2024 soll es neue afrikapolitische Leitlinien geben. Doch braucht Deutschland nicht vielmehr eine Afrika-Strategie, wie sie oft gefordert wird? Was unterscheidet Leitlinien überhaupt von einer Strategie? Und wo liegt ihr Mehrwert – und wo ihre Grenzen?
Zumindest, wenn es um verschriftlichte Eckpunkte geht, wird in Berlin um keine andere Region mehr gerungen als um Afrika. Lange vor der Veröffentlichung von Leitlinien zum Indo-Pazifik (2020) und erst recht vor der China-Strategie (2023), hatten Ressorts und Bundesregierung bereits eine Vielzahl von afrikapolitischen Papieren entwickelt. Lediglich das Lateinamerika-Konzept (2010) ging dem afrikapolitischen Konzept der Bundesregierung voraus. Es folgten die afrikapolitischen Leitlinien von 2014; 2019 dann die Aktualisierung. Die einzelnen Ressorts haben ebenfalls eine Fülle von afrikapolitischen Papieren erarbeitet, angefangen mit der außenpolitischen Afrika-Strategie des Auswärtigen Amts (2003) bis hin zur jüngsten Afrikastrategie des BMZ (2023). Auch die anderen Ministerien machten und machen sich ihre Gedanken. Gegenwärtig etwa erarbeitet das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein neues Afrika-Konzept.
Sinn und Zweck afrikapolitischer Papiere
Warum ausgerechnet Afrikapolitik einen verschriftlichten Rahmen mehr benötigt als die Politik gegenüber anderen Regionen lässt sich nur erahnen. Natürlich hat es auch damit zu tun, dass (mittlerweile) viele Ministerien die Afrikapolitik mitgestalten wollen. Rückblickend kann sicherlich vermutet werden, dass man sich im politischen Berlin über die eigenen Interessen und Ziele in Afrika weniger im Klaren zu sein scheint als gegenüber anderen Regionen. In den letzten Versionen der Leitlinien von 2014 und von 2019 wurde das Thema Interessen weitgehend ausgespart. Mit maximaler Vagheit wurde damals formuliert, es sei in deutschem und europäischem Interesse, „zur politischen Stabilität und zu einem Abbau des Entwicklungs- und Wohlstandsgefälles beizutragen“ (mutmaßlich zwischen Afrika und Europa). Die einzige – bemerkenswerte – Ausnahme betraf die Migrationspolitik: hier wurde ohne Wenn und Aber die Minimierung ungesteuerter, irregulärer Migration aus Afrika als Interesse genannt.
Damit sind auch schon die zwei wesentlichen Funktionen angesprochen, die die Leitlinien im Idealfall erfüllen müssen: erstens die regierungsinterne Vergewisserung über die eigenen Ziele und Prioritäten. Der Weg ist sozusagen das Ziel, bedeutet er doch im Idealfall eine inhaltliche und strategische Auseinandersetzung zwischen den Ressorts; jedenfalls dann, wenn die Überarbeitung der Leitlinien mehr sein soll als ein bürokratischer Abstimmungs- und Kraftakt. Dass dabei die Frage der Kohärenz ebenfalls mitverhandelt wird, liegt auf der Hand angesichts der wachsenden Zahl an Ministerien, die sich afrikapolitisch positionieren. Und die Tatsache, dass das BMZ seine Afrika-Strategie vorgelegt hat, bevor die gemeinsamen Leitlinien der Bundesregierung geschrieben waren, lässt schon erahnen, dass Kohärenz kein Selbstläufer ist. Es erschiene logischer, dass die Bundesregierung ihre Leitlinien erarbeitet bevor die einzelnen Ressorts darlegen, wie sie im Rahmen dieser Leitplanken zu agieren gedenken.
Die zweite Funktion eines veröffentlichten Strategiedokuments ist die Kommunikation der eigenen Politik nach außen und nicht zuletzt gegenüber afrikanischen Gesprächspartnern. Doch es gibt weitere Gründe, strategisch über Afrika nachzudenken. Zwar ist der Kontinent auf der Prioritätenleiter im letzten Jahrzehnt nach oben gerutscht, aber andere Themen und Regionen (China, EU, Osteuropa, Naher Osten, transatlantische Beziehungen) bleiben wichtiger, so dass Afrikapolitik naturgemäß mit endlichen politischen und finanziellen Ressourcen hantieren muss. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer afrikapolitischen Fokussierung und Prioritätensetzung, die ein Leitlinien-Dokument leisten müsste. Solch ein strategischer Rahmen sollte Zielorientierung, Wirksamkeit und Effizienz gleichermaßen zuträglich sein.
Strategie vs. Leitlinien
Der profane Grund dafür, dass die Bundesregierung lediglich von Leitlinien spricht, dürfte beim Erwartungsmanagement nach innen wie außen liegen. Ein Papier, das „Strategie“ in seinem Titel trägt, deklariert ein hohes Ambitionsniveau und weckt Erwartungen, die dann auch eingelöst werden müssen. Vor allem macht es eine Konkretisierung erforderlich, die man wahrscheinlich von einem Rahmendokument weniger erwarten dürfte.
Gleichwohl: auch ein Leitlinien-Papier sollte einen strategischen, zukunftsorientierten Kompass für die Ausrichtung und Gestaltung deutscher Politik gegenüber der Region darstellen. Das beinhaltet letztlich einen Bezug zu den klassischen Elementen einer Strategie, das heißt eine auf ein langfristiges Ziel hin ausgerichtete Politik. Prioritäten, Maßnahmen und Ressourcen werden an der Zielerreichung ausgerichtet.
Wie realistisch und zielführend wäre indes eine vollwertige Strategie, die diesen Namen auch verdiente? In der Tat könnte man fragen, warum es eine Strategie für den Umgang mit China gibt, aber „nur“ Leitlinien, wenn es um Afrika geht?
Die Antwort ist ebenso einfach wie naheliegend: China ist ein Land. Dies macht die Beschreibung von Ausgangslage, Interessen, Zielen, Prioritäten und Instrumenten ungleich einfacher als dies gegenüber den 54 Staaten eines Kontinents der Fall ist. Wenn wir die vielzitierte Heterogenität Afrikas ernst nehmen, dann wird eine einigermaßen konkrete und plausible Bestimmung von Interessen, Zielen und Prioritäten deutscher Afrikapolitik schnell an Grenzen stoßen. Zu unterschiedlich sind die Ausgangsbedingungen, zu wenig einheitlich sind die Interessen Deutschlands beispielsweise gegenüber Ländern wie Algerien, Benin oder Südafrika. Und selbst auf sub-regionaler Ebene können die Ausgangs- und Rahmenbedingungen recht unterschiedlich sein. Daraus folgt für ein strategisch orientiertes Papier logisch die Schwierigkeit, einen übergreifenden Ansatz zu formulieren, der zumindest für die Beziehungen gegenüber der Mehrheit der Staaten gilt.
Schluss
Eine allgemeingültige Afrikastrategie, die diesen Namen auch verdient, erscheint heute weder zielführend noch vielversprechend. Wichtiger als eine formale „Strategie“ ist der Anspruch, übergreifende Interessen, Ziele, Prinzipien und Felder politischen Handelns zu identifizieren. Die Kunst wird nicht so sehr darin bestehen, diese zu benennen, sondern aus einem mutmaßlich umfangreichen und heterogenen Katalog, den Ressorts und deren Referate zusammentragen, jene herauszufiltern, die tatsächlich prioritär sind. Wenn mit den Leitlinien die Ambition strategischer Orientierung verknüpft ist, dann wird die Regierung nicht glaubhaft eine lange Liste von Ziele benennen können. Nicht jedes Thema und Land kann gleichermaßen wichtig sein. Im Idealfall ermöglicht der Leitlinien-Prozess zwischen den Ressorts eine Verständigung darüber, welche Prioritäten und Prinzipien gelten sollen und wie die Ressorts diese gemeinsam erreichen wollen.
Ein veröffentlichtes Papier wird diese Eckpunkte darlegen. Die Operationalisierung wird auf anderem Wege erfolgen müssen, entweder entlang subregionaler oder – in wenigen ausgesuchten Fällen – länderspezifischen Ansätzen, d.h. orientiert an der Frage, was die festgelegten strategischen Prioritäten für die Gestaltung deutscher Afrikapolitik beispielsweise gegenüber Ostafrika oder dem Sahel bedeuten. Auch mit Blick auf einzelne Sektoren sowie Politik- und Handlungsfelder ist dies ein unerlässlicher Schritt, um sicherzustellen, dass Ansätze, Maßnahmen und Ressourcen auch tatsächlich der Verfolgung von prioritären Zielen dienen. Die regelmäßige Überprüfung der Umsetzung der Leitlinien sollte sicherstellen, dass die Ressorts sich auch an die einmal vereinbarten Prioritäten halten und an einem Strang ziehen.
Dr. Denis Tull ist einer der Projektleiter*innen von Megatrends Afrika und Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
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