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Dauerbaustelle Binnenvertreibung

Wichtige Ansatzpunkte in den Empfehlungen des UN High-Level Panel on Internal Displacement

SWP-Aktuell 2021/A 70, 08.11.2021, 6 Pages

doi:10.18449/2021A70

Research Areas

Im September hat das vom Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN) eingesetzte »High-Level Panel zu Binnenvertreibung« seinen Abschlussbericht vorgelegt. Darin verlangt es eine Schwer­punktverschiebung von kurzfristigen humanitären hin zu längerfristigen entwicklungsorientierten Ansätzen und somit eine Fokussierung auf dauerhafte Lösungen. Zentrale Reformvorschläge des Panels – ins­besondere die Ein­richtung eines Globalen Fonds und die Ernennung eines UN-Sonder­beauftragten zum Thema – sind auf inter­nationaler Ebene derzeit nicht konsensfähig. Gleichwohl bietet der Bericht wichtige Ansatzpunkte, um langandauernde Binnenvertreibung zu bewäl­tigen: zum einen neue Anreizstrukturen und Rechenschaftsmechanismen, um eine aktive Beteiligung der direkt betroffenen Regierungen zu för­dern, zum anderen die Opera­tionalisierung des Humanitarian-Development-Peace Nexus (HDP-Nexus). Um diese Empfehlungen mit Leben zu füllen, sollte sich die neue Bundesregie­rung ressort­übergreifend im Follow-up-Prozess zum High-Level Panel engagieren.

Nach Angaben des Internal Displacement Monitoring Centre waren im Jahr 2020 ins­gesamt 48 Millionen Menschen aufgrund von Kriegen und bewaffneten Konflikten innerhalb ihres eigenen Landes vertrieben, die überwiegende Mehrheit von ihnen in Ent­wicklungs- oder Schwellenländern. Hinzu kommen 7 Millionen Menschen, die ihre Herkunftsorte infolge von Naturkatastrophen und klimabedingten Ereignissen verlassen mussten, sowie weitere, die wegen gro­ßer Infrastrukturprojekte, Menschenrechtsverletzungen oder organi­sierter Kri­mi­nalität geflohen sind. Die Zahl der Binnen­vertriebenen übersteigt damit die Zahl grenz­überschreitender Flüchtlinge seit Jahren. Anders als Letztere haben sie aber kein Anrecht auf inter­natio­nalen Schutz. Statt­dessen liegt die Verantwortung für ihren Schutz und ihre Versorgung bei den jeweili­gen Regierungen.

Geringe nationale und internationale Aufmerksamkeit

Allzu oft werden Regierungen ihrer Ver­antwortung für Binnenvertriebene nicht gerecht. Die Gründe hierfür sind vielfältig: In manchen Fällen, wie in Syrien oder im Sudan, sind staatliche Akteure aktiv an den Vertreibungen beteiligt und es liegt ihnen fern, den Betroffenen zu helfen. In ande­ren, etwa in der Demokratischen Republik Kongo oder in Somalia, fehlt es den Regie­rungen an Kapazitäten und Ressourcen, um wirksam zu reagieren. In vielen Fällen ist aber beides nicht aus­schlaggebend, so in Afghanistan. Stattdessen hat die Unterstützung von Binnenvertriebenen – die häufig schon vor der Vertreibung zu benach­teilig­ten und marginalisierten Bevöl­kerungs­gruppen gehörten – für natio­nale Ent­schei­dungsträgerinnen und ‑träger schlicht keine Prio­rität.

Dies führt zu immer mehr Fällen langandauernder Binnenvertreibung, die einen Großteil der weltweiten Binnenvertreibung ausmacht. Die hiervon Betroffenen leiden unter vertreibungsbedingten Benachteiligungen, obwohl die ursprüngliche Ver­trei­bung Jahre oder Jahrzehnte zurückliegt. Der Mangel an dauerhaften Lösungen äußert sich beispielsweise in Form ein­geschränk­ten Zugangs zu staatlichen Grund­leistun­gen oder dauerhaft prekärer Wohnsitua­tio­nen. Darüber hinaus geht Binnenvertreibung mit erheblichen gesamtgesell­schaft­lichen Kosten einher, etwa in Gestalt wirt­schaft­licher Einbußen und der Verschärfung bestehender Gewaltkonflikte.

Gleichzeitig fehlt es an internationaler Aufmerksamkeit für Binnenvertreibung, weil diese anders als grenzüberschreitende Flucht keine unmittelbaren Auswirkungen auf andere Länder hat. Zudem werten viele betroffene Regierungen einen Einsatz für die Rechte von Binnenvertriebenen, der über deren huma­nitäre Versorgung hinaus­geht, als un­zulässigen Eingriff in ihre inne­ren Ange­legenheiten. Und schließlich sind die institutionellen Zuständigkeiten für Bin­nenvertriebene im UN-System seit jeher unscharf definiert und von Mandatsstreitig­keiten zwischen den Akteuren geprägt – im Clusteransatz der humanitären Hilfe insbesondere zwischen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und dem Flüchtlingskommissariat der Ver­einten Na­tio­nen (UNHCR). Hinzu kommen die unzureichende Einbindung von Ent­wick­lungs­akteuren wie dem Entwick­lungs­programm der Vereinten Nationen (UNDP) sowie die Tatsache, dass für katastrophenbedingte und konflikt­induzierte Binnenvertriebene häufig sepa­rate Unterstützungsstrukturen bestehen. Infolge­dessen bleibt das inter­nationale Engage­ment gering, fragmentiert und wenig verlässlich.

Der Weg zum High-Level Panel

Ergebnis dieser Gemengelage aus mangelnder Priorisierung, dem Umstand, dass es sich um ein politisch sensibles Thema han­delt, sowie fragmentierten institutio­nellen Zustän­digkeiten ist, dass Binnenvertreibung in zentralen fluchtpolitischen Ver­hand­lungen und Prozessen nicht berück­sichtigt wurde: Während die Einleitung der New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Mig­ran­ten von 2016 auf den Handlungs­bedarf in dieser Frage hinweist, bezieht sich der dar­auf aufbauende Globale Pakt für Flücht­linge nur auf Situationen grenzüberschreitender Flucht.

Um die hierdurch entstandene normative und institutionelle Leerstelle zu füllen, for­derte eine Gruppe von 57 Staaten – dar­unter neben den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch einige von Binnen­vertreibung betroffene Länder wie Afghanistan, Georgien, Irak und Nigeria – im Mai 2019 den UN-Generalsekretär António Guterres dazu auf, ein High-Level Panel zum Thema Binnenver­treibung ins Leben zu rufen. Dieses sollte mehr internationale Auf­merksamkeit schaffen und konkrete Lösungs­ansätze für das sich verschärfende globale Problem der Binnen­vertreibung erarbeiten. Ende 2019 beauf­tragte Guterres UNHCR, IOM und das Amt der Vereinten Nationen für die Koordi­nierung humanitärer Ange­legen­heiten (OCHA) mit der Konzeption eines solchen Gremiums. Ausgewählt wurden acht Ver­treterinnen und Vertreter von Regierungen, Zivil­gesellschaft, Privatwirtschaft und inter­natio­nalen Organisationen, die Mehrzahl von ihnen aus direkt von Binnenvertreibung be­troffenen Ländern. Anfang 2020 nahm das Panel seine Arbeit auf. Auch die deut­sche Regie­rung unterstützte den Pro­zess finan­zi­ell und politisch.

Fokus auf dauerhafte Lösungen

Der im September 2021 erschienene Ab­schlussbericht des Panels »Shining a Light on Internal Displacement. A Vision for the Future« spiegelt eine im Mandat des Gre­miums angelegte, im Verlauf der Arbeit aber noch einmal zugespitzte Fokussierung auf dauerhafte Lösungen für Binnen­vertrie­bene und aufnehmende Gemeinden wider (Empfehlungen 1–7). Deutlich weniger ausführlich geht der Bericht auf die Präven­tion und auf Schutz und Unter­stützung in humanitären Notlagen ein (Emp­fehlun­gen 8 und 9). Abschließend macht er Vor­schläge für das Follow-up des Panel-Prozes­ses (Empfehlung 10).

Diese Schwerpunktsetzung beruht auf der Einschätzung, dass die größten Hand­lungsmöglichkeiten bei der Bewältigung langandauernder Vertreibungssituationen liegen. Hier sind echte Fortschritte aller­dings nur im Einvernehmen mit den jewei­ligen Regierungen möglich. Die Emp­feh­lungen beziehen sich daher explizit auf Länderkontexte, in denen staatliche Ak­teure grundsätzlich bereit sind, sich kon­struktiv mit Binnenvertreibung ausein­ander­zu­set­zen. Zudem stehen sie für einen Wandel von kurzfristig angelegter huma­nitärer Hilfe hin zu langfristigen und stärker entwicklungsorientierten Ansätzen.

Als Ausgangspunkt rekapituliert der Bericht eine Reihe von Forderungen an nationale Akteure, über die in Wissenschaft und Praxis schon lange weitgehende Einig­keit herrscht: Im Rahmen eines Gesamt­regierungsansatzes sollen betroffene Regie­rungen Gesetze und Strategien zum Schutz der Grundrechte von Binnenvertriebenen verabschieden und finanzielle Mittel für Lösungsansätze auf lokaler und kom­mu­naler Ebene bereitstellen. Darüber hinaus spricht sich das Panel dafür aus, Binnen­vertriebene aktiv in Friedensprozesse ein­zubinden und ihre Bedarfe gezielt in natio­nalen und lokalen Entwicklungs­plänen sowie in stadtplanerischen Pro­zessen zu berücksichtigen (Empfehlung 1). Die Umset­zung dieser Ziele soll dadurch unterstützt werden, dass zivilgesellschaft­liche Akteure systematisch beteiligt und privat­wirtschaft­liches Engagement geför­dert wird (Empfehlungen 3 und 4).

Ungeachtet der Relevanz dieser Ansätze liegt der Mehrwert des Berichts an anderer Stelle: Zum einen zeigt er konkret auf, wie der für die Realisierung dauerhafter Lösun­gen erforderliche poli­tische Wille gefördert bzw. mobilisiert werden kann, zum ande­ren enthält er Vorschläge für die Operationa­lisierung des HDP-Nexus.

Anreize setzen und Rechenschaft stärken

Um den politischen Willen staatlicher Akteure zu stärken, schlägt das Panel vor, neue Anreizstrukturen und Rechenschaftsmechanismen zu etablieren. Hierzu soll unter anderem ein UN-Sonderbeauf­trag­ter für Lösungen im Bereich Binnen­vertreibung (Special Representative of the Secretary-Gen­eral (SRSG) on Solutions to Internal Dis­placement) ernannt werden. Dieses Amt würde über größeres politisches Gewicht verfügen als das schon existierende der UN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen. Dieser Ein­fluss soll genutzt werden, um durch gezielte diplomatische Bemühungen sicher­zu­stel­len, dass sich betroffene Regie­rungen kontinuierlich engagieren. Ein jähr­licher UN-Bericht zum Thema und die straf­recht­liche Ver­fol­gung von Vertreibungs­akteuren vor natio­nalen Gerichten oder dem Inter­natio­nalen Strafgerichtshof sollen da­für sor­gen, dass Regierungen ihrer Rechen­schafts­pflicht nachkommen (Empfehlung 2).

Für ebenso wichtig erachtet das Panel Finanzierungsstrukturen, die Anreize dafür bieten, dauerhafte Lösungen zu schaffen. Es empfiehlt, Lösungsansätze für das Prob­lem der Binnenvertreibung systematischer als bis­her in bereits vorhandene Finanzierungs­mechanismen der Entwicklungszusammen­arbeit (EZ) zu integrieren. Gleichzeitig sollen eigen­ständige und auf dauerhafte Lösungen ausgerichtete Finanzierungs­instrumente geschaffen werden. Sie sollen als Kata­lysa­tor für die Umsetzung solcher Lösungen dienen, dabei aber auch zur Leis­tungsüber­wachung und Einhaltung der Rechenschafts­pflicht beitragen. Ein konkre­ter Vorschlag sieht vor, einen Globalen Fonds für Lösun­gen im Bereich Binnenvertreibung ein­zu­richten (Empfehlung 6).

Schließlich plä­diert der Bericht dafür, in eine verbesserte Datensammlung und ‑analyse zu investieren, um auf Basis der so gewonnenen Er­kenntnisse nationale Akteure vom Mehr­wert dauerhafter Lösun­gen zu überzeugen (Empfehlung 7).

Operationalisierung des HDP‑Nexus

Um die vom High-Level Panel angestrebte Schwerpunkt­verschiebung von einem pri­mär humanitären zu einem entwicklungs­orientierten Umgang mit langandauernder Bin­nenvertreibung zu fördern, regt der Bericht eine Reihe UN-interner Refor­men im Sinne des HDP-Nexus an. Auch hier ist die Ernennung eines SRSG mit der politi­schen Auto­rität, UN-Akteure aus allen drei Feldern zusammenzubringen, zentral.

Ebenso viel Bedeutung spricht das Panel den in den jeweiligen Ländern ansässigen UN Resident Coordinators zu, den ranghöchsten Vertreterinnen und Vertretern des UN-Entwicklungs­systems auf Landesebene. Es empfiehlt, deren Führungsposition bei der Entwicklung und Koordinierung von Lösungsstrategien im Kontext von Binnenvertreibung formell zu bekräftigen und diese Verantwortung in ihre Aufgaben­beschreibung aufzunehmen. Zudem sollen die mit EZ befassten UN-Organisationen ihr Engagement im Bereich dauerhafte Lösun­gen intensivieren und sich für eine gemein­same Analyse und Programmplanung ein­setzen (Empfehlung 5).

Die Finanzierung dauerhafter Lösungen soll den Emp­fehlungen des Development Assistance Committee (DAC) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zum Nexus-Ansatz ent­sprechen (Empfehlung 6).

Hürden und Kontroversen

Angesichts des zunehmenden Problemdrucks aufgrund stetig steigender Zahlen an Binnenvertriebenen waren die Erwartungen an das Panel hoch. Die Bereitschaft einiger direkt betroffener Regierungen, sich konst­ruk­tiv einzubringen und auf dauerhafte Lösungen hinzuarbeiten, schürte die Hoff­nung, dass der Prozess eine Eigen­dynamik entwickeln würde. Man versprach sich greif­bare Ergebnisse und ein stärkeres natio­na­les Engagement für dauerhafte Lösungen. Nach Veröffentlichung des Abschluss­berichts zeich­net sich jedoch ab, dass diese Erwar­tun­gen in naher Zukunft nicht erfüllt wer­den. Dafür lassen sich drei wesentliche Gründe ausmachen.

Fehlender politischer Konsens

Erstens mangelt es an poli­tischer Unterstützung für einige der pro­minentesten Emp­feh­lungen des Panel-Berichts, insbesondere für die Ernennung eines SRSG sowie für die Einrichtung eines Globalen Fonds für Lösun­gen im Bereich Binnenvertreibung. Auf UN-Ebene ist dies zurückzuführen auf die fort­währende Konkurrenz hinsichtlich der insti­tu­tionellen Zuständigkeit für Binnen­vertreibung. Vor allem IOM und UNHCR haben eine ablehnende Haltung gegenüber der Neueinsetzung eines SRSG; gleichzeitig signalisiert UNDP Interesse daran, eine Koor­dinierungsrolle einzunehmen. Auch die kurz vor Veröffent­lichung des Abschluss­berichts offen geäußerten Beden­ken gegen die Ein­setzung eines SRSG deuten darauf hin, dass es Versäumnisse gab in der für einen erfolgreichen Pro­zess unerlässlichen politischen Konsens­bildung.

Zusätzlich haben die Regierungen wichtiger Geberländer legi­time Vorbehalte gegen­über der Einrichtung eines weiteren inter­nationalen Fonds im Themenfeld Flucht und Migration: Sie befürchten, dass sich dar­an nur eine kleine Gruppe von Staaten betei­li­gen würde, ähnlich wie beim Mig­ration Multi-Partner Trust Fund, der im Rahmen des Globalen Paktes für eine sichere, geord­nete und reguläre Migra­tion gegründet wurde.

Skepsis auf Seiten der EZ

Zweitens krankte der Panel-Prozess von Beginn an daran, dass Entwicklungsakteure nur unzulänglich eingebunden wurden. Die Skep­sis von UNDP und Weltbank gegen­über dem Ausbau separater Advocacy- und Finan­zierungsstrukturen für Binnenvertriebene verweist auf die grund­legende Dis­kre­panz zwischen gruppen­spezifischer huma­nitärer Unterstützung und dem integrierten Ansatz der EZ (ideal­typisch: status-based vs. area-based approaches), die eine der größten Hürden bei der Umsetzung des HDP-Nexus darstellt.

Die ungenügende Einbeziehung der Ent­wicklungsakteure in die Konzeption des Panels schlägt sich auch im Ton des Berichts nieder, der sich in Teilen wie ein Forde­rungs­katalog von humanitären Akteuren an die EZ liest. Dies läuft dem Ziel zuwider, zu einem gemeinsamen Verständnis der Hand­lungsbedarfe zu kommen, und schmä­lert die Chance auf ein sektorübergreifendes Engagement für dauerhafte Lösun­gen. Daneben fehlen überzeugende Vorschläge für eine systematische Einbindung von Friedensakteuren.

Mangel an Hoffnungsträgern

Drittens hat die Zeit gegen das High-Level Panel gear­beitet. Entstand die Forderung nach einem solchen Gremium noch im Kon­text einer gewissen Aufbruchstimmung, in der es erstmals möglich schien, eine kritische Gruppe betroffener Staaten zum Handeln zu bewegen, sind im Verlauf der vergangenen zwei Jahre zwei zentrale Hoff­nungsträger weggebrochen: Äthiopien be­findet sich im Bürgerkrieg, in Afghanistan haben die Taliban die Macht übernom­men. Zwar gäbe es andere Länder wie Somalia, in denen sich in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Regierung entwicklungsorientierte Ansätze ausbauen ließen – aber diese Liste ist kurz.

Ansatzpunkte für deutsches Engagement

Ungeachtet dieser Probleme ist der Panel-Prozess nicht irrelevant. Das grundlegende Anliegen des Panels, die Bemühungen um dauerhafte Lösungen zu intensivieren, ist konsensfähig und zukunftsweisend – und steht auch im Einklang mit den im Mai 2021 veröffentlichten Empfehlungen der Fach­kommission Fluchtursachen der Bun­des­regierung. Zudem ist die Strategie, einer­seits Anreizstrukturen und Rechenschaftsmechanismen für staatliche Akteure zu schaffen und andererseits im UN-Institutio­nen­gefüge huma­nitäre und entwicklungsorientierte Ansätze besser zu verzahnen, für viele Regierungen anschlussfähig. Die Ausgestaltung der sich hieraus ableitenden Maßnahmen braucht allerdings einen star­ken politischen Konsens, der erst noch er­arbeitet werden muss. Der nun vorliegende Bericht sollte demzufolge nicht als End­punkt eines Prozesses gelesen werden, son­dern als Grund­lage für weitere Verhandlungen.

Eine Stärke des Panel-Prozesses lag in seiner partizipativen Natur, die sich in einer Vielzahl gehaltvoller Einreichungen von staatlichen und nichtstaatlichen Akteu­ren zeigte. Nun gilt es, dieses Momentum aufrechtzuerhalten und in einen zielorientierten Austausch über unterschiedliche Handlungsoptionen auf internationaler Ebene zu überführen. Hierfür bedarf es einer eigens dem Thema gewidmeten Platt­form – beispielsweise in Form eines Globa­len Forums zu Binnenvertreibung, welches alle relevanten Akteure zusammenbringt. Abgesehen davon sollte die neue Bundes­regierung die prozessorientierten Ele­mente des Panel-Berichts unterstützen – also die Ver­stetigung von Foren, auf denen die Regie­rungen von Staaten, die von Binnen­vertrei­bung betroffen sind, Erfahrungen austauschen; die Grün­dung einer sogenannten »Coalition of Champions«, in der Akteure aus der huma­nitären Hilfe, der EZ, der Friedens­bildung und anderen relevanten Sektoren gemeinsam Lösungsstrategien ent­wickeln; schließlich die Einrichtung einer Kontaktgruppe bilateraler Geber, internatio­naler Finanzinstitutionen und der OECD, die ge­zielt darauf hinwirkt, Binnenvertreibung in Instru­mente der Entwicklungs­finanzierung zu integrieren.

Um dauerhafte Lösungen zu erreichen, ist ein Brückenschlag zwischen humanitären und entwicklungsorientierten Ansätzen einerseits und eine geteilte deut­sche Ressort­zuständigkeit für das Themenfeld Binnenvertreibung andererseits von ent­schei­den­der Bedeutung. Daher sollten sich das Aus­wärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gleich­wertig an diesen Prozessen beteiligen. Bei einem hoch­rangi­gen Forum zu Binnenvertreibung könnte das BMZ seine Erfahrungen aus der Sonder­initia­tive Flucht einbringen, die be­reits explizit Binnenvertriebene adressiert. Dies würde auch die Gelegenheit bieten, auf inter­nationaler Ebene für die Vorzüge von erfolg­reichen Ansätzen und Instrumenten wie der strukturbildenden Übergangshilfe und dem Zivilen Frie­dens­dienst zu werben, die seit langem in Vertreibungs­kontexten angewendet werden. Ebenso rele­vant ist eine weitere Konkretisierung der Friedenskomponente im Kontext des HDP-Nexus. Hierzu leistet das BMZ mit seinem Engage­ment für dauerhafte Lösungen im Rahmen der bestehenden Nexus- und Frie­dens­part­ner­schaften schon heute einen wichtigen Bei­trag. Diese Bemühungen könn­ten in Ländern wie Somalia, Irak und Süd­sudan weiter ausgebaut werden.

Letztlich stellt langandauernde Binnenvertreibung einen zentralen Schauplatz für die Operationalisierung des HDP-Nexus dar. Der Panel-Bericht bietet wertvolle Vorschläge, wie seine Implementierung vorangetrieben werden kann, beispielsweise indem die Rolle der UN Resident Coordinators bei der Entwicklung dauerhafter Lösungen stärker formalisiert wird. Auch hierfür sollte sich die künftige Bundesregierung einsetzen – ebenso wie für die Entwicklung neuer Finan­zierungsinstrumente. Diese müssten perspektivisch die Anreizstrukturen für Regierungen von Ländern, die von Binnen­vertreibung betroffen sind, dahingehend ändern, dass die Schaffung dauerhafter Lösungen Priorität hat.

Literaturhinweise

Anne Koch

Auf der Flucht im eigenen Land. Politische und institutionelle Heraus­forderungen im Kontext von Binnen­vertreibung

Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2020 (SWP-Studie 4/2020)

Anne Koch

Binnenvertreibung: Eine entwicklungs­politische Herausforderung

Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 29.4.2020 (Kurz gesagt)

SWP-Themendossier »Flucht und Migration«

Dr. Anne Koch ist Wissenschaftlerin und Nadine Knapp ist Forschungsassistentin in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Dieses SWP-Aktuell wurde verfasst im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts »Flucht, Migration und Entwicklung – Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten für deutsche und europäische Politik«.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2021

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