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»Das Misstrauen zwischen Pakistan und den USA wächst«

Pakistan hätte den Tod Usama bin Ladens für sich nutzen können, sagt Christian Wagner. Stattdessen aber vertieft sich der Graben zwischen Islamabad und Washington.

Kurz gesagt, 13.05.2011 Research Areas

Pakistan hätte den Tod Usama bin Ladens für sich nutzen können, sagt Christian Wagner. Stattdessen aber vertieft sich der Graben zwischen Islamabad und Washington. 

Welche Gruppen in Pakistan könnten ein Interesse daran gehabt haben, Usama bin Laden zu verstecken?

Dahinter könnten neben Al Qaida auch sympathisierende islamistische Gruppen, eventuell in Verbindung mit Netzwerken ehemaliger Mitglieder der Streitkräfte aus dem Afghanistankrieg in den 80er Jahren, stecken – oder aus der Zeit, als in den 90er Jahren die Verbindungen zu den Taliban sehr stark waren.

Viele Pakistaner halten die Armee für die am besten funktionierende Institution im Land. Hat sich durch die US-Operation gegen Bin Laden unter der Nase des pakistanischen Militärs daran etwas geändert?

Bislang nicht. Das Militär hat zwar selbst erklärt, der Geheimdienst habe bei der Aufklärung über den Aufenthaltsort von bin Laden versagt. Aber ich sehe keine Indizien dafür, dass die Wertschätzung der Armee in der Gesellschaft abnimmt. Das kann daran liegen, dass die Debatte in Pakistan sich nicht auf den Terrorismus und Bin Laden konzentriert, sondern auf die Verletzung der nationalen Souveränität. So gesehen konnte das Militär das Ereignis umdeuten: nicht als die Tötung des Topterroristen, der weltweit gesucht wird, sondern als einen Zwischenfall, bei dem die pakistanische Souveränität durch einen Militäroperation der USA verletzt worden ist. Aus dieser Darstellung erwächst keine Schwäche des Militärs, und so bietet sich auch kein guter Ansatz für Kritik aus der Bevölkerung.

Barack Obama ließ die Beteiligung Pakistans an der Aktion zunächst im Vagen. Hätte das Militär nicht auch die Möglichkeit nutzen können, den Tod Bin Ladens als großen eigenen Erfolg darzustellen?

Das ist in der Tat sehr schwer nachzuvollziehen, warum die Armee das nicht getan hat. Schließlich hat Al Qaida im Jahr 2007 Pakistan den Krieg erklärt, und das Militär hat enorme Verluste bei den Kämpfen in den Stammesgebieten gegen die pakistanischen Taliban und Al Qaida erlitten.  Man hätte also sehr gute Gründe gehabt, die Tötung Osama bin Ladens als gemeinsamen Erfolg mit den USA zu präsentieren. Vermutlich stellen aber mittlerweile starke Gruppen innerhalb des Militärs das Bündnis mit den USA in Frage. Heute sitzen die Offiziere als Corpskommandeure an den Schalthebeln, die unter Zia Ul-Haq in die Armee eingetreten sind. Sie wurden militärisch und politisch durch die Konflikte in Afghanistan und Kaschmir sozialisiert, die beide explizit unter ideologischen, beziehungsweise radikalen islamischen Vorzeichen geführt wurden. Diese Offiziere stellen die Allianz mit den USA zunehmend in Frage. Auf beiden Seiten hat dies inzwischen zu einem ausgeprägten Misstrauen im Antiterrorkampf geführt, das die Operation gegen Bin Laden weiter verstärkt haben dürfte.

Einerseits herrscht zwischen Pakistan und Amerika tiefes Misstrauen, andererseits brauchen sich beide Länder. Lässt das nicht hoffen, das Verhältnis könnte sich wieder verbessern?

Sicher, die USA und Pakistan sind auf das engste aufeinander angewiesen. Pakistan braucht die USA, weil Washington allein an Militärhilfe über eine Milliarde Dollar im Jahr überweist. Zudem hat die Regierung von Barack Obama die Unterstützung für den zivilen und demokratischen Bereich deutlich aufgestockt. Die USA wiederum brauchen Pakistan schon deshalb, weil der größte Teil des Nachschubs für den Kampf in Afghanistan über Karachi umgeschlagen wird. Noch wichtiger aber dürfte Washington die Sicherheit der pakistanischen Nuklearwaffen sein. Auch wenn sich nach dem Tod Bin Ladens der Schwerpunkt Al Qaidas jetzt vielleicht in den Jemen oder afrikanische Staaten verlagern sollte, so bleibt die Sicherheit der Atomwaffen das strategisches Interesse, das die USA weiter langfristig an Pakistan binden wird. Doch diese gegenseitigen Abhängigkeiten schaffen noch lange keine gegenseitige, vertrauensvolle Annäherung.

Könnte sich auch der Konflikt mit Indien weiter zuspitzen? Kommentare, eine derartige Militäroperation könnte auch die indische Armee in Pakistan durchführen, kamen auf pakistanischer Seite sehr schlecht an.

Im indisch-pakistanischen Verhältnis sind die Signale der vergangenen Monate sehr widersprüchlich. Unter Pervez Musharraf waren die Auseinandersetzung mit Indien ja eher in den Hintergrund getreten, und auch die 2008 gewählte Regierung der PPP hatte statt des Kaschmirkonflikts die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Indien betont. General Parvez Kayani dagegen rückt jetzt Indien und den Kaschmirkonflikt wieder sehr viel stärker in den Fokus der Außenpolitik und betont die Ausrichtung der Armee auf Indien. Zudem gibt es genug Äußerungen auch von islamistischen Gruppen, die Kaschmir wieder sehr viel stärker in den Vordergrund rücken wollen. Aber es gibt auch positive Signale: Indien und Pakistan haben in den vergangenen Monaten den Gesprächsfaden wieder aufgenommen, der nach den Anschlägen von Mumbai Ende 2008 abgerissen war. Durch die neuen Gespräche und Vereinbarungen werden sich die Beziehungen in den kommenden Monaten sicher wieder etwas erweitern. Vermutlich sind die indischen Reaktionen auf die Tötung Bin Ladens deshalb sehr gemischt. So gab es zwar diese Kommentare von Sicherheitsexperten, die indische Regierung selbst aber vermeidet jede Provokation. Man weiß in Delhi, dass an der Zusammenarbeit mit Pakistan kein Weg vorbeiführt. Durch diese Kooperation müssen jetzt die moderaten Kräfte in Pakistan gestärkt werden, auch um hoffentlich ein zweites Mumbai zu vermeiden.

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