Deutschland und Südkorea verbinden nicht nur ähnliche historische Erfahrungen und enge wirtschaftliche Beziehungen, sondern auch gemeinsame Werte und Interessen. Lange waren die bilateralen Beziehungen von einem Austausch über traditionelle Kooperationsthemen geprägt, etwa den Teilungs- und Wiedervereinigungserfahrungen sowie vor allem den wirtschaftlichen Verbindungen. Jüngst weiten sie sich auch auf den sicherheitspolitischen und strategischen Bereich aus. Um das Potential auszuschöpfen, bestehende Herausforderungen zu bewältigen und die bilateralen Beziehungen zukunftsfähig auszugestalten, sollten Berlin und Seoul diese weiter intensivieren und zu einer strategischen Partnerschaft aufwerten.
Am 26. November 2023 jährte sich die Aufnahme deutsch-koreanischer diplomatischer Beziehungen zum 140. Mal. Lange waren sie hauptsächlich in einer Reihe traditioneller Kooperationsbereiche angesiedelt. Heute aber spielt die Zusammenarbeit in nichttraditionellen Bereichen eine immer größere Rolle, vor allem sicherheitsrelevante Themen wie Cyber-, Energie- und wirtschaftliche Sicherheit sowie die Diversifizierung von Lieferketten. Dieser Wandel spricht dafür, dass Korea in Berlin heute als zunehmend wichtiger politischer und Wertepartner im Sinne demokratischer Rechte und Freiheiten sowie fairen internationalen Handels wahrgenommen wird. Dennoch sind die bilateralen Beziehungen angesichts der Bedeutung, die beide Seiten ihnen beimessen, noch immer nicht so weit entwickelt, wie sie es sein könnten. Bis dato wird ihr Potential nicht ausgeschöpft.
Olaf Scholz’ Aufenthalt im Mai 2023 war der erste offizielle Staatsbesuch eines deutschen Bundeskanzlers in der Republik Korea seit Helmut Kohls Reise dorthin vor dreißig Jahren. Dagegen haben außer dem gegenwärtigen Amtsinhaber Yoon sämtliche südkoreanischen Präsidentinnen und Präsidenten seit der Demokratisierung Ende der 1980er Jahre Deutschland besucht. Deutschland hat die Beziehungen zu Korea historisch insbesondere jenen zu China und Japan untergeordnet. Dies wirft zum einen die Frage nach den konkreten Gründen für die Unterentwicklung der bilateralen Beziehungen auf. Zum anderen steht im Raum, ob die Bundesregierung bereit ist, in die jüngste Ausweitung der bilateralen Beziehungen politisch zu investieren, und wie eine solche Vertiefung erreicht werden kann.
Traditionelle Kooperationsfelder: Handel, Wissenschaft und Kultur
Ihren offiziellen Anfang nahmen die Beziehungen zwischen Deutschland und Korea mit der Unterzeichnung des Handels-, Schifffahrts- und Freundschaftsvertrages zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Korea vom 26. November 1883. 1954 etablierten die Republik Korea und die Bundesrepublik Deutschland konsularische und 1957 vollumfängliche diplomatische Beziehungen. Seither hat sich das bilaterale Verhältnis sektoral sehr unterschiedlich entwickelt.
Zweifellos bilden besonders die engen wirtschaftlichen Beziehungen das Fundament des bilateralen Verhältnisses. Mit einem bilateralen Handelsvolumen von etwa 34 Milliarden Euro (2022) – ein Anteil von etwa 25% am gesamten Handel zwischen der EU und Südkorea – ist Südkorea Deutschlands drittwichtigster Handelspartner in Asien (nach China und Japan). Deutschland ist Südkoreas bedeutendster Handelspartner in Europa.
Auch der aktive Austausch über die Erfahrungen der deutschen Teilung und Wiedervereinigung ist ein Kernbereich der deutsch-koreanischen Beziehungen. Jährlich tagt ein hochrangig besetztes Konsultationsgremium zu Fragen der Wiedervereinigung. Außerdem unterstützt Deutschland südkoreanische Entscheidungsträger und Wissenschaftler, indem es Dokumente bereitstellt sowie Expertise im Rahmen regelmäßig stattfindender Schulungsprogramme, Austauschprogramme und Forschungsprojekte vermittelt.
Eine weitere tragende Säule der bilateralen Beziehungen ist traditionell die Wissenschaftskooperation. Allein das Bundesministerium für Bildung und Forschung förderte zwischen 2007 und 2019 über 280 gemeinsame Projekte deutscher und koreanischer Forscher. Mehr als 170 deutsche Universitäten sowie zahlreiche außeruniversitäre Forschungsinstitutionen haben Partnerschaften mit südkoreanischen Universitäten und Forschungseinrichtungen etabliert. Kulturelle Kooperation ist ebenfalls ein traditioneller Bereich der bilateralen Beziehungen.
Jüngste Veränderungen in den deutsch-koreanischen Beziehungen
In jüngerer Vergangenheit ist eine überfällige Wende in den deutsch-koreanischen Beziehungen zu beobachten. Ausdruck dieses Wandels sind eine hochrangige Besuchsdiplomatie, die Etablierung neuer Dialogstrukturen sowie konkrete, praktische Kooperationen im strategischen und sicherheitspolitischen Bereich.
Hochrangige Besuchsdiplomatie
Nach einem Besuch von Bundespräsident Steinmeier im November 2022 reiste Außenministerin Baerbock im April 2023 anlässlich des dritten strategischen Dialogs (nach 2018 und 2020) in die Republik Korea. Baerbock betonte, Südkorea sei nicht nur eine gefestigte Demokratie, sondern auch einer von Deutschlands engsten und geschätzten Partnern außerhalb Europas. Deutschland bot Südkorea eine umfassende Partnerschaft an, in deren Rahmen die Kooperation in den Bereichen Klima, Wirtschaft, aber auch Sicherheit ausgebaut werden soll.
Im Mai 2023, im Anschluss an den G7-Gipfel im japanischen Hiroshima, nahm Bundeskanzler Olaf Scholz an einem Gipfeltreffen mit dem südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk Yeol in Südkorea teil. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz teilte Präsident Yoon mit, dass Südkorea und Deutschland den Abschluss eines Abkommens zum Schutz geheimer Militärinformationen gemeinsam vorantreiben wollen. Darüber hinaus habe man sich darauf geeinigt, die soliden Handels- und Investitionsbeziehungen um hochmoderne Industrien zu erweitern, zum Beispiel um die Wirtschaftszweige Wasserstoff, Halbleiter, Biotechnologie und saubere Energien.
Darüber hinaus besuchten zuletzt Delegationen des Auswärtigen Ausschusses, der Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer sowie der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil die Republik Korea.
Wachsende Bedeutung von Sicherheitsaspekten
Die jüngsten Veränderungen in den deutsch-koreanischen Beziehungen bestehen vor allem darin, dass man sich vermehrt mit strategischen und sicherheitsrelevanten Themen befasst. Die wachsende Bedeutung von Sicherheitsfragen in den bilateralen Beziehungen hängt mit den Lehren aus der globalen Covid-19-Pandemie, mit Russlands Krieg gegen die Ukraine, aber auch mit dem Aufstieg der Volksrepublik China zusammen. Südkorea und Deutschland stehen vor einem ähnlichen Dilemma: Für beide ist China dem Volumen nach wichtigster Handelspartner. Beide sind bei Export und Import von China abhängig und hochgradig verwundbar – Südkorea noch mehr als Deutschland.
Vor diesem Hintergrund streben beide Seiten unter anderem eine engere Zusammenarbeit im Bereich wirtschaftliche Sicherheit an, um die Lieferketten zu diversifizieren. Das von Südkorea und Deutschland während des Besuchs von Kanzler Scholz angekündigte Abkommen zum Schutz militärischer Informationen zielt beispielsweise darauf ab, die praktische Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich zu stärken und die Lieferketten der Verteidigungsindustrie in Zeiten weltweiter wirtschaftlicher und politischer Instabilität zu stabilisieren.
Auch die Energiesicherheit stellt ein zunehmend wichtigeres Kooperationsfeld zwischen Berlin und Seoul dar. Bereits im Dezember 2019 wurde die Deutsch-Koreanische Energiepartnerschaft beschlossen, mit deren Hilfe die energiepolitische Zusammenarbeit der beiden Länder vertieft werden soll. Zu diesem Zweck intensivieren diese den Austausch unter anderem in Bezug auf den Ausbau und die Systemintegration erneuerbarer Energien, die Steigerung der Energieeffizienz, Energiesysteme der Zukunft, grünen Wasserstoff sowie den Ausstieg aus der Kernenergie.
Ausgebaut wurden auch die cybersicherheitspolitische Zusammenarbeit und der Dialog mit Südkorea als einem der Schlüsselpartner der Region. Darauf verweist unter anderem auch der Fortschrittsbericht zur Umsetzung der Leitlinien der Bundesregierung zum Indo-Pazifik für das Jahr 2023. Im März 2023 veröffentlichten der deutsche Verfassungsschutz und der koreanische National Intelligence Service erstmals einen gemeinsamen Sicherheitshinweis, um auf eine Cyberspionagekampagne der nordkoreanischen Kimsuky-Gruppe aufmerksam zu machen – ein Novum in der cybersicherheitspolitischen Kooperation zwischen Europa und Südkorea. Für die gewachsene Bedeutung sicherheitspolitischer Aspekte im deutsch-koreanischen Verhältnis spricht ferner, dass die Deutsche Luftwaffe im Nachgang zu den multinationalen Militärübungen Pitch Black und Kakadu in Australien an fliegerischen Kooperationen mit Südkorea und Japan teilnahm und die Fregatte Bayern sich an der Überwachung der Sanktionen gegen Nordkorea beteiligte.
Um die Zusammenarbeit in den zentralen Fragen der Digitalisierung zu vertiefen, richteten Berlin und Seoul den deutsch-koreanischen Digitaldialog ein, dessen erste Sitzung im September 2022 stattfand. Im Rahmen des Dialogs sollen unter anderem die jeweiligen politischen Strategien und Initiativen abgeglichen sowie gemeinsame Anstrengungen in der Hochtechnologie und die Vernetzung von Tech-Startups der beiden Länder forciert werden.
Argumente für eine Aufwertung zu einer strategischen Partnerschaft
Unter anderem in den Leitlinien zum Indo-Pazifik hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, ihre Beziehungen zur Region zu diversifizieren und vor diesem Hintergrund die Partnerschaften in der Region auszubauen. Südkorea ist schon jetzt ein äußerst wichtiger Partner Deutschlands, der EU und der Nato im Indo-Pazifik. Gemeinsam von Seoul und Berlin vorangetriebene politische Anliegen sind unter anderem die Stärkung von Demokratie und Menschenrechten, von multilateralen Institutionen, einer regelbasierten internationalen Wirtschafts- und Finanzordnung sowie internationaler friedenserhaltender Maßnahmen und des gemeinsamen Engagements im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels. Es ist davon auszugehen, dass die strategische Bedeutung Südkoreas für Deutschland weiter wachsen wird. Dafür sprechen Südkoreas leistungsstarke Wirtschaft, seine ausgeprägten technologischen Fähigkeiten und seine Spitzenstellung in der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie in der Chip- und Halbleiterproduktion. Auch vor diesem Hintergrund sprach sich der Deutsche Bundestag in einer Sitzung am 19. Oktober 2023 mehrheitlich für eine Stärkung der deutsch-koreanischen Wertepartnerschaft aus. Dem Antrag der Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP stimmte auch die CDU zu, während sich die AfD enthielt und die Linke dagegen votierte. Südkorea sei als stabile Demokratie und erfolgreiche Wirtschaftsnation einer der wichtigsten Partner Deutschlands in Asien und spiele bei der Umsetzung der Indo-Pazifik-Leitlinien sowie der Indo-Pazifik-Strategie der Europäischen Union eine hervorgehobene Rolle. Daher fordert der Bundestag die Bundesregierung unter anderem auf, »den 140. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Korea zum Anlass zu nehmen, die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Republik Korea weiter zu stärken, (…) bei der Sicherung resilienter Lieferketten und wirtschaftlicher Resilienz zusammenzuarbeiten (…) [und] den Austausch zu geopolitischen und geoökonomischen Entwicklungen im Indo-Pazifik zu fördern«.
In einer Zeit, in der sich die globale Ordnung grundlegend ändert und Deutschland und Südkorea sich mit ähnlichen Unsicherheiten und Herausforderungen konfrontiert sehen, sollte die Bundesregierung, um diese Ziele zu erreichen, der gestiegenen politischen Bedeutung Koreas Ausdruck verleihen, indem sie die bilateralen Beziehungen zu einer strategischen Partnerschaft aufwertet. Das Auswärtige Amt unterhält bis dato acht solcher Partnerschaften – mit Australien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Vietnam, Südafrika und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Im Gegensatz zu einigen anderen als strategisch bezeichneten Partnerschaften des Auswärtigen Amts erfüllen die deutsch-koreanischen Beziehungen in vielen Bereichen bereits das, was man von einem tatsächlichen strategischen Partner erwartet: eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit in für beide Seiten zentralen Bereichen. Mehr noch: Südkorea teilt nicht nur wirtschaftliche und politische Interessen mit der Bundesrepublik, sondern ist ein zunehmend bedeutsamer politischer, Werte- und Sicherheitspartner:
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Als eines der wenigen asiatischen Länder verhängte Südkorea als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine Sanktionen gegen Russland.
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Als eines der vier indo-pazifischen Partnerländer (zusammen mit Australien, Japan und Neuseeland) vertieft Südkorea sukzessive die Kooperation mit der Nato und im Rahmen einer strategischen Partnerschaft auch mit der EU.
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Südkorea als Exportnation setzt sich wie Deutschland für die regelbasierte internationale Ordnung und für starke multilaterale Institutionen ein.
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Im Lichte der Erfahrungen aus der Covid-19-Pandemie, dem sich zuspitzenden Konflikt zwischen den USA und China sowie Russlands Krieg gegen die Ukraine ist Südkorea wie Deutschland bestrebt, mehr Diversifizierung in der Außen- und Wirtschaftspolitik zu schaffen, einseitige Abhängigkeiten zu verringern und nachhaltige Partnerschaften, besonders mit Wertepartnern, zu festigen.
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Südkorea hat eine Indo-Pazifik-Strategie veröffentlicht, die sich in zahlreichen Punkten mit der einschlägigen deutschen Strategie überlappt. Das betrifft sowohl den Umgang mit China als auch das Bestreben, regionale Kooperationsmöglichkeiten auszuweiten und mehr Kooperationspartner zu finden.
Eine strategische Partnerschaft wäre nicht bloß ein Symbol dafür, dass die Beziehungen zu Südkorea für Deutschland immer bedeutsamer werden. Sie würde vielmehr auch bewirken, dass die Beratungen über regionale wie globale Angelegenheiten auf allen Ebenen weiter intensiviert und institutionalisiert werden. So trüge sie dazu bei, dass die Beziehungen resilienter und robuster gegenüber politischen Dynamiken werden. Mit einer strategischen Partnerschaft ließe sich perspektivisch auch der Weg zu einer umfassenderen Sicherheitspartnerschaft ebnen. Sie wäre ein Instrument, um gemeinsam etwa Bedrohungen der Cybersicherheit zu bewältigen, mit ausländischer Einmischung umzugehen und die Resilienz der Gesellschaften und Volkswirtschaften zu erhöhen. Schließlich würde eine strategische Partnerschaft mit einem weiteren Land des Indo-Pazifiks auch Deutschlands Standing als politischer Akteur in der Region weiter verbessern.
Herausforderungen für die weitere Entwicklung der bilateralen Beziehungen
Es gibt vielfältige Gründe dafür, dass die beiden Seiten das Potential ihrer Beziehungen nicht ausschöpfen. Sowohl politische als auch institutionelle Dynamiken spielen dabei eine Rolle.
Zum einen hat Berlin die politische Bedeutung Koreas lange übersehen und das Land diplomatisch vernachlässigt. Das hängt damit zusammen, dass Deutschland sich mehr auf seine Beziehungen zu Japan und China konzentrierte.
Zum anderen ist aber an dieser Stelle auch auf die Volatilität der politischen Kultur in Südkorea zu verweisen. Sie ergibt sich in erster Linie aus einer traditionellen Spaltung in zwei politische Lager – ein konservatives, ein liberales–, die sich jüngst zunehmend verschärft. Aufgrund dieser Spaltung, in Südkorea als namnamgaldŭng (Süd-Süd-Konflikt) bezeichnet, können Regierungswechsel weitreichende Veränderungen in einzelnen Politikfeldern nach sich ziehen. Gerade in der Außenpolitik lässt sich dies besonders gut beobachten. Traditionell fokussieren liberale Regierungen ihre Außenpolitik auf die unmittelbaren Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel sowie auf die Hauptakteure der (Nord-)Korea-Frage. Direkt oder indirekt beeinflusst dies auch Ausrichtung und Tiefe der Kooperation mit Europa und mehr noch mit den USA und China. Das macht es für Länder wie Deutschland schwierig, Zusammenarbeit mit Südkorea längerfristig zu planen. Dessen Verhalten als internationaler Partner, erst recht in sensibleren Politikbereichen, ist mitunter schwer kalkulierbar.
Im Unterschied dazu wird die Außenpolitik des G7-Partners Japan von Berlin aus als äußerst konsistent und weitaus berechenbarer wahrgenommen. Dies drückt sich nicht zuletzt in einer stabileren und hochrangigeren Besuchsdiplomatie mit Japan aus, wie die ersten Regierungskonsultationen 2023 veranschaulichen. Angesichts dessen sind die gegenwärtigen Fortschritte in den deutsch-koreanischen Beziehungen auch ein Ergebnis der stärker global orientierten Außenpolitik der amtierenden Yoon-Administration. Deren außenpolitisches Selbstverständnis, das sich von jenem der Vorgängerregierung unterscheidet, drückt sich in erster Linie in der Vision von Südkorea als »globalem Schlüsselstaat« (global pivotal state) aus. Die Regierung Yoons unterstreicht damit die Absicht, Südkoreas Außenpolitik, die ausdrücklich auf einer Förderung liberaler demokratischer Werte wie Freiheit, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit basiert, mit dem wachsenden wirtschaftlichen und militärischen Einfluss des Landes in Einklang zu bringen. Besonders fällt hier ins Gewicht, dass Yoons Strategie darauf hinausläuft, die traditionell auf die Halbinsel konzentrierte Politik Seouls neu zu kalibrieren, nämlich hin zu einer expansiveren, globalen Rolle. Folgerichtig materialisiert sich die Idee eines globalen Schlüsselstaates im sichtbaren Ausbau von Netzwerken und in der Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Nationen, die Südkoreas Identität, Werte und strategische Interessen teilen.
Für die deutsch-koreanischen Beziehungen hatte dies zur Folge, dass sich die strategischen Interessen zwischen Berlin und Seoul zusehends überlappten. Das galt etwa für den beiderseitigen Wunsch nach Diversifizierung und die damit verbundene größere Konzentration beider Regierungen auf die Stärkung von Wertepartnerschaften. Da sich Südkoreas außenpolitischer Fokus nach einem möglichen Regierungswechsel durchaus wieder ändern könnte, besteht eine zentrale Herausforderung nun darin, die gegenwärtigen Errungenschaften in den bilateralen Beziehungen zu verstetigen.
Fazit
Deutschlands bilaterale Beziehungen zu Südkorea, lange vornehmlich von wirtschaftlichen Überlegungen geprägt, weiten sich derzeit in neue, nichttraditionelle Bereiche aus. Geopolitische Transformationen werden die Beziehungen Deutschlands zu Südkorea künftig höchstwahrscheinlich noch weitaus wichtiger machen. Das betrifft Fragen der wirtschaftlichen Sicherheit und der Stabilisierung von Lieferketten, der Digitalisierung, aber auch der Zusammenarbeit im Bereich der Cyber- sowie maritimen Sicherheit. Andere europäische Länder wie etwa Österreich (2021) und zuletzt das Vereinigte Königreich (2023) haben ihre bilateralen Beziehungen zu Korea vor diesem Hintergrund bereits zu strategischen Partnerschaften vertieft. Bemerkenswert ist, dass die globale strategische Partnerschaft zwischen dem Vereinigten Königreich und der Republik Korea neben der Kooperation in den Bereichen Verteidigung und Cybersicherheit auch eine vertiefte Zusammenarbeit in der maritimen Sicherheit umfasst, vor allem gemeinsame Seepatrouillen zur Bekämpfung der illegalen Aktivitäten Nordkoreas.
Um das Potential der bilateralen Beziehungen auszuschöpfen und sie nachhaltig auszugestalten, sollten Berlin und Seoul sie intensivieren und zu einer strategischen Partnerschaft ausweiten. Auf diese Weise ließe sich die Kooperation, allen voran in sensibleren Bereichen, auch gegen wechselhafte politische Dynamiken wappnen. Außerdem ließe sich so die Rolle Deutschlands als politischer Akteur in der Region aufwerten. Das gegenwärtige »window of opportunity«, welches sich durch eine unmittelbarere Überlappung der strategischen Interessen Deutschlands und Südkoreas ergibt, sollte daher unbedingt genutzt werden.
Dr. Eric J. Ballbach ist Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Asien. Diese Publikation wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung der Korea Foundation.
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ISSN (Online) 2747-5018
DOI: 10.18449/2023A61