Direkt zum Seiteninhalt springen

Zentralasien in Bedrängnis

Problematische Reaktionen auf regionale Sicherheitskrisen

SWP-Studie 2001/S 35, 15.10.2001, 41 Seiten Forschungsgebiete

Das nachsowjetische Zentralasien rückte mit seinen Stabilitäts- und Sicherheitsproblemen schon vor dem 11. September 2001 ins internationale Blickfeld. Spätestens seit den ersten Einfällen von Freischärlern der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) aus Afghanistan über Tadschikistan in Grenzgebiete Kirgistans und Usbekistans (Sommer 1999 und 2000) stellen die zentralasiatischen Staaten grenzüberschreitenden Terrorismus, Drogenhandel und andere Ausstrahlungen des afghanischen Konfliktherds im Zusammenspiel mit islamistischer Oppositionsbildung in den eigenen Gesellschaften an die Spitze der regionalen Bedrohungsfaktoren. Diese Themen lieferten den Anstoß zu einer Verdichtung sicherheitspolitischer Kooperation mit Rußland und China im Rahmen der kürzlich institutionalisierten Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, erregten aber auch in Washington und europäischen Hauptstädten Aufmerksamkeit und Bereitschaft, die betreffenden Staaten bei der Sicherung ihrer Grenzen und Modernisierung ihrer Streitkräfte zu unterstützen. Doch vor dem 11. September war trotz vermehrter sicherheitspolitischer Zusammenarbeit kein externer Akteur bereit, der Region eine substantielle Sicherheitsgarantie zu bieten. Nunmehr erwartet ein Land wie Usbekistan von seiner schlagartig intensivierten Kooperation mit den USA langfristige Effekte für seine Stabilitätswahrung. Doch gerade dieses Land verkörpert die Problematik von Sicherheitspolitik in Zentralasien in besonderer Weise.

Die vorliegende Studie setzt sich mit den Antworten der Regierungen zentralasiatischer Staaten auf ihre eigenen Sicheitsherausforderungen und die Stabilitätsprobleme ihrer Länder auseinander. Sie bezieht sich überwiegend auf die Entwicklung bis zum Sommer 2001. Sie untersucht das Verhältnis zwischen externen und internen Faktoren regionaler Destabilisierung. Die - durchaus relevante - Bedrohung durch den afghanischen Konfliktherd, das Talibanregime, internationale Terrornetze und andere grenzüberschreitende Sicherheitsrisiken sowie die Zunahme islamistischer Dynamiken in den eigenen Gesellschaften füllt das Thema "Zentralasien in Bedrängnis" nur zum Teil aus.

 

Hausgemachte Ursachen der regionalen Sicherheitskrise liegen in der wachsenden Entfremdung zwischen Staat und Gesellschaft, der zunehmenden staatlichen Unterdrückung jeglicher Opposition und Regimekritik unter der Vorgabe der Bekämpfung von Extremismus, der Vernachlässigung regionaler Kooperation in lebenswichtigen Handlungsbereichen wie der Regelung von Wasserverteilung und -bewirtschaftung und riskantem Verhalten auf der zwischenstaatlichen Ebene (zum Beispiel einseitig vorgenommener Abriegelung, ja Verminung von Grenzabschnitten). Hinzu kommt die nachsowjetische Wirtschaftskrise, die zentralasiatische Staaten - allenfalls mit Ausnahme Kasachstans - noch stärker traf als andere GUS-Staaten.