Handels. Südafrika ist einer der Staaten in der Afrikanischen Union, die sich aktiv dafür einsetzen, die afrikanische Freihandelszone (African Continental Free Trade Area, AfCFTA) zu erweitern. Die Bemühungen zur Zusammenarbeit innerhalb der AfCFTA haben sich seit der Covid-Pandemie intensiviert. Im August 2022 hat die südafrikanische Regierung ein außenpolitisches Dokument vorgestellt, das ihre Fokussierung auf eine Stärkung der Rolle Afrikas in der Welt unterstreicht.
Das zweite Ziel erschließt sich durch einen kurzen Blick in die jüngste Vergangenheit: Ramaphosa ist einer der größten Kritiker der ungleichen Verteilung von Covid-Impfstoffen, die er schon 2020 als »Impfstoff-Apartheid« bezeichnet hatte. Im selben Jahr startete er mit dem BRICS-Partner Indien eine gemeinsame Initiative, um eine temporäre Aufhebung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe zu erwirken. Über den südafrikanisch-indischen Vorschlag konnte erst 2022 eine (vorläufige) Einigung bei der Welthandelsorganisation erzielt werden, die den beiden Staaten aber nicht weit genug geht. Seitdem hat die südafrikanische Regierung das globale Gesundheitsmanagement immer wieder offen kritisiert und die Ungleichheiten im multilateralen System angeprangert. Dies erklärt die zweite zentrale Zielsetzung Südafrikas, nämlich sich im Rahmen der BRICS-Allianz dafür stark zu machen, das multilaterale System inklusiver zu gestalten. Die BRICS-Allianz wird somit als Chance gesehen, gemeinsam mit anderen Staaten ein Korrektiv gegen die bestehende multilaterale Ordnung aufzubauen, die als von den USA dominiert betrachtet wird und vor allem westliche Interessen befördere.
Der Westen und die »goldene Dekade« der BRICS-Entwicklung
Das BRICS-Format kommt durchaus jeweils unterschiedlichen Interessen seiner Mitglieder entgegen. Für China ist BRICS geopolitisch interessant, weil es eine Alternative zur G7 darstellt. Man sieht in Peking insoweit eine »goldene Dekade« der BRICS anbrechen, als es zunehmend gelinge, den Verbund zur weltweit einflussreichsten Plattform für Süd-Süd-Kooperation zu machen. Russland kann darüber seine internationale Isolation umgehen. Für Indien, Brasilien und Südafrika – und ebenso für andere interessierte Länder – eröffnet das Format die Möglichkeit, sich einer geopolitisch aufgeladenen internationalen Ordnung zu entziehen und stattdessen die Position des Globalen Südens anhand einer alternativen Agenda zu stärken. Aus europäischer Sicht ist klar, dass einer solchen Positionierung der BRICS-Gruppe nicht dadurch begegnet werden kann (in welchem Format auch immer), dass man versucht, diesen Verbund zu bekämpfen oder zu spalten, wie es zuweilen in den USA diskutiert wird. Wenn die BRICS und andere Entwicklungsländer anstreben, eine führende Rolle bei der Gestaltung der Globalisierung und der Weltordnungspolitik zu spielen, sollten diese Bemühungen proaktiv aufgenommen werden. Es erscheint deshalb notwendig, die wachsende Diskursmacht der BRICS ernst zu nehmen. Dies ist vor allem auch deshalb wichtig, weil sich viele Länder des Globalen Südens den BRICS anschließen (wollen), da sie befürchten, in Großmachtkonflikte hineingezogen und ebenfalls Ziel von Sanktionsmaßnahmen oder deren Folgen zu werden.
Aus chinesischer Sicht würde der Erweiterungsprozess in Richtung BRICS+ eine »goldene Dekade« der BRICS-Gruppe einleiten. Die chinesische Führung erhofft sich durch ihn also eine Stärkung ihrer geopolitischen Positionen. Allerdings widersetzen sich insbesondere Brasilien, Indien und Südafrika dem damit verbundenen Hegemoniestreben Pekings im BRICS-Rahmen. Nicht zuletzt das chinesisch-indische Konkurrenzverhältnis mit einer langjährigen Konfliktgeschichte dürfte verhindern, dass sich die BRICS dauerhaft den Maximen einer chinesischen Weltordnungspolitik unterordnen. Mögliche Kollisionen innerhalb der BRICS sowie eine wachsende Rivalität und Konkurrenz zwischen den BRICS und der G7 entsprechen dem Interessenprofil Chinas und Russlands. Die Europäische Union sollte einer solchen Dynamik entgegenwirken, anstatt sie zu befördern, wie es durch eine angespannte Rhetorik oder weitere Formate geschieht, die geopolitische Polarisierung begünstigen.
Gerade Staaten wie Südafrika, Brasilien oder Indien betrachten die BRICS-Gruppe als Plattform alternativer Stimmen bei der Ausgestaltung der Global Governance. Diesem Anliegen sollten westliche Staaten entgegenkommen und an gemeinsamen Zielsetzungen arbeiten, zumal eine so geartete Kooperation dazu geeignet ist zu verhindern, dass die BRICS der alleinige Ort für einen solchen Austausch sind. Als erster Schritt bieten sich zum Beispiel Gespräche der G7- und der BRICS-Sherpas an, bei denen zumindest eine Zusammenarbeit in den Politikfeldern ins Auge gefasst werden könnte, die von der geopolitischen Konkurrenz weniger betroffen sind, etwa Umwelt- und Klimafragen oder globale Gesundheitspolitik.
Eine zu starke Politisierung der BRICS mit antiwestlichem Zungenschlag dürfte aktuell nicht im Interesse der Mehrheit der BRICS-Kerngruppe liegen. Einige Mitglieder wünschen sich mehr Zusammenarbeit in weniger großen flexiblen und informellen Formaten auf globaler Ebene – im Gegensatz zu in der Vergangenheit maßgeblichen Großkonferenzen mit universaler Teilnahme aller Staaten – und bevorzugen kleinere Koalitionen. Dafür eignen sich Formate wie das Shangri-La-Dialogforum, die auch von europäischer Seite besser genutzt werden sollten. Ein wichtiges Signal wäre es darüber hinaus, wenn sich europäische Konferenzen wie die Münchner Sicherheitskonferenz auch jenseits entsprechender Einladungen stärker für Thematiken des Globalen Südens öffnen. Sie können damit zeigen, dass sie bereit sind für ein verändertes Verständnis in Bezug auf die Frage, wie die Weltordnung künftig aussehen soll, eine Weltordnung, die gemeinsam gestaltet und somit nicht wieder als »vom Westen verordnet« wahrgenommen wird. Solche Fragen der künftigen internationalen Ordnung dürfen nicht nur auf die unmittelbaren europäischen Interessen fokussieren und müssen auch im Dialog mit den Staaten des Globalen Südens bearbeitet werden, um damit neue politische Impulse an diese Länder zu senden.
Prof. Dr. Günther Maihold ist Non-Resident Senior Fellow der SWP.
Dr. Melanie Müller ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.
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DOI: 10.18449/2023A52