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Nur vorübergehende Entwarnung

Die Opec wird bald wieder konkurrenzlos sein. Damit stellt sich erneut die Frage nach der Verwendung der akkumulierenden Petrodollar-Einnahmen

in: Handelsblatt Nr. 193 vom 06.10.2005, S. 11

Enno Harks

 

Nur vorübergehende Entwarnung

 

Die Opec wird bald wieder konkurrenzlos sein. Damit stellt sich erneut die Frage nach der Verwendung der akkumulierenden Petrodollar-Einnahmen.

 

in: Handelsblatt Nr. 193 vom 06.10.2005, S. 11

 

Der Anstieg des Ölpreises in den letzten Monaten wirft vor allem zwei Fragen auf. Erstens: Welche Auswirkungen hat das Preisniveau auf die Öl importierenden Staaten? Zweitens: Können die generierten Rekordeinnahmen der Ölexporteure die Finanzmärkte destabilisieren und zu jenem Problem führen, das vor 30 Jahren mit dem Recycling der Petrodollar einherging? Während dem ersten Fragenkomplex gewaltige Aufmerksamkeit geschenkt wird, findet das Thema Einnahmen deutlich weniger Beachtung.

Die Einnahmen der Opec-Länder werden 2005 voraussichtlich 430 Milliarden Dollar betragen. Dies ist eine Steigerung um gut 90 Milliarden gegenüber 2004 und um sagenhafte 250 Prozent gegenüber dem Niedrigpreisjahr 1998. Im historischen Vergleich sind die Gesamteinnahmen der Opec damit nicht mehr weit von ihrem Rekordniveau des Jahres 1980 von real 566 Milliarden Dollar entfernt. Doch gemessen pro Kopf, ist das Niveau der realen Einnahmen über die letzten Jahrzehnte hinweg stark auf jetzt 800 Dollar gefallen. Gegenüber 1980 ist dies ein Verlust von knapp 60 Prozent. Dies gilt übrigens auch für die weniger bevölkerungsreichen Opec-Länder im Mittleren Osten und in Nordafrika (Mena-Region). Dies ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt, wenn über die Stabilität der dortigen Regime geredet wird.

 

In den 70er Jahren führten diese Einnahmen zusätzlich zu staatlicher Ausgaben- und Verschwendungssucht zum Petrodollar-Recycling. Die von 1970 bis 1979 von der Opec eingenommenen 3 000 Milliarden Dollar überstiegen die Absorptionsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften bei weitem und wurden daher zum guten Teil im Ausland geparkt: bei US-Banken, internationalen Finanzinstitutionen und in Form von Devisenreserven. Diese Petrodollar wurden zur massiven Ausweitung der Kreditvergabe benutzt und insbesondere in lateinamerikanischen Entwicklungs- und Schwellenländern „recycelt“. Die Anfang der 80er-Jahre einsetzende Hochzinspolitik löste dann die Zahlungsunfähigkeit ganzer Länder aus. Die Folge war die internationale Schuldenkrise.

 

Und heute? Noch ist das Petrodollar- Recycling kein gravierendes Problem. So haben volkswirtschaftliche Transformation und Bevölkerungswachstum in den Opec-Ländern dazu geführt, dass der inländische Konsum- und Investitionsbedarf heute wesentlich größer ist als zu Zeiten der letzten Ölkrisen. Dies bedeutet, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Öleinnahmen für Importe ausgegeben und somit in westlichen Exportnationen recycelt wird, wovon Deutschland überproportional profitiert. Somit reduziert sich der Netto-Einkommenstransfer von den Ölverbrauchern hin zu den Produzenten. Die Auswirkungen des Ölpreises auf die Handelsbilanzen der Industrieländer sind daher weniger gravierend. Für den Preisanstieg in den Jahren 2003 und 2004 auf knapp unter 40 Dollar pro Barrel waren Einbußen in den Handelsbilanzen von 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu verzeichnen - ein Zehntel jener in den 70er Jahren.

 

Zudem hat der Kapitalexport der Ölexporteure heute weltweit kein entscheidendes Gewicht mehr. Außer einer kurzen Unterbrechung als Folge des 11. Septembers haben die Mena-Opec-Länder jährlich 18 bis 25 Milliarden Dollar in den USA angelegt. Die strategischen Kapitalimporte asiatischer Anleger, insbesondere Japans und Chinas, liegen jedoch wesentlich höher. Von den US Kapitalimporten des Jahres 2004 in Höhe von monatlich 75 Milliarden Dollar stammten nur knapp 2,5 Milliarden aus Öl exportierenden Ländern, aber 30 Milliarden aus Asien.

 

Ferner: Öl ist zwar das international am meisten gehandelte Gut, das Volumen des gesamten Welthandels ist in den letzten drei Dekaden aber so stark gestiegen, dass Öl nur noch einen Anteil von klar unter zehn Prozent hat. Folglich haben auch die Devisen- und Kapitalbewegungen, die zur Abwicklung des Ölgeschäfts nötig sind und/oder daraus generiert werden, keinen signifikanten Anteil am gesamten Devisenvolumen mehr: Der Anteil der Mena-Opec an den Weltdevisenreserven sank von 35 Prozent 1980 auf heute fünf Prozent. Letztlich folgt daraus, dass die Bedeutung der Opec-Einnahmen gegenüber den 70er-Jahren geschrumpft ist und damit auch ihr Gefährdungspotenzial für die internationalen Finanzmärkte.

 

Diese Feststellung ist jedoch mit Vorsicht zu genießen: So trifft ein Ölpreis von 65 Dollar pro Barrel auf eine außenwirtschaftlich höchst instabile US-Wirtschaft. Seit nunmehr 15 Jahren wachsen die Leistungsbilanzdefizite der USA stetig und summieren sich seit dem Irak- Krieg auf fünf bis sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zur Finanzierung dieses Defizits sind massive Kapitalimporte erforderlich, die rund 80 Prozent der Weltersparnis ausmachen! Der hohe Ölpreis ist in dieser Situation ein weiterer Mühlstein um den Hals der US-Handelsbilanz. Hinzu kommen die Kosten der Wirbelstürme „Katrina“ und "Rita".

 

Zudem besteht im Vergleich zu früher ein fundamentaler Unterschied in der Struktur des Weltölmarktes: 1973 gaben die Opec-Preissteigerungen den Anstoß zu einer regen Suche der Verbraucherländer nach Öl in anderen Regionen. Und deren Erfolg unterminierte schnell die Macht- und die Marktposition der Opec, bis diese als funktionierendes Kartell 1986 zusammenbrach. Heute hingegen sind die weltweiten Ölreserven hinlänglich bekannt, und die Produktion kann außerhalb des Mittleren Ostens und der Ex- Sowjetunion schon jetzt nicht mehr gesteigert werden. Beide Regionen sind für internationale Ölfirmen "no-go areas". Daraus folgt, dass die Marktposition der Opec in absehbarer Zeit wieder konkurrenzlos sein wird. Dann aber wird die Frage nach den sich unvermeidlich akkumulierenden Petrodollar-Einnahmen erneut dringlich. Entwarnung gilt also nur vorübergehend.