Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, eine Strategie für die internationale Digitalpolitik zu entwickeln. Das Vorhaben fällt in eine Zeit, in der digitale Technologien immer häufiger zum Gegenstand geopolitischer Konflikte werden. Grundlegend ist als erstes zu klären, auf welche Fragen eine solche Strategie Antworten geben sollte. Dazu bietet sich der internationale Vergleich an, außerdem der Abgleich mit weiteren Strategieprozessen der Bundesregierung. Thematisch rücken so drei Bereiche in den Blick: die Handelspolitik im Verbund mit den Zielen von Datenschutz und Nachhaltigkeit, die Entwicklungszusammenarbeit insbesondere bei digitalen Infrastrukturen und schließlich der Schutz der Menschenrechte und der Demokratie im Wettstreit verschiedener Ordnungsmodelle des Digitalen. Gewissermaßen quer zu diesen drei thematischen Dimensionen liegt die Frage, wie in Zukunft die Kooperation in diesem Bereich gestaltet werden kann.
Im Laufe des Jahres 2023 will die Bundesregierung einen ersten Entwurf für die Strategie zur internationalen Digitalpolitik vorlegen. Vereinbart wurde dies im Rahmen der jüngst vorgestellten Digitalstrategie, deren Fokus auf innenpolitischen Vorhaben liegt. Federführend für die internationale Digitalstrategie ist das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV).
Für Deutschland ist dies ein Novum, weil hier erstmals die Ambition erkennbar wird, Digitalpolitik nicht nur innenpolitisch zu denken, sondern systematisch auch die außenpolitische Dimension in den Blick zu nehmen. Die Strategie soll daher wohl einen Beitrag zur »aktiven digitalen Außenpolitik« darstellen, die im Koalitionsvertrag angekündigt wurde.
Eine solche strategische Klärung ist dringend notwendig. Zwar mangelt es in der deutschen Debatte nicht an Bekenntnissen zu abstrakten Zielen wie »digitale Souveränität« oder » strategische Autonomie«. Was jedoch bisher fehlt, ist eine systematische, nicht von der Logik der Ressortverteilung eingeschränkte Übersetzung dieser Ziele in eine kohärente Strategie.
Dabei wird immer sichtbarer, welch immense politische Bedeutung die digitale Erhebung, Verarbeitung und Verbreitung von Informationen hat. Das Internet und die vielen damit verbundenen Technologien haben das Potenzial, Gesellschaften zu verändern, und sind so zu einer wichtigen Machtressource geworden. Dies zeigt sich zunehmend auch auf internationaler Ebene: Immer mehr Staaten drängen darauf, die Kontrolle über »ihren« Teil des Internets zu vertiefen, während gleichzeitig die Macht großer Technologiekonzerne wächst. Das prägt die globale digitale Ordnung. Die Fragmentierung entlang politischer Konfliktlinien wird größer, und immer häufiger setzen sich dabei auch im Digitalen autoritäre Ordnungsmuster durch. Im Kontext des russischen Angriffs auf die Ukraine ist zudem in aller Deutlichkeit hervorgetreten, welche weitreichenden geopolitischen Implikationen digitale Technologien haben können. Für die Zukunft noch bedeutsamer wird allerdings das Verhältnis zur technologisch weitaus potenteren Großmacht China sein.
Zugleich bietet sich für Deutschland eine große Chance in der internationalen Digitalpolitik. Politisch ist Deutschland seit Jahren in allen relevanten Foren und Diskussionen präsent. Die Bundesregierung hat sich das Wohlwollen vieler Partner erarbeitet, etwa indem sie freiwillig hohe Beiträge zur International Telecommunication Union (ITU) entrichtet oder 2019 in Berlin das Internet Governance Forum der Vereinten Nationen veranstaltete. Auch Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sind in vielerlei Weise im Feld der internationalen Digitalpolitik aktiv – und verfügen in ihrer Vielfalt über ein enormes Reservoir an Expertise.
Der internationale Vergleich
Zentrale Funktion einer Strategie für die internationale Digitalpolitik ist es, dem deutschen Regierungshandeln Orientierung in diesem Politikbereich zu geben. Neben dem Blick nach innen ergibt sich aus dem Gegenstand aber auch eine wichtige Funktion in der Kommunikation nach außen: Im Verhältnis zu anderen Staaten und nichtstaatlichen Akteuren bietet sich die Gelegenheit, das eigene Handeln zu erklären und überdies Zeichen zu setzen, die eigene Prioritäten erkennen lassen. Politikwissenschaftlich wird hier von »signalling« gesprochen.
Um international die Anschlussfähigkeit der deutschen Strategie sicherzustellen, aber auch als Inspiration für die eigenen Überlegungen bietet sich der Vergleich mit anderen Staaten an. Die folgende Tabelle enthält einen Überblick der Themenschwerpunkte in den Strategiepapieren jener Staaten, die bereits eine Strategie zur internationalen Digitalpolitik veröffentlicht haben.
Abgleich mit weiteren Strategieprozessen der Bundesregierung
Der internationale Vergleich legt ein weites Verständnis internationaler Digitalpolitik nahe. Und auch analytisch scheint es sinnvoll, hierunter all jene politischen Aktivitäten zusammenzuführen, die sich über die Grenzen einzelner Staaten hinaus der Entwicklung und Nutzung digitaler Technologien widmen. Diesem Verständnis nach sind Staaten ein wichtiger, aber nicht der einzige Akteur in diesem Politikfeld.
Das heißt jedoch nicht, dass in der geplanten Strategie der Bundesregierung alle Facetten internationaler Digitalpolitik gleichermaßen behandelt werden müssen. Vielmehr erscheint es hilfreich, Verbindungen zu anderen programmatisch-strategischen Positionierungen herzustellen, um so gezielt die noch offenen Punkte in den Blick nehmen zu können. So ist zu erwarten, dass grundlegende sicherheitspolitische Fragen mit Implikationen für die internationale Digitalpolitik im Rahmen der »Nationalen Sicherheitsstrategie« behandelt werden, die sich noch in der regierungsinternen Abstimmung befindet.
Hierzu zählen vor allem die Gefahren, die in geopolitischen Auseinandersetzungen aus der Nutzung digitaler Technologien für Spionage und Sabotage sowie aus der manipulativen Einflussnahme auf digitale Öffentlichkeiten entstehen. Die spezifischen Herausforderungen von Cyberattacken wiederum werden in der Cybersicherheitsstrategie angegangen, die zuletzt 2021 aktualisiert wurde.
Tabelle 1 Themenschwerpunkte in den Digitalstrategien verschiedener Länder |
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Cybersicherheit |
Cybersicherheit zivil, Cyberkriminalität |
Internet-Governance |
Digitaler Handel |
Technische Standards |
Forschung & Innovations-förderung |
Entwicklungszusammenarbeit |
Menschenrechte & |
Digitale Außenpolitik |
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Australien |
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China |
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Dänemark |
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Frankreich |
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Niederlande |
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In vergleichbarer Weise finden sich grundlegende Überlegungen zur Industriepolitik in der 2019 veröffentlichten »Industriestrategie 2030«. Zwar bleibt bis 2030 noch einige Zeit, doch die Zuspitzung geopolitischer Konflikte seit Russlands Angriff auf die Ukraine könnte Anlass dafür geben, diese Strategie noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Allerdings ließe sich dies allein mit Hilfe einer Strategie zur internationalen Digitalpolitik wohl kaum in Gänze bewerkstelligen. Ähnliches gilt für die neue China-Strategie, in der aller Voraussicht nach Fragen der Industrie- und Außenwirtschaftspolitik substanziellen Raum einnehmen werden.
Eine produktive Koexistenz gilt es auch zwischen der neuen Strategie zur internationalen Digitalpolitik und der geplanten »Zukunftsstrategie« zu finden. Mit Fokus auf Forschung und Innovation wird es hier sicher auch um die technologische Souveränität Deutschlands gehen. Es ist damit zu rechnen, dass sich hier weitere Überlappungen mit den Strategien zu Künstlicher Intelligenz und Blockchain ergeben.
Die Digitalisierung der internationalen Politik selbst schließlich, also die Nutzung digitaler Technologien in der Praxis der Diplomatie, scheint gut aufgehoben in der Digitalisierungsstrategie des Auswärtigen Amtes von Ende 2021. Wenngleich im Feld der internationalen Digitalpolitik auch andere Ressorts zu Akteuren der auswärtigen Politik werden, scheint es sinnvoll, den Umgang mit Fragen der Veränderung von Arbeitsprozessen an einer Stelle zu bündeln.
Nicht nur an diesem letzten Punkt wird die Ressortlogik des deutschen Regierungssystems sichtbar. Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, allein aus der aktuell gültigen Ressortverteilung heraus den thematischen Zuschnitt für die Strategie zur internationalen Digitalpolitik zu entwickeln. Soll die Strategie auch dem internationalen »signalling« dienen, gilt es vielmehr darzustellen, wie sich ihre thematischen Schwerpunkte aus einem systematisch anschlussfähigen Verständnis internationaler Digitalpolitik ergeben.
Themen für die deutsche Strategie
Führt man den internationalen Vergleich mit dem Abgleich verwandter deutscher Strategien zusammen, wird deutlich, an welchen Stellen noch strategischer Klärungsbedarf besteht.
Handelspolitik im Verbund mit Datenschutz und Nachhaltigkeit
Internationaler Handel ist heute ohne digitale Technologien kaum noch möglich. Für eine stark auf den Export ausgerichtete Wirtschaft wie die deutsche sind daher Fragen grenzüberschreitenden Datenaustausches ein zentrales Element der Handelspolitik.
Als Teil der G7 hat sich Deutschland in diesem Sinne immer wieder zu global ungehinderten Datenflüssen als Ziel bekannt. Nicht zufällig enthält die Formulierung der G7 aber einen wichtigen Zusatz, wonach es hier um »data free flow with trust« geht.
Die Ergänzung »mit Vertrauen« spiegelt die zunehmenden Konflikte um grenzüberschreitende Datentransfers wider. Sind Handelsfragen betroffen, zeigt sich dies vor allem bei der Regulierung von Datenschutz und Datensicherheit. Denn auch in digitalen Handelsbeziehungen geht es vielfach um sensible Daten, die dem Datenschutz unterliegen oder bei denen das Risiko der Industriespionage hoch ist.
Deutschland hat sich in der nationalen Gesetzgebung und als Mitglied der EU auf ein anspruchsvolles Niveau des Schutzes personenbezogener Daten festgelegt. Einige Staaten wie zum Beispiel Japan erreichen ein ähnliches Schutzniveau, weshalb hier über rechtliche Mechanismen der EU ein rechtskonformer und unkomplizierter Datenaustausch möglich ist.
In vielen Fällen ist eine solche regulatorische Übereinstimmung aber nicht gegeben. Besonders offenkundig ist dies im Falle Chinas, aber auch im Verhältnis zu Indien (siehe SWP-Aktuell 62/2021).
Wie schwierig es ist, hier Kompromisse zu finden, lässt sich seit vielen Jahren an den Auseinandersetzungen mit einem der wichtigsten Partner der EU beobachten, den USA. Zweimal schon hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass das Datenschutzniveau in den USA vor allem aufgrund der weitreichenden Befugnisse der dortigen Nachrichtendienste nicht dem in der EU angestrebten Niveau entspricht. Nach seiner Wahl hat sich Präsident Biden zusammen mit der EU-Kommission um eine Lösung dieses Konflikts bemüht. Noch ist offen, ob diese tragfähig sein wird.
Als neue Dimension in diesem Zusammenhang ist jüngst das Verhältnis von Digitalisierung und Nachhaltigkeit verstärkt in den Fokus gerückt. Bisher gibt es hierzu weder in Deutschland noch der EU spezifische regulatorische Vorgaben. Auch in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung von 2021 wird Digitalisierung noch nicht vertieft behandelt. Dagegen wurde das Thema explizit in den Koalitionsvertrag aufgenommen, besonders mit Blick auf Anforderungen an die Energieeffizienz von Rechenzentren. Hier deutet sich perspektivisch ebenfalls ein Konflikt an: Werden innerhalb der EU die Vorgaben zur Nachhaltigkeit digitaler Dienste und Infrastrukturen verschärft, kann sich das auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen in diesem Bereich auswirken.
Die strategische Herausforderung besteht vor diesem Hintergrund darin, die Handelsbeziehungen so zu gestalten, dass die eigenen Vorgaben zu Datenschutz und Nachhaltigkeit nicht unterminiert, aber zugleich die Handelsbeziehungen nicht unnötig eingeschränkt werden.
An dieser Stelle geht es mithin weniger um eine Zielbestimmung und vielmehr darum, wie die bereits gesetzten Ziele besser erreicht werden können. Zwar lässt sich diese Frage in einer internationalen Digitalstrategie nicht im Detail beantworten. Aber mit ihr lässt sich immerhin eine Richtung vorgeben.
Vielversprechend scheinen hier zwei Ansätze. Erstens könnte sich Deutschland auf diplomatischem Wege dafür einsetzen, bei Partnern in der Welt für das eigene Modell von Handelsbeziehungen im Einklang mit den Zielen von Datenschutz, Datensicherheit und Nachhaltigkeit zu werben. Die Verhandlungen mit den USA zeigen, dass dies selbst mit engen Partnern nicht einfach ist. Um hier wirklich Fortschritte zu erreichen, wäre daher eine fokussierte diplomatische Initiative vonnöten.
Allerdings wird es all diesen Bemühungen zum Trotz weiterhin eine Vielzahl von Staaten geben, die nicht die gleichen Standards wie Deutschland und die EU erfüllen (wollen). Ein Ansatzpunkt könnte hier zweitens darin bestehen, an der Schnittstelle von Technologie und Regulierung Varianten von »Normenkollisionsregimen« zu entwickeln. Dazu könnten etwa Maßnahmen der Anonymisierung oder Pseudonymisierung personenbezogener Daten zählen, aber auch neue Verfahren der Zustimmung zu Transfers von Daten in andere Jurisdiktionen.
Entwicklungszusammenarbeit insbesondere bei digitalen Infrastrukturen
Die Entwicklungszusammenarbeit bildet eine wichtige Dimension der internationalen Digitalpolitik. Immer schwerer wiegt die »global digital divide«, also die weltweite Spaltung in diejenigen, die Zugang zum Internet und anderen digitalen Technologien haben, und diejenigen, denen dieser Zugang und die damit verbundenen Möglichkeiten fehlen. Nach den statistischen Auswertungen der International Telecommunication Union (ITU) gehören hierzu derzeit rund 2,7 Milliarden Menschen, etwa ein Drittel der Weltbevölkerung. Die meisten von ihnen leben in Entwicklungsländern. Für die betroffenen Gesellschaften hat deswegen der bezahlbare Zugang zum Internet hohe Priorität.
Die große Nachfrage aus Entwicklungsländern trifft dabei auf die Zuspitzung geopolitischer Konflikte um digitale Technologien. China nimmt schon seit längerem im Rahmen seiner »One Belt, One Road«-Initiative gezielt auch digitale Infrastrukturen in den Blick. Die chinesische Regierung setzt darauf, damit den eigenen Einfluss in der Welt auszuweiten.
Digitale Infrastrukturen sind hierfür besonders geeignet, weil dort schnell folgenreiche Pfadabhängigkeiten entstehen. Die Kontrolle über diese Infrastrukturen bildet so die Grundlage für politische wie wirtschaftliche Macht, national wie international. Als weitere Komplikation kommt hinzu, dass ein Großteil der globalen Infrastruktur in den Händen privater Unternehmen liegt.
Diese geopolitische Aufladung der Entwicklungszusammenarbeit findet sich jedoch nicht nur auf chinesischer Seite. Wenngleich unter anderem politischen Vorzeichen, verfolgen die USA seit der globalen Ausbreitung des Internets ab den frühen 1990er Jahren eine ähnliche Politik. Explizit als Gegenentwurf zur chinesischen Politik bemüht sich auch die EU-Kommission seit 2021 mit dem »Global Gateway«-Programm darum, eine europäische Alternative in Stellung zu bringen.
Hier liegt die strategische Herausforderung für Deutschland darin, einen Umgang mit diesen geopolitischen Konflikten um die Entwicklungszusammenarbeit zu finden, der den eigenen Interessen und Wertvorstellungen entspricht und sich mit Aktivitäten in anderen Bereichen, von der Innovationspolitik bis zur Sicherheitspolitik, verbinden lässt. Dabei kommt es besonders darauf an, in nachvollziehbarer Weise eine Balance zu finden: zwischen dem Verfolgen eigener Interessen und dem Anspruch einer Entwicklungszusammenarbeit »auf Augenhöhe« mit den Partnern in den Entwicklungsländern. Deutschland als großer Geldgeber hat hier Gestaltungsmöglichkeiten und kann eventuell sogar über »best practices« Standards setzen. Zudem kann Deutschland seinen Einfluss innerhalb der EU geltend machen, etwa mit Blick auf das »Global Gateway«-Programm oder die jüngst vereinbarte Initiative IRIS2 zur Errichtung einer europäischen Konstellation für weltweit verfügbares Satelliten-Internet.
Nicht zuletzt kann Deutschland, ganz im Sinne einer gleichberechtigten Zusammenarbeit, aus den Erfahrungen mit der Digitalisierung in Entwicklungsländern lernen. Das betrifft praktisch-technische Fragen wie etwa die flächendeckende Umstellung auf rein digitale Zahlungssysteme, doch vor allem explizit politische Aspekte: Aufgrund der eigenen technologischen Abhängigkeiten und der daraus entstehenden geopolitischen Risiken ist Deutschland an vielen Stellen in einer ähnlichen Lage wie zahlreiche Partnerländer in der Entwicklungszusammenarbeit. Die gemeinsame Suche nach Möglichkeiten des Umgangs mit diesem Risiko ist daher für Deutschland ebenso wichtig wie für die Partnerländer.
Menschenrechte und Demokratie
Nach der Euphorie Anfang der 1990er Jahre befindet sich die Demokratie nun seit gut 20 Jahren in der Defensive. Von den 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (VN) stuft etwa Freedom House für das Jahr 2022 nur 82 als frei ein. Nach der Klassifikation der Wissenschaftler Christian Bjørnskov und Martin Rode galten 2022 nur 114 der VN-Staaten als demokratisch.
Lange wurde digitalen Technologien ein befreiendes, emanzipatorisches Potenzial zugeschrieben. Mittlerweile rückt allerdings immer stärker in den Fokus, wie autoritäre Herrscher diese Technologien gegen die eigene Bevölkerung einsetzen (siehe SWP-Aktuell 39/2022). Zugespitzt wird dies im Begriff »digitaler Autoritarismus«.
Einflussreiche Staaten beschränken sich allerdings nicht mehr darauf, ihre Macht im Inneren zu konsolidieren. Immer wieder weisen China und Russland ausdrücklich darauf hin, dass sie auch international ihre politischen Vorstellungen durchsetzen wollen. Dabei können sie auf den Zuspruch einer Reihe autoritärer Staaten zählen.
Nach Jahrzehnten der Dominanz der USA über das Internet und die damit verbundenen Technologien befinden wir uns also nun in einer zugespitzten Auseinandersetzung über die globale digitale Ordnung (siehe SWP-Aktuell 71/2021). Auch im Digitalen geraten liberale, demokratische Prinzipien weltweit immer mehr unter Druck. Dabei zeigt sich auch hier die politische Bedeutung von Unternehmen, denn die meisten der für demokratische Öffentlichkeiten relevanten Plattformen werden von Privatfirmen betrieben.
An dieser Stelle lautet die strategische Herausforderung für die deutsche Politik, auf internationaler Ebene Wege zu finden, um Menschenrechte und Demokratie zu verteidigen. Wichtige Voraussetzung dafür ist, diese Herausforderung explizit als politische Aufgabe zu verstehen. Ansätze hierfür gibt es bereits, etwa über das langjährige Engagement Deutschlands in der »Freedom Online Coalition«. Der neu eingerichtete »Sovereign Tech Fund« bietet in Anlehnung an das US-amerikanische Beispiel des »Open Technology Fund« ebenfalls das Potenzial, gezielt freiheitsfördernde und menschenrechtswahrende Technologien voranzubringen.
Notwendig ist aber, derartige Aktivitäten noch mehr in die Gesamtheit der internationalen Digitalpolitik Deutschlands zu integrieren. Das hieße zum Beispiel, Ansätze dafür zu entwickeln, die Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten als Teil deutscher Sicherheits-, Handels- und Entwicklungspolitik zu begreifen. Nur so kann angemessen darauf reagiert werden, dass die Gegner der Demokratie ihre politischen Ordnungsvorstellungen ebenfalls über verschiedene Politikfelder hinweg und mit unterschiedlichen Methoden durchzusetzen versuchen.
Globale Kooperation in der Digitalpolitik
Quer zu den bisher genannten Themen liegt die Frage, wie in Zukunft die Zusammenarbeit in der internationalen Digitalpolitik institutionell gestaltet werden kann. Immer deutlicher zeigen sich hier drei Probleme: Erstens werden die unterschiedlichen Aspekte der internationalen Digitalpolitik siloartig in je eigenen Foren bearbeitet. Dass auch die deutsche Regierung selbst hier oftmals in einer Weise auftritt, in der sich die deutsche Ressortlogik widerspiegelt, macht die notwendige Koordinierung schwierig. Erschwerend kommt zweitens hinzu, dass viele Foren zunehmend durch geopolitische Konflikte blockiert sind.
Schließlich erweist es sich drittens insbesondere aus deutscher und europäischer Perspektive als Problem, dass die USA nicht mehr im gleichen Maße wie in der Vergangenheit willens zu sein scheinen, sich um die Fortentwicklung der einschlägigen internationalen Organisationen zu kümmern. Besonders ausgeprägt war dies unter Trump. Sein Nachfolger Biden setzt zwar wieder verstärkt auf eine aktive Bündnispolitik, etwa durch das Engagement in der G7 oder durch Initiativen wie die »Declaration for the Future of the Internet«. Aber auch unter Biden wird etwa der Debatte über die künftige Rolle der Vereinten Nationen in der Digitalpolitik nicht mehr so viel Aufmerksamkeit zuteil wie in der Vergangenheit.
Doch gerade bei dieser Debatte handelt es sich um eine der wichtigsten Herausforderungen auf multilateraler Ebene. Der VN-Generalsekretär hat schon 2019 einen Prozess dazu in Gang gesetzt, der nun in einen »Global Digital Compact« münden soll. Teil dieser vom Generalsekretär angestoßenen Diskussion ist die Debatte über das von den VN betriebene Internet Governance Forum (IGF). 2025 endet das bisherige Mandat für dieses Format.
Ungeklärt ist das Verhältnis eines offenen Formats wie dem IGF, einer zwischenstaatlichen Organisation wie der International Telecommunication Union (ITU) und den Aktivitäten im Rahmen von VN-Sicherheitsrat und ‑Generalversammlung.
Schon seit Jahrzehnten laufen Diskussionen über Normen für das Verhalten von Staaten im Cyberraum sowie seit Anfang 2022 Verhandlungen über eine neue Konvention zum Umgang mit Cyberkriminalität. Auch hier steht neben der Komplexität der verhandelten Themen und der daraus erwachsenden politischen Konflikte immer wieder im Raum, ob die VN einen Rahmen bieten können, um diese dringenden Zukunftsfragen zu beantworten.
Neben den multilateralen Foren geraten aber auch die Multistakeholder-Formate mit starker Beteiligung aus Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft unter Druck. Dies zeigt sich unter anderem an den intensiver werdenden Auseinandersetzungen über politische Entscheidungen der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN, siehe dazu SWP-Aktuell 8/2020).
Auch die Gremien der Standardentwicklung, die mit ihrer Arbeit das technische Fundament für die globale digitale Ordnung legen, werden immer mehr in geopolitische Konflikte verwickelt. Unübersehbar ist der Anspruch Chinas, einschlägige Gremien etwa bei der ITU oder der Internet Engineering Task Force (IETF) zu nutzen, um eigene Standards weltweit zur Geltung zu bringen.
Gerade vor dem Hintergrund der vielfältigen Konflikte in den für die Digitalpolitik relevanten internationalen Organisationen erfüllen schließlich die bilateralen Beziehungen eine wichtige Funktion. Das gilt aus deutscher Sicht vor allem für das in der Digitalpolitik nicht immer einfache, aber dennoch weiterhin essentielle Verhältnis zu den USA. Daneben spielt aber eine Reihe weiterer Staaten eine bedeutende Rolle in der Handels- und Entwicklungspolitik ebenso wie beim Kampf um die Demokratie. Das gilt auch für die Sicherheitspolitik, wo sie Fragen der internationalen Digitalpolitik berührt.
Deutschlands strategische Aufgabe in diesem Kontext lautet, zunächst einmal eine eigenständige Position zur Zukunft der globalen Kooperationsbeziehungen in der Digitalpolitik zu entwickeln. Seit langem positioniert sich die Bundesregierung als Verfechter der Multistakeholder-Governance. Dies allein wird jedoch im Lichte der vielfältigen Konflikte um die globale Institutionenordnung nicht ausreichen. Vielmehr gilt es, neu zu bestimmen, wie eine fruchtbare Aufgabenverteilung zwischen verschiedenen Formen der Kooperation – von den multilateralen und regionalen Formaten über bilaterale Zusammenarbeit bis hin zu den Multistakeholder-Foren – aussehen kann. Verbunden ist dies mit der Frage, in welcherlei Hinsicht Deutschland Formate der Kooperation aktiv unterstützen kann.
Ausblick
Die Debatte über die deutsche Strategie für die internationale Digitalpolitik beginnt in diesen Tagen. Sie bietet eine Chance, die deutsche Außenpolitik in diesem wichtigen Zukunftsfeld neu zu strukturieren.
Die Grundlage dafür bildet die noch ausstehende Festlegung, welche Aspekte der internationalen Digitalpolitik in der Strategie verhandelt werden sollen. Davon ausgehend wird es im nächsten Schritt darauf ankommen, die politischen Ziele zu setzen und sie mit geeigneten Instrumenten zu verknüpfen. Der internationale Vergleich zeigt, dass Deutschland hier vom Austausch mit engen Partnern profitieren kann.
Großes Potenzial birgt zudem das Wissen der netzpolitischen Community in Deutschland. Deren Mitglieder aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft verfügen über enormes Detailwissen und sind selbst oftmals in hohem Maße international vernetzt. Für die deutsche Politik, allen voran das für diesen Prozess federführende BMDV, wäre es daher ein großer Gewinn, diese Community aktiv und möglichst engmaschig in die Diskussionen innerhalb der Regierung einzubeziehen. Nicht zuletzt würde auf diese Weise die Idee der Mitwirkung nichtstaatlicher Akteure in den globalen Institutionen der Digitalpolitik glaubwürdig schon im nationalen Prozess der Strategieentwicklung aufgegriffen.
Literaturhinweise
Julia Pohle/Daniel Voelsen, »Das Netz und die Netze. Vom Wandel des Internets und der globalen digitalen Ordnung«, in: Berliner Journal für Soziologie, 32 (2022), S. 455–487
Daniel Voelsen, Risse im Fundament des Internets. Die Zukunft der Netz-Infrastruktur und die globale Internet Governance, Berlin: SWP, Mai 2019 (SWP-Studie 12/2019)
Dr. Daniel Voelsen ist Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen.
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DOI: 10.18449/2022A79