Die durch Putsche etablierten Militärregime in Mali (2020), Burkina Faso (2022) und Niger (2023) stellen Deutschland und seine europäischen Partner vor Zielkonflikte und Dilemmata. Entsprechend viel Zeit benötigen die Europäer, einen angemessenen Kurs gegenüber den Militärregimen abzustecken. Dabei geht es letztlich um die Frage, ob und welche Kooperationsangebote politisch vertretbar und in ihrer Wirkung aussichtsreich sind oder ob eher eine Politik der Isolierung und Konfrontation angezeigt wäre. Der eigentliche Klärungsbedarf besteht aber vor allem bei der Frage, welche Probleme und Ziele vorrangig sein sollen. Geht es darum, Putsch-Regime zurückzudrängen, den wachsenden russischen Einfluss einzudämmen, oder stehen die sicherheitspolitischen Probleme der Region selbst im Vordergrund (illegale Migration, Terrorismus, Instabilität)? Die deutschen und europäischen Handlungsoptionen sind ohnehin schon begrenzt. Umso wichtiger sind transparente Grundannahmen und klare Zielsetzungen.
Die aktuelle Sahel-Debatte bewegt sich zwischen zwei Polen: An einem Ende stehen die Verfechter eines harten, unnachgiebigen Kurses gegenüber den Militärregimen; sie lehnen jede Form der Zusammenarbeit aus politischen oder grundsätzlichen Gründen ab. Diese Haltung vertritt Frankreich, das bis auf humanitäre Hilfe sämtliche Unterstützung eingestellt hat (in absoluter Konsequenz in Niger). Aber auch Schweden wird seine Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe für Mali und Burkina Faso mit Verweis auf die Kooperation zwischen den Putschisten und Moskau beenden. Am anderen Ende des Spektrums befinden sich Italien und Spanien, die mit Blick auf die Migrationspolitik für ein fortgesetztes Engagement gegenüber den Putsch-Regierungen plädieren. Auf deutscher und europäischer Ebene besteht dringender Klärungsbedarf bei der Positionsbestimmung, zumal bereits acht Monate seit dem Putsch gegen Präsident Bazoum in Niger verstrichen sind. Mit ihm verloren die Europäer den letzten Fluchtpunkt und ihren letzten verbliebenen Partner unter den Krisenländern des Sahel. Niger folgt nunmehr den Beispielen Mali und Burkina Faso nicht nur hinsichtlich der innenpolitischen Konstellation; zunehmend ist auch außenpolitisch eine Nachahmung erkennbar. Es wurde nicht nur der Bruch mit Frankreich, sondern auch mit dem Rest Europas weitgehend vollzogen und eine sicherheitspolitische Partnerschaft mit Russland eingegangen.
Militärregime: Unbequeme Akteure
Infolge ihrer Machtergreifung haben die Militärregime Malis, Burkina Fasos und Nigers von großen Teilen der Bevölkerung einen Vertrauensvorschuss erhalten, der vor allem auf dem Prinzip Hoffnung beruht. Die Popularität der Putschisten ist in der Unfähigkeit mehrerer aufeinanderfolgender Vorgängerregierungen begründet, die Dauerkrise in dem jeweiligen Land einzuhegen. Manche Beobachter sehen in den Juntas etwas voreilig Revolutionäre, die die politischen Systeme des Sahel grundlegend erneuern werden. Doch diese Zuschreibung mag sich als Wunschdenken erweisen.
Im Sahel sind Militärs historisch betrachtet schon immer zentrale Akteure in der politischen Arena gewesen und alle Sahelstaaten wurden seit 1960 über lange Zeiträume von Militärs oder Ex-Militärs regiert. Putsche, die vor dem Hintergrund akuter Krisen stattfanden, waren häufig populär. Die Hoffnung auf positive Veränderungen hat sich allerdings selten bewahrheitet. Gleichzeitig sind dysfunktionale und korrupte Fassaden-Demokratien diskreditiert und werden von den Bürger:innen oft als ursächlich für die Krise des Staates angesehen (siehe Mali und Niger). Dennoch tritt der Großteil der Bevölkerung nicht notwendigerweise für eine dauerhafte Rückkehr zu diktatorischen Modellen ein.
Die jüngsten Machtergreifungen durch Militärs haben zu den erwartbaren Reaktionen der internationalen Partner und der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) geführt. In bewährter Weise griffen sie zu Sanktionen und forderten eine Transition mit dem Ziel, zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren. Während in Mali und Burkina Faso zunächst routinierte Aushandlungsprozesse folgten, hatte die brachiale Drohung der ECOWAS, in Niger militärisch zu intervenieren, unvorhergesehene Konsequenzen: Die drei Putsch-Regime haben eine Zweckallianz gebildet, die gegenüber der ECOWAS und westlichen Partnern kompromisslos und isolationistisch agiert. Alle drei Regime weisen Forderungen nach einer Transition zurück, beenden Kooperationsformate und haben ihren Austritt aus der ECOWAS angekündigt.
Innenpolitisch ist dieser Kurs erfolgreich – eine populistische, auf nationale Souveränität pochende Rhetorik sichert den Putschisten gesellschaftliche Unterstützung. Westliche Staaten und die ECOWAS sind dadurch in das Dilemma geraten, dass sie gegenüber den Putschisten eine auf Prinzipien basierende prodemokratische Linie verfolgen, die aber zumindest kurzfristig von breiten Teilen der Gesellschaften abgelehnt wird. Westliche Staaten (und erst recht die ECOWAS) haben derzeit in den Sahelländern sehr wenige anschlussfähige, politisch relevante Partner in Staat, Politik und Gesellschaft. Gleichwohl ist das Stimmungsbild innerhalb der Gesellschaften möglicherweise weniger eindeutig, als vielfach angenommen wird. Ein Mangel an politischen Alternativen (das heißt diskreditierte politische Parteien und Eliten), aber auch die harsche Repression der Putschisten gegen als unpatriotisch denunzierte Kritiker:innen bedeutet, dass eine schweigende Mehrheit existiert, über deren Einstellungen wenig bekannt ist.
Die Militärregierungen haben den Bruch mit externen Partnern und Unterstützern mit aller Konsequenz vollzogen, mit dem berechtigten Hinweis darauf, dass die bisherige Unterstützung nicht zielführend gewesen sei. Die malische Regierung hat sich mit der parastaatlichen Söldnertruppe Wagner bzw. mit Russland einen militärischen Partner gesucht, der ihren Anforderungen besser entspricht. Diesem Beispiel haben sich Burkina Faso und Niger angeschlossen, selbst wenn der Umfang der Kooperation mit Russland dort bislang (noch) geringer ausfällt als in Mali.
Prämissen einer deutschen Positionierung
Das »Problem Sahel« ist nicht verschwunden: Die Problematiken illegale Migration, Instabilität und Terrorismus, die Deutschland und andere Partner seit 2013 zum Engagement im Sahel getrieben haben, sind weiterhin vorhanden. Auch wenn die tatsächlichen Risiken differenziert betrachtet werden müssen, spricht dies für den Versuch, sich politisch zu engagieren.
Deutlicher denn je ist die strukturelle Krise der staatlichen und politischen Institutionen im Sahel. Externe Forderungen, zur Demokratie zurückzukehren, haben die Popularität der Putschisten eher gestärkt als geschwächt. Mittelfristig sind demokratische Verhältnisse unrealistisch. Die Herstellung einer annäherungsweise verfassungsmäßigen Ordnung wäre aber ein erster Schritt, um die Grundlage für politische Dialogfähigkeit im Inneren wie in der Außenpolitik zu schaffen.
Der faktische Ausnahmezustand in den drei Ländern bedeutet, dass Menschenrechte, Freiheitsrechte und jeder Anschein von Rechtsstaatlichkeit in der Praxis außer Kraft gesetzt sind. Patriotismus und Bekenntnisse zu den machthabenden Militärregimen sind Pflicht, Abweichler:innen werden scharf sanktioniert. Die Zwangsrekrutierung von Regimegegnern und deren Verbringung an die Front (Burkina Faso), das Verschwindenlassen von Oppositionellen und die massive Einschüchterung kritischer Stimmen sind alltäglich. Missliebige zivilgesellschaftliche Organisationen werden verboten. Menschenrechtsverletzungen von beträchtlichem Ausmaß finden zudem im Zuge der Aufstandsbekämpfung statt.
Aus der Kooperation der Sahelstaaten mit Russland kann man für deutsches und europäisches Handeln gegensätzliche Schlussfolgerungen ziehen: einerseits eine europäische Politik, die auf die Isolation der Militärregime abzielt, auf die Gefahr hin, dass sich Russlands Einfluss im Sahel und möglicherweise in der Region an der Südflanke Europas ausdehnt; andererseits, dass Kooperationsangebote nötig seien, um politische Kanäle zu öffnen, Russland einzuhegen und im besten Fall Einfluss auf die Entwicklungen vor Ort zu gewinnen.
Plausibel ist, dass die Regime der drei Sahelstaaten nicht überwiegend aus politisch-ideologischer Überzeugung mit Moskau kooperieren, sondern aus der Not heraus (Sanktionen, Sicherheitskrise, unzureichende und ineffektive Hilfe des Westens). Daraus folgt, dass Russland kein exklusiver Partner ist. Sehr wohl aber ist es aufgrund seines militärischen Engagements ein prioritärer Partner, dessen »antiimperialistische« und damit antiwestliche Gesinnung sich überdies innenpolitisch gut vermarkten lässt. Daraus können – wie im Fall Mali – Abhängigkeiten entstehen, sowohl mit Blick auf die sicherheitspolitische Lage (die sich wahrscheinlich nicht verbessert hat) als auch im Hinblick auf die Sicherheit der Putschisten selbst (Regimesicherheit). Ähnliche Entwicklungen waren in der Zentralafrikanischen Republik zu beobachten.
Umgekehrt haben die Europäer kein Interesse an einem Scheitern der Regime, sofern dies mit einer weiteren Verschärfung der Sicherheitskrise und politischem Chaos verbunden ist – es sei denn, man hielte den dauerhaften russischen Einfluss im Sahel für das Hauptproblem, das bedrohlicher für Europa sei als die Externalitäten der Krise selbst.
Die politischen Absichten der Militärs: Ein Einordnungsversuch
Die politischen Intentionen der Militärregime sind ambivalent. Sie haben sich zu Rettern ihrer Länder erklärt, die eine dezidiert autoritäre Stabilisierungs- und Reformpolitik ins Werk setzen wollen, bei der der Zweck jedes Mittel heiligt. Liberale Prinzipien (Demokratie, Menschenrechte, politische Freiheiten) werden dabei als Hindernis betrachtet. Vorrang habe die Lösung der sicherheitspolitischen Krise, haben doch die Sahelstaaten die Kontrolle über weite Teile ihrer Staatsgebiete an jihadistische Gruppierungen verloren.
Außen- und sicherheitspolitisch sind die Regime auf russische Unterstützung angewiesen, wobei diese keinen klaren Ausweg aus der sicherheitspolitischen Krise aufzuzeigen scheint. In Mali etwa hat der Islamische Staat innerhalb eines Jahres seinen Einflussbereich verdoppelt. Zur Lösung der politischen und wirtschaftlichen Probleme kann Russland vermutlich noch weniger beitragen. Genau dies könnte aber bedeuten, dass die Abhängigkeit der Militärs von russischer Unterstützung eher zunehmen wird, auch wenn Versuche, mit der Türkei und dem Iran zu kooperieren, dies ausgleichen sollen. Außenpolitisch sind Selbstbestimmung und die Emanzipation von westlicher Bevormundung zweifellos ein glaubhaftes Handlungsmotiv der Militärregime. Dies hat vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine (»Zeitenwende«) zudem den Vorteil, dass im Umgang mit westlichen Staaten die eigene Verhandlungsmacht gestärkt wird. In Zeiten strategischen Wettbewerbs erzeugt der Bruch mit westlichen Ländern für diese nämlich hohe außenpolitische Kosten.
Innenpolitisch ist die Lage ungewisser. Offiziell befinden sich Mali und Burkina Faso weiterhin in einer Transition, die 2024 zu Wahlen führen sollte. In der Praxis haben beide Regime das Vorhaben, qua Wahlen zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren, bis auf weiteres aufgegeben. Die Regierung in Niger hat ihrerseits bisher keine belastbaren politischen Zielsetzungen und programmatischen Ideen vorgelegt. Dies ist insoweit nicht überraschend, als in Niger das Motiv der Krisenbewältigung am wenigsten als Erklärung für den Putsch zu taugen scheint.
Die Regime schwimmen dank ihrer Mobilisierung nationalistischer Diskurse auf einer populistischen Welle, selbst wenn zu der anfänglichen Euphorie Zweifel an der Problemlösungsfähigkeit und den Methoden hinzugekommen sind (siehe Mali). Die Abgrenzung zu äußeren und inneren Feinden bestimmt einen Diskurs, der das Wohl einer imaginierten nationalen Gemeinschaft in den Vordergrund stellt. Die Behauptung, im Namen der Bevölkerung zu sprechen und zu handeln, ist die zentrale Argumentationsfigur der Regime. Dass politische Überzeugungen dabei eine Rolle spielen, schließt nicht aus, dass machtpolitische Ambitionen und Herrschaftsansprüche gleichermaßen wirksam sind.
Die Behauptung der Juntas, den Volkswillen zu vertreten, ist mehr als zweifelhaft. Die Einschränkung der Bürgerrechte bedeutet, dass nur Zustimmung zur Regierungspolitik gefahrlos artikuliert werden kann. Mit Ausnahme des Conseil National de Transition (CNT) in Mali, der jedoch offensichtlich an Relevanz verliert, haben die Militärregime bislang keine eigenen Strukturen und Prozesse politischer Diskussion und Teilhabe geschaffen, die auch nur ansatzweise den vermeintlichen Volkswillen reflektieren würden. Die angekündigten nationalen politischen Dialoge sind möglicherweise ein Feigenblatt angesichts der eingeschränkten politischen Rechte und der erwartbaren politischen Steuerung dieser Dialoge »von oben«.
Die in dieser Hinsicht radikalen Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit zeigen sich an der Entscheidung zum ECOWAS-Austritt, der von keinem der Regime vorab zur Diskussion gestellt wurde. Auch der CNT wurde damit nicht befasst. Vor diesem Hintergrund und den potentiell weitreichenden wirtschaftlichen und politischen Kosten für die drei Länder, ganz zu schweigen von denen für die Millionen von Malier:innen und Burkinabé, die in ECOWAS-Ländern leben, ist die populistische Diktion der Regime nicht nur angreifbar. Sie wirft überdies die Frage auf, ob die autoritäre Stabilisierungspolitik, zu der sich die Regime bekennen, nicht auch oder sogar zunehmend von etwas anderem überlagert wird: von dem Willen zum eigenen politischen Überleben und dem Schutz von Partikularinteressen militärischer Eliten. Dafür sprechen könnte eine immer länger werdende Reihe von Entscheidungen, deren verbindendes Element darin besteht, sich an inneren und vor allem äußeren Feinden abarbeiten zu wollen (Frankreich, UN-Mission MINUSMA, Europäische Union, Algerien, ECOWAS, USA etc.). Dieser Kurs ist bemerkenswert kohärent und berechenbar.
Insgesamt überwiegt das Bild von Regimen, die sich entweder stark radikalisiert haben, sich selbst überschätzen oder hauptsächlich die eigenen Partikularinteressen im Blick haben. Ungewiss ist allerdings die Kohäsion der Militärregime. Auch wenn bisher keine offensichtlichen Risse erkennbar sind, muss mit regimeinternen Verwerfungen zumindest gerechnet werden. Interne Divergenzen mögen teilweise erklären, warum der ursprüngliche Kurs verlassen wurde (die Transition in Mali) oder ein Kurs kaum auszumachen ist (Niger).
Unklare Prioritäten europäischer Sahelpolitik
Beim Umgang mit den Sahelländern besteht im politischen Diskurs Unklarheit über Zweck und Ziele, die deutsche und europäische Politik verfolgen sollte. Deren wichtigste Aufgabe ist es also, die eigenen Annahmen zu prüfen, Prioritäten zu setzen, um strategisch handeln zu können. Drei miteinander verknüpfte Probleme bestimmen die Debatte:
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Der wachsende Einfluss Russlands als Problem: insbesondere dann, wenn er nicht auf ein Land (Mali) beschränkt bleibt, sondern zunehmend eine regionale Dimension an der Südflanke Europas gewinnt, mit allen denkbaren Worst-Case-Szenarien wie Instrumentalisierung (»Weaponization«) von Migration, bewusstes Konterkarieren europäischer Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen sowie Desinformation.
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Die sicherheitspolitischen Probleme im Sahel an sich: also die Herausforderungen, die seit 2013 als Begründung für das deutsche und europäische Engagement galten, das heißt Terrorismus, transnationale Konflikte, organisierte Kriminalität, illegale Migration und Instabilität.
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Die Putsch-Regime in der Region als Problem: Putsche als Mittel der Politik stehen im Widerspruch zu deutschen und europäischen Werten und Prinzipien, die mit der ECOWAS als politischem Partner geteilt werden. Hinzu kommt, dass die Methoden der Putschisten die Probleme (siehe 2.) nicht lösen, sondern vermutlich verschärfen werden. Gleichzeitig werden unter russischem Einfluss deren Externalitäten verstärkt und als Druckmittel gegenüber Europa genutzt (siehe 1.). Damit wird auch das eigentlich positive Merkmal der Regime, das Postulat der starken Eigenverantwortung, entwertet, denn diese führt innen- wie außenpolitisch zu problematischen Ergebnissen.
Aus deutscher und europäischer Perspektive sind die Probleme des Sahel zwar schwerwiegend, erscheinen aber zumindest kurzfristig eindämmbar, selbst wenn Europa seit 2013 keine Lösungen für die Region anbieten konnte. Allerdings lässt sich die Politik der Eindämmung unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht mehr umsetzen. Sie erfordert ein Minimum an Zugriffsmöglichkeiten und lokaler Kooperationsbereitschaft, die unter den bislang unnachgiebigen Militärregierungen nicht gegeben ist.
Ausgesprochen relevant ist dabei aus deutscher und europäischer Sicht die Migrationsfrage und damit das zentrale Transitland Niger, dessen Junta nicht nur das Kooperationsabkommen mit der Europäischen Union (EU) zur Bekämpfung illegaler Migration aufgekündigt hat. Mit der Annäherung an Russland ist wohl auch eine »Weaponization« des Themas Migration denkbar, ja sogar wahrscheinlich. Unter diesen Bedingungen machen sich Deutschland und die EU von Niger abhängig und erpressbar. Die Aussicht darauf ist umso plausibler, als von Nigers Regime innen- wie außenpolitisch kein Kurswechsel zu erwarten ist angesichts dessen, dass der Putsch vor allem militärischen Partikularinteressen diente, dass auch acht Monate danach keine andere politische Agenda zu erkennen ist als die des eigenen Machterhalts und – vor diesem Hintergrund schlüssig – eine bisher unnachgiebige Politik nach innen wie außen verfolgt wird (selbst gegenüber den USA).
Die Politik der Eindämmung regionaler Probleme (Migration, Terrorismus, organisierte Kriminalität) lässt sich zwar partiell über die Kooperation mit den westafrikanischen Küstenstaaten weiterführen. Dies löst aber nicht das dringendere Problem an den Nordgrenzen des Sahel in Richtung Europa, denn die politischen Bedingungen für Kooperation mit den dortigen Autoritäten (Libyen, Marokko, Algerien) sind außerordentlich schwierig.
Hauptproblem Putsch-Regime?
Die oben skizzierten Problemfelder der Sahelpolitik hängen miteinander zusammen. Dennoch sollten Berlin und Brüssel versuchen, die Probleme zu gewichten und Annahmen über Wechselwirkungen auszubuchstabieren, um zu einer plausiblen Theorie des Wandels zu gelangen, die die eigene Strategie anleiten sollte. Dabei könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Militärregime zwar nur ein Symptom tiefer liegender Probleme sind (Governance, Armut), aber kurzfristig gleichwohl die zentrale Herausforderung darstellen, weil sie außenpolitische Selbstisolierung betreiben (gegenüber Europa und der eigenen Nachbarschaft) und innenpolitisch keine Lösungen aufzeigen.
Eine offensive und politisch mutige Angebotspolitik seitens Deutschlands und der EU kann nicht zu dem maximalen Ergebnis führen, Russland aus dem Sahel zu verdrängen. Moskaus militärische Hilfe ohne politische Konditionen wird stets Vorrang genießen. Es ist unrealistisch, dass Deutschland und seine Partner militärische und sicherheitspolitische Angebote vorlegen, die über die russische Kooperation hinausgehen. Da helfen auch keine Hinweise darauf, dass diese Angebote gegenüber der begrenzten (und relativ teuren) russischen Hilfe vielseitig und in der Summe überlegen sind (Umfang und Breite von Entwicklungszusammenarbeit, Stabilisierungsprojekte, potentielle wirtschaftliche Hilfen und Investitionen etc.). Solange Sicherheitsinteressen, inklusive Regimesicherheit, oberste Priorität für die Regime haben, prallen solche Argumente an den machtpolitischen Realitäten ab.
Es steht zu befürchten, dass außenpolitische Isolierung und russische Unterstützung aus Sicht dieser Regime zunehmend konstitutiv für die eigene Sicherheit sind bzw. werden – jedenfalls in dem Maße, in dem es ihnen nicht gelingt, die Erwartungen der Bevölkerung bei der Lösung von Problemen zu erfüllen, und wenn im Lauf der Zeit die populistische Feind-Rhetorik ihre Wirkkraft verliert. Das bestmögliche Resultat westlicher Angebotspolitik dürfte darin bestehen, mit Russland zu koexistieren. Einflussnahme auf Regierungspolitik oder auf die Krisendynamik in den Sahelstaaten wird man damit wohl noch nicht erlangen. Unabhängig davon, ob als Ziel formuliert wird, den russischen Einfluss zurückzudrängen oder die Krisenspirale zu verlangsamen: Der deutsche und europäische Einfluss wird sehr begrenzt sein.
Vor diesem Hintergrund sind die Putsch-Regime aus deutscher und europäischer Sicht wahrscheinlich kurz- und mittelfristig das strategisch schwerwiegendere Problem im Vergleich zum Einfluss Russlands oder der Sahel-Problematik an sich. Ohne diese Regime wären die nationalen bzw. regionalen Probleme zumindest eindämmbar und der russische Einfluss auf die Südflanke Europas wäre überschaubar. Langfristig müssen die Probleme des Sahel selbst die Priorität sein, denn sie sind die Ursache der politisch-institutionellen Krisen. Zudem haben sie maßgeblichen Anteil daran, dass gesellschaftliche Gruppen Hoffnungen in das Militär als Problemlöser setzen. Ohne ein Mindestmaß an politischer Teilhabe (auch außerhalb formaler Wahlen) und die Konturen eines politischen Prozesses und seiner Finalität erscheint diese Hoffnung indes wenig berechtigt.
Ausblick und Handlungsoptionen
Weder innen- noch außenpolitisch liefern die drei Sahel-Regime aus deutscher und europäischer Sicht bislang Anknüpfungspunkte für einen politischen Dialog, geschweige denn für eine Kooperation. Inhaltlich wie symbolisch in einem eklatanten Widerspruch dazu steht, dass informell vor Ort wiederholt geäußert wurde, mit Deutschland wolle man durchaus kooperieren. Dies müsste mit belastbaren Signalen und Schritten unterlegt werden. Bislang jedenfalls geht der Trend eindeutig in die andere Richtung.
De facto haben die Europäer keine Hebel, um Regimewechsel zu beschleunigen oder den russischen Einfluss zurückzudrängen. Deutschland und die EU sollten jedoch alles unterlassen, was Regimestabilität fördern könnte. Gleichzeitig ist eine Vielzahl von Szenarien vorstellbar, die zu abrupten politischen Veränderungen führen können. Dazu zählen juntainterne Konflikte und weitere Putsche, aber ebenso Machtübernahmen durch neue politisch-militärische Koalitionen oder erneute soziale Protestbewegungen, die angesichts ungebremster Krisen entstehen können. Jede dieser Entwicklungen kann politische Veränderungen, Transitionen sowie Kurswechsel bei der Wahl externer Partner mit sich bringen. Die Wahrscheinlichkeiten und Implikationen dieser Szenarien sollten für jedes der drei Länder eruiert werden.
Berücksichtigt werden müssten ebenfalls mittelfristige Szenarien, die über den Fokus auf Akteur:innen hinausgehen. Denkbar ist nämlich auch, dass eines oder mehrere dieser Länder permanent auf einen Rumpfstaat zurückgeworfen werden, dessen Autoritätsansprüche sich nur noch auf die Hauptstadt und einige wenige Distrikte oder Regionen erstrecken. Dies würde Deutschland und die EU mit Blick auf Ziele, Instrumente und Partner:innen mittelfristig vor neue Herausforderungen stellen.
Kurzfristig sollten Berlin und Brüssel an ihrer Forderung festhalten, dass die drei Länder zu einer verfassungsmäßigen Ordnung zurückkehren, auch wenn Transitionsprozesse keine Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen bedeuten werden. Das Etappenziel lautet, den gegenwärtigen innen- wie außenpolitischen Ausnahmezustand zu überwinden. Die unilaterale Aufhebung eines Großteils der Sanktionen seitens der ECOWAS ist ein Testballon. Er wird zeigen, ob zumindest in Niamey die Bereitschaft zu Verhandlungen und Kompromissen besteht.
Politisch und rhetorisch sollte alles unterlassen werden, was den Erfolg des innenpolitischen Populismus der Militärregime stützen könnte. Das heißt, weitere Zwangsmaßnahmen (Sanktionen etc.) dürften kontraproduktiv sein. Gleichwohl ist es angebracht, mit Blick auf Menschenrechte, politische Freiheiten, Rechtsstaatlichkeit und humanitäres Völkerrecht weiterhin prinzipienorientiert zu argumentieren.
Eine pragmatische Herangehensweise beinhaltet, die Handlungszwänge und die Popularität der Putschisten nachzuvollziehen. Kurzfristig orientierte Realpolitik in Form politischer Anerkennung durch Deutschland und die EU sowie die ECOWAS und die Afrikanische Union (AU) käme allerdings einer Anerkennung verfassungswidriger Machtergreifungen gleich. Dies könnte zu künftigen Putschen ermuntern, die im Sahel nicht haltmachen werden und deutsche und europäische Erwartungshorizonte noch ungewisser machen. Wenig weist darauf hin, dass die Militärregime innen-, außen und sicherheitspolitischen Fortschritt versprechen.
Diplomatischer Austausch sollte in angemessenem Rahmen fortgesetzt werden, um Gesprächskanäle offenzuhalten. Deutschland kann hier seine vergleichsweise gute Reputation im Sahel nutzen, darf jedoch seinen Einfluss keinesfalls überschätzen.
Darüber hinaus ist zu empfehlen, laufende Kooperationen oder Projekte – ohne politische Kommunikation – reduziert bzw. auf niedrigem Niveau weiterzuführen, solange sie nicht regimestabilisierend wirken (etwa Kulturprojekte, Lehrgangsplätze für Offiziere etc.) oder zur Legitimierung der Regime beitragen. Die Entwicklungszusammenarbeit wurde bereits reduziert; es ist ohnehin fraglich, ob sie in der aktuellen Lage flächendeckend Ergebnisse erzielen kann. In den Ländern, in denen es möglich ist, sollte in begrenztem Umfang »regierungsferne« Kooperation mit nichtstaatlichen Akteur:innen versuchen, kritische Diskussionen und Diskurse zu fördern.
Sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit bietet hingegen unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen wahrscheinlich keine Einwirkungsmöglichkeiten, sofern von den Putsch-Regimen selbst keine Kompromissbereitschaft ausgeht. Niedrigschwellige Ertüchtigungsprojekte können als Zeichen von Kooperationsbereitschaft dienen, um mit den Regierungen im Gespräch zu bleiben; politischen Einfluss werden sie nicht generieren. Das dürfte auch dann nicht der Fall sein, wenn die Bundeswehr den Standort Niamey erhielte. Vielmehr könnte es passieren, dass umgekehrt neue Abhängigkeiten für Deutschland entstehen, wenn der Bundeswehrstandort weiter betrieben würde, ungeachtet der Frage, welche Funktion er erfüllen soll.
Unter dem AU-Vorsitz Mauretaniens, das nicht Mitglied der ECOWAS ist, ergeben sich möglicherweise neue Spielräume für afrikanische Vermittlungsversuche. Diese sollten unterstützt werden.
Dr. Denis M. Tull ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.
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DOI: 10.18449/2024A19