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Kuba unter Miguel Díaz-Canel

Institutionelle Weichenstellungen unter der Aufsicht Raúl Castros

SWP-Aktuell 2018/A 60, 05.11.2018, 4 Seiten Forschungsgebiete

Kuba hat seit April 2018 einen neuen Präsidenten und zum ersten Mal seit der Revo­lution trägt er nicht den Namen Castro: Mit Miguel Díaz-Canel Bermúdez ist der lang angekündigte Generationswechsel vollzogen worden. Eine grundsätzliche Neuorientierung der kubanischen Innen- und Außenpolitik ist damit jedoch nicht verbunden. Die Fortführung der Revolution steht nicht zur Debatte, aber Kuba will sich modernisieren und an veränderte Realitäten anpassen. Sichtbarster Ausdruck davon ist ein Verfassungsreformprozess, mit dem eine Anerkennung des Privateigentums und eine Erneuerung institutioneller Regelungen verbunden ist. In dem Entwurf werden neue machtpolitische Weichenstellungen und die Bereitschaft erkennbar, die Reformpolitik vorsichtig weiterzutreiben. Doch das Verhalten gegenüber der Opposition scheint sich kaum zu ändern. Entscheidend für die zukünftige Entwicklung wird sein, ob Díaz-Canel sich eine größere Unabhängigkeit von der im Hintergrund immer noch präsenten Castro-Dynastie verschaffen kann.

Nach dem Machtwechsel von Fidel zu Raúl Castro im Jahr 2008 und dem Tod des »Comandante« acht Jahre später ist eine wei­tere Wegmarke im Prozess der Transition des Landes erreicht: die Übergabe des Präsi­dentenamts von Raúl an Miguel Díaz-Canel. Der Mythos der alten »Revolucionarios« wird langsam Geschichte. Der Generations­wechsel bedeutet auch das Ende des per­so­nalistischen Führungsstils der Castros. Er wird nicht nur deutlich, wenn man sich das Alter des neuen Präsidenten vor Augen führt, der 30 Jahre jünger ist als sein Amts­vorgänger. Die neue Verfassung, über die Kuba gegenwärtig diskutiert, wird den Generationswechsel sozusagen institutio­nalisieren, indem sie ein maximales Amts­­eintrittsalter von 60 Jahren für das höchste Staatsamt vorsieht. Zudem soll ab sofort eine Beschränkung auf maximal zwei Amts­perioden gelten. Ein weiteres Anzeichen für eine zunehmende Konstitutionalisierung der politischen Führung und somit die Abkehr vom Personenkult ist die Wieder­einfüh­rung des Premierministeramtes, das Fidel Castro 1976 abgeschafft hatte. Auf den ersten Blick scheint Kuba endgültig im Post-Castrismus angekommen. Doch Raúl Castro ist immer noch Vorsitzen­der des Partido Comunista de Cuba (PCC) und oberster Be­fehls­haber der Streitkräfte. Er ist damit nach wie vor in einer Position, die es ihm erlaubt, den politischen Wandel aus dem Hintergrund zu kontrollieren.

Raúl Castro und seine Veto‑Position

Die fortgesetzte Präsenz Raúls zeigt, dass im politischen System Kubas trotz des Genera­tionswechsels Kontinuität besteht. Zwar hat formal betrachtet der Präsident das höchste Staatsamt inne, doch in der politischen Pra­xis dürfte bei Richtungsentscheidungen kein Weg am Parteivorsitzenden Castro vor­beiführen. Die Armee ist auf Kuba eine zen­trale Stütze des Systems, denn sie ist nicht nur Inhaberin der Militärgewalt, sondern tritt auch als zentraler Wirtschaftsakteur auf. Das Militär kontrolliert und lenkt eine Fülle staatlicher Unternehmen– eine der Lehren, die die kubanische Führung aus den Transformationsprozessen in Osteuropa gezogen hat: Denn mit dieser Kon­struktion soll vermieden werden, dass Wirt­schafts­oligarchen in Erscheinung treten. Somit hat Castro die Geschicke des Landes nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch in der Hand. Von ihm wird es abhän­gen, welche neuen politischen Gruppen innerhalb der Kommunistischen Partei sich konsolidieren können, er wird die Zusammensetzung der neuen Generation mode­rieren und steuern.

Sein politischer Ziehsohn Díaz-Canel stellt sich selbst als Garant der Kontinuität, dar. Der Fortbestand der kubanischen Revo­lution steht für ihn an erster Stelle. In den Monaten seit seinem Amtsantritt bekam man von ihm nur allzu bekannte Töne zu hören: Er verurteilte das US-amerikanische Embargo gegenüber der Karibikinsel, das der Hauptgrund für die ökonomischen Schwierigkeiten des Landes sei und endlich aufgehoben werden müsse. Und er beschwor die Solidarität der mit Kuba verbündeten Staaten untereinander und insbesondere das enge Verhältnis zu Venezuela. Dorthin führte Díaz-Canel auch sein erster Auslands­besuch, so wie auch Präsident Nicolás Maduro als Erstes nach Havanna gereist war.

Ein Blick auf das Kabinett lässt erkennen, dass Díaz-Canel mit der Mannschaft von Raúl Castro weiterregiert. Insbesondere die Schlüsselministerien, das Innen-, Außen- und Verteidigungsressort, sind in denselben Händen geblieben. Eine eigene Gruppe poli­tischer Vertrauter hat Díaz-Canel offenbar nicht mitgebracht. Es sind weiterhin das Netz­werk von Raúl Castro und die damit verbundenen Loyalitätsmuster, die die Poli­tik Kubas in der neuen Phase bestimmen.

Arbeit am »nachhaltigen Sozialismus«

Raúl Castro hat seinem Nachfolger viele un­erledigte Aufgaben hinterlassen: die Ver­fas­sungsreform, die weitere Neuordnung der Wirtschaft und die Zusammenführung der beiden kubanischen Währungen. Gera­de letztere Maßnahme ist so konfliktträchtig, dass sie bislang nicht angegangen wurde. Alle diese Vorhaben stehen unter der Über­schrift eines »nachhaltigen Sozialismus«. Die Existenz von Privateigentum wird erstmals auch formell anerkannt, aber auf die sozia­len Errungenschaften der Revolution und den Primat der Kommunistischen Par­tei soll nicht verzichtet werden. Díaz-Canel hat sich diesen Pfad der Reform der Verfassung und der Wirtschaft bereits zu eigen gemacht, bei dem die Maxime gilt, dass struk­turelle Verwerfungen vermieden werden müssen.

Der Ausbau des Privatsektors ist derzeit eines der zentralen Projekte der kubanischen Führung. Seit 2010 dürfen Kubaner und Kubanerinnen selbstständig als so­genannte Cuentapropistas (»auf eigene Rech­nung Arbei­tende«) oder in Cooperativas tätig sein. Die schwache nationale Wirtschaftsleistung brauchte dringend einen Schub, denn nach wie vor sind Konsumgüter Mangelware und auch Nahrungsmittel müssen in großen Mengen importiert werden. Eine Bilanz der bisherigen Maßnahmen zeigt, dass der kuba­nische Staat das Versprechen auf eine Er­höhung des Wohlstands, mit dem er die ersten Reformversuche 2010 anging, nicht einhalten konnte. Sowohl bei der Streichung von Stellen in ineffizienten Staatsfirmen als auch bei der Steigerung der Selbstständigen­zahlen wurden die Vorgaben nur zur Hälfte erfüllt. Der letzten statistischen Erhebung zufolge waren 2016 rund 29 Prozent der Arbeiter im Privatsektor tätig. Dies ent­spricht zwar einem Anstieg von circa 13 Pro­zent im Ver­gleich zum Jahr 2010; das er­wünschte Ziel einer Erhöhung um 40 Pro­zent wurde jedoch nicht erreicht. Auch die erhofften Beschäftigungseffekte aus der Er­weiterung des Privatsektors sind ausgeblieben. Das Wachstum des BIP lag in den letz­ten Jahren relativ konstant bei circa 2 Pro­zent. Auch hier wurde das angestrebte Ziel von 5 Prozent verfehlt.

Im Juli 2018 verabschiedete die neue Re­gierung Gesetze, die die Aktivitäten des pri­vatwirtschaftlichen Sektors eher erschweren. Denn der Staat will nicht nur unangekün­digte Prüfungen durchführen, sondern auch alle Transaktionen nachvollziehen können. Nach einer Verschärfung branchenspezifi­scher Auflagen können die Behörden jetzt schneller Strafen verhängen oder sogar Li­zenzen und Eigentum entziehen. Verstöße werden als »Vergehen gegen die kubanische Gesellschaft« eingestuft. Die staatlichen Organe haben damit große Spiel­räume erhalten für will­kürliche Eingriffe, die dem Schutz der Staatsfirmen dienen könnten. Da die Ministerien, die für die staatseigenen Betriebe zuständig sind, auch die Überprüfung der Unternehmen in der jeweiligen Branche durchführen, ist in bestimmten Marktsegmenten kein gleichberechtigter Wettbewerb zu erwarten; dies gilt vor allem für die Sektoren Tourismus, Gastronomie und Transportwesen. Die neuen Restriktionen sind zudem ein negatives Signal an die ausländischen Firmen, die zu einem Engage­ment in der Sonderwirtschaftszone Mariel aufgerufen werden. Die aktuellen Zahlen zeigen, dass auch im Bereich der Auslandsinvestitionen die gesetzten Ziele nicht er­reicht werden. Gewünscht war eine Summe von 7 Milliarden US-Dollar, im Jahr 2017 lag diese allerdings bei nur 2 Milliarden. Da­mit fehlen die dringend benötigten Devisen­einnahmen. Selbst im Tourismussektor, der »Lokomotive der Ent­wick­lung« (Díaz-Canel), sind Einbußen zu erwarten: Wegen der angespannten Beziehungen zu den USA und des schlechter werdenden Preis-Leis­tungs-Verhältnisses wurde das Ziel von 5 Mil­lio­nen Besuchern im Jahr 2018 bereits auf 4,75 Millionen reduziert – eine Zahl, die wohl auch nicht erreicht werden dürfte.

Das Kernprojekt Verfassungsreform

Eine der beherrschenden Debatten in Kuba ist derzeit die Änderung der Verfassung von 1992, deren Grundzüge noch aus dem Jahr 1976 stam­men. Im Vorschlag der PCC-Füh­rung zur neuen Verfassung sind nur 11 der Artikel in der ursprünglichen Fassung erhal­ten ge­blieben, 13 wurden komplett entfernt und 113 über­arbeitet. Die Reform ist damit mehr als nur ein symbolischer Akt. In den Änderungen wird die Bedeutung des PCC und des Sozialismus für den kubanischen Staat betont. Der sozialistische Charakter des politischen Systems Kubas wird als un­widerruflich bezeichnet, allerdings wird auf die Zielvorgabe der »kommunistischen Gesell­schaft« verzichtet. Gleichwohl will die PCC an ihrem Namen nichts ändern, auch soll sie die einzige zugelassene Partei des Landes bleiben. An der Vormachtstellung der aktuellen Machtelite, so das deutliche Signal, wird auch in Zukunft kein Weg vor­beiführen.

Eine wichtige Neuerung betrifft die Struk­tur der Führung von Partei und Staat: Hier folgt die PCC dem Muster eines »ab­geschwäch­ten Präsidentialismus«: Das Amt des Premierministers soll wieder eingeführt werden. Er soll vom Präsidenten bestimmt und von der Asamblea Nacional bestätigt wer­den. Dem Regierungschef obliegen die Lei­tung des Ministerrats und Exekutivkomitees und die Kontrolle der nationalen und loka­len Administrativinstitutionen. Das neue Amt, so die Erwartung, soll die sozialistischen Institutionen stärken und die Fokus­sierung auf eine Person, wie sie zu Zeiten Fidels betrieben wurde, obsolet machen. Zudem wird festgelegt, dass dem Staatsrat, der als Organ der Nationalversamm­lung zwischen den Parlamentssitzungen die fak­tische legislative und exekutive Gewalt inne­hat, nicht mehr der Staatspräsident sondern der Präsident der Nationalversammlung vorsitzt. Damit wird der Versuch unternom­men, Exekutive und Legislative miteinander institutionell zu verschränken, um die Akku­mulation von zu viel Entscheidungsmacht beim Staats­präsidenten zu verhindern. Indes ist dieses auf eine kollektive Füh­rung hin zugeschnittene Modell der Macht­verteilung auf drei Ämter ein Konstrukt, das gegenseitige Blockaden und Macht­konkurrenzen befördern kann, wenn die steuernde Hand Raúl Castros eines Tages wegfallen sollte. Auch die weiteren Verfas­sungsänderungen wie die Beschränkung der Zahl der Amtsperioden und der Alters­grenzen für den Amtseintritt sind weniger Ausdruck von Zweifeln am sozialis­tischen System, sondern eher des Willens, die Insti­tutionen gegen Tendenzen zur Al­lein­herr­schaft abzusichern.

Am Ende des Prozesses soll der Verfassungsentwurf in einem Referendum ab­gesegnet werden. Zuvor jedoch werden seit dem 13. August und noch bis zum 15. No­vember 2018 sogenannte consultas abgehalten. In diesen Befragungen dürfen die kuba­nischen Bürgerinnen und Bürger Vorschläge zu Veränderungen an dem Entwurf vor­bringen. Dazu finden landesweit Veranstal­tungen in den Gemeinden und im Ausland statt. Einer der Sprecher der politischen Opposition, Guillermo Fariñas Hernández, hat allerdings bereits kritisiert, dass durch die Öffentlichkeit der Diskussion über den Verfassungsentwurf jegliche Kontroverse unterdrückt werde. Auch kritische Demons­trationen wurden bereits verboten und der Oppositionelle José Daniel Ferrer García zu Beginn einer solchen consulta verhaftet. Es besteht der Verdacht, dass man mit den con­sultas lediglich den Eindruck von Legitimität vermitteln wollte.

Díaz-Canel strebt jedoch offenbar eine Belebung der Kommunikation zwischen Volk und Regie­rung an, insbesondere durch die sozialen Medien. Dafür hat er jetzt sei­nen eigenen Twitter-Kanal eingerichtet. Um die Kluft zwischen Stadt und Land zu schlie­ßen, will er zudem die Provinzen stär­ker in politische Entscheidungen ein­bezie­hen und damit vom Zentralismus zumindest partiell abrücken.

Miguel Díaz-Canel: Reformer oder Bewahrer der Revolution?

Dass der neue Präsident auf einer Linie mit Raúl Castro ist, kann nicht überraschen. Sein Aufstieg scheint wie aus dem Partei­bilderbuch: Vom Engagement in der Jugend­organisation über Posten in der Provinz führte ihn sein Weg bis ins Politbüro. Sein pragmatischer Stil und sein technokratischer An­satz bei der Bearbeitung von Pro­blemen decken sich mit dem Geist, der die neue Verfassung durchweht. Die Frage, wie weit sein Mut zum Wandel reicht, ist nur mit Blick auf die künftige Rolle Raúl Castros zu beantworten. Die Öffnung Kubas wird auch er nur sehr vorsichtig und in kleinen Schritten verfolgen. Das Primat der Partei und die Bewahrung des Systems sind dabei die begrenzenden Leitplanken. Zudem ist der Sicherheitsapparat die Schaltzentrale im Land. Hier dürfte das größte Problem Díaz-Canels liegen: Er hatte in der Vergangenheit kaum Kontakt zu diesem mächtigen Akteur und ihm fehlen somit Zugänge, um später einmal als möglicher Oberbefehls­haber auf diesen einwirken zu können. Zu­dem hat der Sohn Raúl Castros, Alejandro Castro Espín, als Leiter des Sicherheitsdiensts eine nicht unbedeutende Rolle in diesem Apparat. Ob Díaz-Canel unabhän­giger von der Castro-Familie regieren kann, wird von seinen politischen Fähigkeiten und wirtschaftlichen Erfolgen abhängen. Deshalb sollte der Einfluss des neuen Präsidenten nicht überschätzt werden. Die eigentliche Bewährungsprobe beginnt für ihn mit dem Ableben Raúl Castros oder dessen wirk­li­chem Ausscheiden aus dem politischen Ge­schäft. So lange wird sich in Kuba die Politik der zaghaften Erweiterung von Freiheits­spielräumen, aber auch der Repression fort­setzen. Der kubanische Transitionsprozess ist mit der Amtsübernahme durch Miguel Díaz-Canel nur in eine neue Phase getreten, die eigentliche Nagel­probe für seine Trag­weite und Nachhaltigkeit steht noch aus.

Prof. Dr. Günther Maihold ist Stellvertretender Direktor der SWP. Amelie Heindl ist Praktikantin der Institutsleitung.

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