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Die EU-Wahlbeobachtung in Ägypten war ein Fehler

Die Bewertung der ägyptischen Präsidentschaftswahlen durch EU-Beobachter ist mehr als fragwürdig. Vor allem aber hat sich die EU mit deren Entsendung auf die Seite der Repression in Ägypten geschlagen und verliert damit an Einfluss, kritisieren Lars Brozus und Stephan Roll.

Kurz gesagt, 30.05.2014 Research Areas

Die Bewertung der ägyptischen Präsidentschaftswahlen durch EU-Beobachter ist mehr als fragwürdig. Vor allem aber hat sich die EU mit deren Entsendung auf die Seite der Repression in Ägypten geschlagen und verliert damit an Einfluss, kritisieren Lars Brozus und Stephan Roll.

Vom 26. bis zum 28. Mai 2014 wurde in Ägypten ein neuer Präsident gewählt. Abdel Fatah al-Sisi konnte sich hierbei mit deutlich über 90 Prozent der Stimmen gegen den einzigen Gegenkandidaten, den Linkspopulisten Hamdeen Sabahi, durchsetzen. Überraschend kam al-Sisis haushoher Sieg nicht, wurde der ehemalige Armeechef doch vom Staatsapparat und von weiten Teilen der ägyptischen Elite unterstützt. Überraschend war indes die offensichtlich geringe Wahlbeteiligung, die die Wahlkommission veranlasste, den Urnengang von zwei auf drei Tage zu verlängern.

Äußerst fragwürdige Bewertung des Wahlprozesses

Beobachtet wurde die Wahl von mehreren Nichtregierungsorganisationen, der Afrikanischen Union, der Arabischen Liga und der Europäischen Union. Die EU-Mission stieß von Anfang an auf Hindernisse, stand kurz vor dem Abbruch und konnte letztlich nur in reduziertem Umfang durchgeführt werden. Auch dadurch waren die EU-Vertreter außerstande, ein umfassendes Bild der Lage zu gewinnen.

Umso mehr erstaunt der positive Tenor der ersten Stellungnahme der EU-Mission nach der Wahl. Der ägyptischen Führung wird eine »Durchführung im Rahmen der Gesetze« bescheinigt. Obgleich der politische Kontext der Wahl als repressiv beschrieben wird, betonen die EU-Vertreter, dass es in der ägyptischen Bevölkerung »eine breite Unterstützung« für die Roadmap der Übergangsführung in Kairo gibt. Belege hierfür liefern sie nicht. Die spontane Verlängerung der Wahl um einen Tag wird als rechtmäßig eingestuft, obgleich diese Entscheidung der Wahlkommission selbst unter ägyptischen Juristen durchaus umstritten ist. Noch problematischer ist indes das Fehlen einer eigenen Bewertung der Wahlbeteiligung. Stattdessen geben die EU-Beobachter mit 47,3 Prozent die Zahl der Wahlkommission wieder. Dass dies angesichts leerer Wahllokale verdächtig hoch erscheint, hätte thematisiert werden müssen. Zudem fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass die Bevölkerung unter Strafandrohung aufgefordert worden ist, zur Wahl zu gehen. Zwar gibt es im ägyptischen Gesetz eine Bestimmung zur Wahlpflicht, die jedoch bislang nie angewendet wurde. Dass dies nun anders war, verdeutlicht das verzweifelte Bemühen der ägyptischen Behörden, die Wahlbeteiligung zu erhöhen, um den neuen Präsidenten mit möglichst viel Legitimität auszustatten.

Mit der Entsendung einer Mission legitimiert die EU die Wahl

Das eigentliche Problem der EU-Beobachtungsmission liegt indes nicht in ihrer fragwürdigen Bewertung. Vielmehr hat die EU mit der politischen Entscheidung zur Durchführung der Mission diesem unfairen und unfreien Wahlprozess ein erhebliches Maß an externer Legitimität verliehen. Die Einladung der ägyptischen Behörden an die EU, eine große Mission zu entsenden, könnte angesichts mangelnder Unterstützung für al-Sisi durchaus von den Befürchtungen vor einer schwachen Wahlbeteiligung geleitet gewesen sein. Umso wichtiger ist aus Sicht des Regimes die externe Legitimierung durch die EU, mit der die mangelnde interne Legitimierung wenigstens zum Teil aufgewogen wird. Die Legitimationszufuhr für das ägyptische Regime ist umso größer, als die Mission eine explizit politische Komponente hatte. Denn es nahmen nicht nur technische Wahlbeobachtungsspezialisten teil, sondern auch eine Delegation von Europaabgeordneten. Es kann daher nicht überraschen, dass die EU-Mission in ägyptischen Staatsmedien als Unterstützung für den politischen Prozess gewertet wird.

Offenbar geht es der EU mehr um eine kurzfristige Stabilisierung der Situation als um langfristige Stabilität. An eine erfolgreiche demokratische Transformation Ägyptens scheint sie nicht zu glauben. Vielmehr sendet sie ein Signal an die herrschenden Eliten, dass der von diesen gelenkte politische Prozess akzeptiert wird. Damit verprellt sie nicht nur Regimegegner, etwa die Aktivisten, die vor drei Jahren Mubarak zu Fall brachten und anschließend von der EU – zu Recht – als Protagonisten des zivilgesellschaftlichen Anspruchs auf Selbstbestimmung gefeiert wurden. Sie schädigt auch ihre langfristigen Einflussmöglichkeiten. Denn wenn sich abzeichnet, dass al-Sisi mangels gesellschaftlicher Unterstützung nicht erfolgreich regieren kann, bleiben zwei denkbare Entwicklungsmöglichkeiten: entweder wird die staatliche Repression weiter vorangetrieben. Das wird die EU auf Dauer nicht ignorieren können. Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international sprechen bereits heute von völlig inakzeptablen Verhältnissen, von Einschränkungen der Pressefreiheit, exzessiver Polizeigewalt einschließlich ungeahndeter Tötungen und Masseninhaftierungen. Oder die Unzufriedenheit in der ägyptischen Bevölkerung führt zu neuen Massenprotesten. Kommt es aber zu einem neuerlichen Umsturz, wird die EU erhebliche Schwierigkeiten haben, ihre Unterstützung für den gelenkten politischen Prozess, wie er sich jetzt darstellt, zu rechtfertigen.

Erzwungene Legitimität mit freundlicher Unterstützung der EU

Die zusammenfassende Aussage eines Mitglieds der EU-Mission gegenüber der Presse, die Wahl sei »demokratisch, friedlich, frei aber nicht notwendigerweise fair« verlaufen, ist angesichts des politischen Klimas blanker Hohn. In den Augen ihrer ägyptischen Kritiker hat sich die Mission damit vollständig diskreditiert. Selbst wenn der Abschlussbericht der EU-Mission, der in einigen Wochen veröffentlicht werden soll, deutlichere Worte über die Unzulänglichkeit der Wahlen finden sollte: der Eindruck wird bleiben, dass die EU sich auf die Seite der Repression in Ägypten stellt, indem sie einen durch und durch undemokratischen Prozess politisch nicht nur nicht boykottiert, sondern geradezu unterstützt. 

Der Text ist auch bei Zeit.de erschienen.