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Der Europarat sollte auf Russlands Mitgliedschaft verzichten

Nachdem Russland dafür gesorgt hat, dass es Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht mehr folgen muss, und angesichts der Menschenrechtsverletzungen auf der Krim gibt es keine Rechtfertigung mehr für den Verbleib des Landes im Europarat, meint Susan Stewart.

Kurz gesagt, 11.05.2016 Research Areas

Nachdem Russland dafür gesorgt hat, dass es Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht mehr folgen muss, und angesichts der Menschenrechtsverletzungen auf der Krim gibt es keine Rechtfertigung mehr für den Verbleib des Landes im Europarat, meint Susan Stewart.

Auch vor der Krise in und um die Ukraine war Russland ein schwieriges Mitglied des Europarats. Seine Vertreter haben die Parlamentarische Versammlung als Bühne für ihre eigenen Anliegen genutzt, sowohl in Straßburg als auch in den russischen Medien. Statt für eine Verbesserung von Demokratie und Menschenrechten in Russland einzutreten, haben sie dafür gestritten, Formulierungen abzumildern, die Russland betreffen. Dabei waren sie sich nicht zu schade, Koalitionen mit Ländern wie Aserbaidschan oder Gruppierungen wie den britischen Konservativen zu schmieden, um gemeinsam auf eine Aushöhlung der Prinzipien des Europarats hinzuwirken.

Neues Gesetz erlaubt Russland Missachtung der Urteile internationaler Gerichte

Einen gewissen Ausgleich für das problematische Auftreten der russischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung bildete bisher Russlands Bereitschaft, sich – wie alle anderen Mitgliedstaaten des Europarats – dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) unterzuordnen. Auch wenn dessen Urteile nicht zu systematischen Änderungen in der russischen Gesetzgebung führten, war Russland in aller Regel bereit, die vom Gerichtshof geforderten Entschädigungen zu zahlen. So hatten und haben russische Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, gegen Entscheidungen russischer Gerichte zu klagen, wenn sie von Verletzungen der Europäischen Konvention für Menschenrechte betroffen sind. In den meisten zugelassenen Fällen haben die Kläger die Verfahren gewonnen.

Russlands Akzeptanz des EGMR ist bislang ein wichtiges Argument für den Verbleib des Landes im Europarat gewesen. Im Dezember 2015 allerdings ist ein Gesetz verabschiedet worden, das es dem russischen Verfassungsgericht erlaubt, Urteile des EGMR sowie anderer internationaler Gerichte zu ignorieren, wenn diese der Verfassung der Russischen Föderation widersprechen. Da die Exekutive das Gerichtssystem in Russland weitgehend kontrolliert, ist zudem zu erwarten, dass fortan politisch entschieden wird, ob die Verfassung über internationale Urteile gestellt wird oder nicht. Im April ist es zur ersten Anwendung des neuen Gesetzes gekommen: Auf einen Antrag des Justizministeriums hin hat das Verfassungsgericht beschieden, dass einem EGMR-Urteil zum Wahlrecht von inhaftierten Personen nicht stattzugeben sei, weil es eine Verfassungsänderung erfordere. Anders als bisher wird man wohl künftig nicht mehr damit rechnen können, dass Russland die Urteile des EGMR akzeptiert und umsetzt. Damit verstößt das Land gegen eine fundamentale Verpflichtung, die alle Mitgliedstaaten des Europarates eingegangen sind

Problematisches Menschenrechtsklima auf der Krim

Eine weitere alarmierende Entwicklung betrifft den Umgang der russischen Führung mit der illegal annektierten Krim. Hier hat Russland deutlich gezeigt, dass es nicht gewillt ist, wichtige Menschenrechtsstandards einzuhalten. Seit März 2014 kontrolliert Russland de facto das politische und wirtschaftliche Geschehen auf der Halbinsel. Es ist wiederholt zu Bedrohungen und Festnahmen von Journalisten sowie krimtatarischen Aktivisten gekommen, die sich kritisch zur Annexion bzw. zu den Verhältnissen unter russischer Kontrolle geäußert hatten. Einige Personen sind verschwunden, während andere in die restliche Ukraine geflohen sind, um der Verfolgung zu entkommen. Personen, die sich weigern, die russische Staatsangehörigkeit anzunehmen, wird der Zugang zu Arbeit und sozialen Leistungen erschwert. Ende April wurde die gewählte Vertretung der Krimtataren, der Medschlis, vom russischen Justizministerium sowie vom Obersten Gericht der Krim ohne faires Verfahren zu einer extremistischen Organisation erklärt und damit verboten. Sein Vorsitzender, Refat Tschubarow, darf die Krim bereits seit Juli 2014 nicht mehr betreten. Die Vertreter der lokalen Medschlisse in zahlreichen Ortschaften auf der Krim laufen nun Gefahr, als Extremisten abgestempelt und festgenommen zu werden.

Immerhin ist es dem Europarat gelungen, Ende Januar eine Delegation auf die Krim zu entsenden, die im April einen Bericht über ihre Erfahrungen samt Empfehlungen veröffentlicht hat. Dort ist ausdrücklich vor einem Verbot des Medschlis gewarnt worden, das einer systematischen Repression der Krimtataren gleichkäme. Offensichtlich haben sich die russischen Behörden diese Empfehlung nicht zu Herzen genommen, wie sie auch bisherigen, gut begründeten, Empfehlungen kaum je gefolgt sind. So ist es dem Europarat über Jahre hinweg nur punktuell geglückt, Verbesserungen der Menschenrechtssituation in Russland zu bewirken, obwohl nennenswerte Schritte den Verpflichtungen Russlands als Mitglied im Europarat klar entsprochen hätten. Russlands Umgang mit der Situation auf der Krim zeigt, dass die Führung eine bewusste Entscheidung getroffen hat, auch hier wesentliche Menschenrechte wie das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit und Sicherheit oder das Recht auf Meinungsäußerung zu missachten.

Zu Russlands bisherigem destruktiven Verhalten in der Parlamentarischen Versammlung sind nun eine Ablehnung der Hoheit des EGMR sowie ein höchst problematisches Menschenrechtsklima auf der Krim hinzugekommen. Diese Kombination macht es unmöglich, die russische Mitgliedschaft im Europarat weiterhin zu rechtfertigen. Zwar verlöre der Europarat durch einen Ausschluss Russlands einige – wenngleich kaum wirksame – Einflusshebel auf das Land, und russische Bürgerinnen und Bürger könnten nicht mehr beim EGMR klagen. Dem Europarat entstünde zudem ein finanzieller Schaden sowie der symbolische Verlust, nicht mehr als paneuropäische Institution gelten zu können. Diese Opfer aber sind als gering einzuschätzen im Vergleich zu den Vorteilen eines Ausschlusses, selbst angesichts der ohnehin schon schwierigen Beziehungen zwischen Russland und dem Westen: ein größerer Konsens im Sinne der Europaratsprinzipien in der Parlamentarischen Versammlung, keine Toleranz für eine Unterminierung des Gerichtshofs, eine höhere Glaubwürdigkeit der Institution insgesamt. Das Ministerkomitee sollte daher nun den Ausschluss einleiten und damit ein Zeichen setzen, dass die übrigen europäischen Länder bereit sind, die Prinzipien zu verteidigen, die Russland nicht nur im Europarat verhöhnt.

Der Text ist auch bei EurActiv.de und Zeit.de erschienen.