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Die Neue Seidenstraße: Wie China internationale Diskursmacht erlangt

Angesichts fehlender westlicher Visionen für die Zukunft der Globalisierung könnte es China schneller als erwartet gelingen, internationale Diskurse zu bestimmen. Nadine Godehardt und Paul J. Kohlenberg über ihre Beobachtungen beim Seidenstraßen-Forum in Peking.

Kurz gesagt, 18.05.2017 Research Areas

Angesichts fehlender westlicher Visionen für die Zukunft der Globalisierung könnte es China schneller als erwartet gelingen, internationale Diskurse zu bestimmen. Nadine Godehardt und Paul J. Kohlenberg über ihre Beobachtungen beim Seidenstraßen-Forum in Peking.

Die Initiative der »Neuen Seidenstraße« ist seit ihrer offiziellen Bekanntmachung 2013 ein zentraler Bestandteil der chinesischen Außenpolitik unter Präsident Xi Jinping. Sie steht für die Vision, ein politisches, wirtschaftliches und kulturelles Netzwerk mit globaler Ausdehnung aufzubauen. Im Zuge der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und seiner »America First«-Rhetorik hat sich der internationale Kontext soweit verändert, dass Xi Jinping an seiner politischen Wortwahl nicht mehr viel ändern musste, um sich als Antipode Trumps oder Visionär einer Globalisierung 2.0 in Stellung zu bringen. Das kürzlich veranstaltete Seidenstraßen-Forum, das die meisten ausländischen Regierungsvertreter seit der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele von 2008 nach Peking lockte, veranschaulicht das. Die rege Teilnahme von 29 Staats- und Regierungschefs sowie Repräsentanten von 130 Staaten unterstreicht die Hoffnung, die vielerorts in Chinas Initiative gelegt wird. Dies vor allem in Zeiten, da die USA sowie die EU als globale Inspirationskräfte ausfallen.

Chinas neue globale Diskursmacht

Das Fehlen westlicher politischer Visionen für die Zukunft der Globalisierung kommt Chinas Führung gelegen und hat sie veranlasst, das außenpolitische Megaprojekt der »Neuen Seidenstraße« in diesem Jahr medial und finanziell weiter aufzustocken. Vor der Eröffnung des Forums im Nationalen Kongresszentrum in Pekings Olympiapark war die Hauptstadt in thematische Werbebanner gehüllt worden. Chinesische Bürger sind wochenlang auf ihren Smartphone-Nachrichten-Apps und im Fernsehen über die außenpolitischen Erfolge entlang der »Neuen Seidenstraße«, die historische Bedeutung des Forums und den persönlichen Verdienst von Präsident Xi Jinping informiert worden. Dass die Seidenstraßeninitiative auch der innenpolitischen Legitimation dient, liegt nahe. Bemerkenswert aber ist, dass es Peking gelingen könnte, ein seit langem offiziell formuliertes außenpolitisches Ziel früher als erwartet zu erreichen: Die Fähigkeit, eigene »internationale Diskursmacht« (chinesisch »guoji huayuquan«) auszuüben. Im Gegensatz zum Konzept der »Soft Power« geht es hierbei nicht primär um die Anziehungskraft Chinas, sondern um Chinas Fähigkeit, einen eigenständigen Diskussionsrahmen internationaler Politik zu definieren.

Viel Zuspruch, verhaltene Kritik

Auf dem Seidenstraßen-Gipfeltreffen in Peking wurde zwei Tage lang Weltpolitik mit oftmals dezidiert chinesischen Begriffen diskutiert. So nahmen auch Vertreter westlicher Industrienationen wie etwa der britische Schatzkanzler Philip Hammond ausdrücklich auf die von Präsident Xi Jinping vorgeschlagenen Prinzipien »der umfassenden Konsultation, des gemeinsamen Beitrags und des geteilten Nutzens« Bezug. Auch die Rede des türkischen Präsidenten Erdoğan, der direkt im Anschluss an Xi und Putin zu Wort kam, kann als Beispiel für einen Diskurs chinesischer Prägung dienen. Erdoğans Plädoyer für die Priorisierung bestimmter Transportrouten – die Türkei und der Mittlere Korridor als zentrale Transitstrecke der Seidenstraße – ist bezeichnend für den neuen Wettbewerb um chinesische Aufmerksamkeit. In einigen der beteiligten Staaten ist offenbar der Eindruck entstanden, dass die regionale Zukunft unabdingbar von China gestaltet werden wird. Deutlich wurde dies insbesondere in den Reden von Vertretern des globalen Südens. Der äthiopische Ministerpräsident Hailemariam Desalegn beschrieb die Seidenstraßeninitiative als »größte Chance der Gegenwart«. Untermauert wird dieser Eindruck durch Xis Ankündigung, weitere finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Der seit Ende des Jahres 2014 bestehende Seidenstraßenfonds von 40 Milliarden US-Dollar soll um 14 Milliarden Dollar aufgestockt werden. Auch das Engagement der chinesischen Staatsbanken soll gesteigert werden. Für die ärmeren Staaten entlang der Seidenstraßen sind 8,7 Milliarden Dollar in Form von Hilfszahlungen und zinsfreien Krediten vorgesehen.

Natürlich bedeutet all dies nicht, dass es der Seidenstraßeninitiative in Asien an Verweigerern, wie Indien, skeptischeren Beteiligten, wie Russland, oder an Risiken und Herausforderungen fehlt. So mangelt es an Transparenz und Bemühungen, die Projekte nachhaltig zu gestalten. In diesem Sinne hielt die deutsche Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries in ihrem Beitrag zum Eröffnungsplenum des Forums vergleichsweise großen Abstand zu den offiziellen chinesischen Narrativen. Sie stellte auf die Notwendigkeit einer weiteren Öffnung des chinesischen Marktes sowie fairere Wettbewerbsbedingungen ab und betonte, dass globale Netzwerke ohne ein Zentrum auskommen müssten. Damit greift sie, wenngleich kritisch, das für die Initiative bedeutsame chinesische Schlagwort der »Konnektivität« auf, mit dem die Bildung von Netzwerken beschrieben wird. Das verdeutlicht, dass internationale Akteure zwar Skepsis an den Tag legen können, aber letztlich nicht umhinkommen, mit dem durch die Seidenstraßeninitiative vorgegebenen Gedankengerüst zu argumentieren.

»Rome wasn‘t built in a day«, sagte Präsident Xi in seiner Rede, wohl auch um dem steigenden Erwartungsdruck zu begegnen. Ebenso gut hätte er sagen können, dass viele Wege nach Rom führen werden. Denn es steht außer Frage, wo die Staaten der Seitenstraßeninitiative das Zentrum des globalen Netzwerkes verorten sollen: in China.

Aufbau neuer Diskursallianzen im Rahmen der Neuen Seidenstraße

Auf dem Weg dorthin plant China – wie Xi Jinping in seiner Rede ankündigte – Allianzen von Medien, NGOs und Think Tanks zur Gestaltung eines gemeinsames Narrativs, das die globale öffentliche Meinung im Sinne der Seidenstraßeninitiative beeinflussen soll. Der im Rahmen des Forums stattfindende »Think-Tank-Austausch«, gesponsert von der Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei Chinas, war ein erster Baustein hierzu. Die Idee der Seidenstraße ist damit deutlich mehr, als eine groß angelegte Infrastruktur- und Entwicklungsinitiative. Sie ist auch ein Anzeichen dafür, dass China seine internationale Diskursmacht künftig nutzen wird, um eigene Diskussionsformate global zu etablieren.