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Kampf gegen Terrorismus

Katalysator für einen Wandel der NATO und eine sicherheitspolitische Zukunft gemeinsam mit Rußland

SWP-Studie 2002/S 28, 15.08.2002, 23 Seiten Forschungsgebiete

Das Wechselverhältnis zwischen der veränderten Bedrohungssituation, der sicherheitspolitischen Westorientierung Rußlands und den zukünftigen Anforderungen und Erwartungen an die atlantischen Bündnisbeziehungen sowie ihren Entwicklungsoptionen, wird hier in der Absicht betrachtet, kurzfristig Wichtiges von langfristig Wesentlichem zu unterscheiden. Die einzelnen Bestandteile des Gesamtbildes werden dabei jedoch nur insoweit in den Blick genommen, wie es für die Erörterung einer gemeinsamen sicherheitspolitischen Zukunft mit Rußland erforderlich erscheint. Aus den Widersprüchen und offenen Fragen werden folgende Schlußfolgerungen gezogen:

  • Der 11. September 2001 hat angesichts der Dimension sicherheitspolitischer Gefahren noch einmal drastisch verdeutlicht, daß Zusammenarbeit mit Rußland keine Angelegenheit ist, die sich allein institutionell regeln läßt. Sie bedarf - will sie Terrorismus in einem umfassenden Sinne angehen - breiter (gesellschafts)politischer Übereinstimmung.
  • Die NATO ist weniger denn je eine statische Größe. Der Prozeß ihres Wandels verändert auch die Bedingungen einer Zusammenarbeit mit Rußland. Aus der Sicht russischer Interessen ist vor allem von zwei, in ihrer Bedeutung für die russische Politik unterschiedlichen Entwicklungen auszugehen: Die verteidigungspolitische Rolle der NATO für Europa tritt zusehends in den Hintergrund; die Allianz verstärkt hingegen ihr Profil als politisches Konsultationsforum und vermindert dadurch das russische Interesse an der OSZE.
  • Die unilateralistischen Neigungen amerikanischer Politik sind kein ausdrückliches Spezifikum der amtierenden Administration. Sie reflektieren die sich seit dem Ende des Ost-West-Konflikts verändernde sicherheitspolitische Konstellation ebenso wie die Natur von Gefahren, die einer gemeinsamen Antwort durch ein Militärbündnis ungleich weniger zugänglich sind als ein territorialer Angriff. Insofern ist es wenig wahrscheinlich, daß die NATO zu den festen Formen zurückfinden kann, die sie vier Jahrzehnte lang geprägt haben.
  • Seit dem Krieg gegen Jugoslawien wird immer wieder davon gesprochen, daß sicherheitspolitische Aufgaben in der Atlantischen Allianz zunehmend arbeitsteilig wahrgenommen würden: Die USA erledigen den militärischen Part; die europäischen Bündnispartner betreiben die zivile Nachsorge. Jenseits dieser clichéhaften Wahrnehmung geht es jedoch letztlich um die Divergenz von Strategien, mit denen "Gefahren der neuen Art" zu begegnen sei. Insofern sind die transatlantischen Dissonanzen auch Ausdruck einer Wertedebatte. Mit Nachrüstung allein ist ihr jedenfalls nicht Genüge getan.
  • Ohne Investitionen aus dem Westen ist eine wirtschaftliche Modernisierung Rußlands nicht zu haben. Putin ist gewillt, dafür einen außen- und sicherheitspolitischen Preis zu zahlen. Eine wirtschaftliche Liberalisierung, gefördert und begleitet von Vorleistungen des Westens und umfassende sicherheitspolitische Kooperationsbereitschaft sind jedoch keine siamesischen Zwillinge. Es gilt folglich darauf zu achten, daß in der Politik gegenüber Rußland der Zusammenhang zwischen beiden Bereichen gewahrt wird.
  • Die USA sind in Fragen von strategischer Bedeutung für Rußland ein unumgänglicher Adressat. Ob sie darüber hinaus auch ein jederzeit verläßlicher Partner sind, ist dagegen nicht sicher. Die stärkeren emotionalen Bindungen russischer Politik bestehen zu Europa. Sie vor allem in sicherheitspolitischen Fragen - etwa im Bereich der Petersberger Aufgaben - mit Substanz zu füllen ist eine europäische Zukunftsaufgabe, die allerdings ein deutlicheres Profil einer ESVP voraussetzt.