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Verfahrensfragen zwischen Konvent und Regierungen
Die Bedeutung der Verfahrensfragen zwischen Konvent und Regierungen
Gibt es im Ergebnis also eine sichere Perspektive für ein im doppelten Sinne überwältigendes Konsenskonzept des Konvents, das die Staats- und Regierungschefs zur Übernahme nötigt? Wie eingangs bereits betont, ist nichts weniger sicher als ein solches Ergebnis und alles hängt vom Vorgehen des Konvents und seiner Präsidentschaft ab. Die dem Konventsprojekt skeptisch gegenüberstehenden Regierungen erwarten jedenfalls eine andere als die zuvor beschriebene Handlungslogik von ihm. Nach deren Auffassung handelt es sich ja nur um eine Art erweiterte Vor-Regierungskonferenz. In ihr dürfte die Bedingung für ein solches Ergebnis, die Konsens- oder wenigstens die Mehrheitsfähigkeit des Konvents für ein fortschrittliches Verfassungskonzept, nur sehr schwierig zu erreichen sein. Die Regierungen könnten sich mit Recht sagen, daß in den heiklen "leftover"-Fragen von Nizza zwischen den Teilnehmern des Konvents und damit auch ihren eigenen Vertretern deutlich schärfere Meinungsverschiedenheiten entstehen werden als das im Grundrechtekonvent der Fall war. Dort ging es letztlich um allgemeine Regelungen mit hohem Konsenspotential und geringer Auswirkung auf Macht und Interessen der Mitgliedstaaten in der Integration. Das ist beim Kampf um Kompetenzen und Entscheidungsverfahren ganz anders. Er würde zu Gegensätzen führen, die selbst mit größter Mühe kaum in ein Konsensdokument zu pressen sind. Vor allem wenn auch Minderheitskoalitionen darauf hoffen können, daß ihre im Konvent unterlegenen Konzepte in der dann folgenden Regierungskonferenz doch den Segen der Hauptstädte erhalten würden. Daher brauchte man keine Angst vor einer, gar noch frühzeitigen, Einigung des Konvents zu haben. Die erwähnten Regierungen könnten auch darauf hoffen, daß starke Persönlichkeiten wie Valéry Giscard d’Estaing, Giuliano Amato und Jean-Luc Dehaene nicht zur Selbstverleugnung neigen und kaum die Disziplin aufbringen werden, sich zugunsten nur eines von ihnen zurückzunehmen und nur ein einziges Konzept zu unterstützen, sondern daß jeder von ihnen eher versucht sein wird, eine Koalition um die eigene Person und Sichtweise zu scharen.
Dann könnten mehrere ähnlich starke Konkurrenzoptionen entwickelt werden. So könnten die Regierungen jetzt also in Ruhe Wahlkämpfe ausfechten oder auch einfach die Konflikte hinausschieben, die mit einer Debatte über die leftovers von Nizza schon bald zwischen ihnen ausbrechen könnten. Und die größten unter ihnen scheinen sich in der Tat darauf einzurichten. 2004 hätten sie dann die beste aller Welten, mit der Chance, noch einmal mit einer gewissen Freiheit aus diesen Optionen zu wählen oder ganz andere vorzuziehen.
Infolgedessen haben jene in den Regierungen und im Konvent, die diesen im Sinne einer Prä-Konstituante arbeiten lassen wollen, selbst dann, wenn seine wichtigsten Akteure sich auf eine Konsensstrategie einlassen, doch allen Anlaß, rasch die weiteren Bedingungen für das Gelingen dieser Strategie sorgfältig zu prüfen und die richtigen Entscheidungen zu fällen. Dazu gehören:
- Die richtige Balance zwischen Konsens und inhaltlichem Ehrgeiz,
- Die Einigung auf den besten Beschlußmodus, und
- Die Rolle der Regierungsvertreter und die Beziehung zu den Mitgliedsregierungen.