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Koordinatoren an der Spitze

Politische Führung in den reformierten Strukturen der Europäischen Union

SWP-Studie 2011/S 08, 11.04.2011, 38 Seiten Forschungsgebiete

Die Studie analysiert, welche Auswirkungen die institutionellen Reformen des Lissabonner Vertrags auf politische Führung in der EU haben. Die Einführung eines ständigen Präsidenten im Europäischen Rat und die Aufwertung des Amtes der Hohen Vertreterin in der Außen- und Sicherheitspolitik sollten die EU in eine Phase neuer Handlungsfähigkeit führen. Doch der Blick auf ein Jahr Lissabonner Wirklichkeit zeigt, dass politische Führung in der EU eher komplexer geworden ist. Um die neuen Ämter sind zwar Koordinationszentren entstanden, doch verfügen sie vornehmlich über weiche Führungsinstrumente. Zugleich erheben der weiterbestehende rotierende Ratsvorsitz, die (großen) Mitgliedstaaten sowie Kommission und Europäisches Parlament ebenfalls Führungsansprüche.

In den EU-Entscheidungsprozessen haben die neuen Führungsämter bislang vornehmlich bei der Organisation von Verhandlungen und bei der Vermittlung eine Rolle gespielt. Die Auswirkungen auf das institutionelle Gleichgewicht der EU sind dennoch enorm. Insbesondere der Europäische Rat wird von seinem Präsidenten zielgerichtet zum Impuls- und Leitungsorgan ausgebaut, das die wegweisenden Entscheidungen für alle Bereiche der EU vorgibt. Diese Entwicklung ist durch die außerordentlichen Umstände der Eurokrise zusätzlich verstärkt worden, trifft aber besonders beim Parlament auf Widerstand. Das erste Jahr der Hohen Vertreterin war geprägt vom Machtkampf um den Aufbau des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Der ersten Amtsträgerin ist es bisher nicht gelungen, sich mit eigenen Initiativen ein außenpolitisches Profil und das notwendige Vertrauen der Mitgliedstaaten zu erarbeiten. Anstatt die Funktion einer »europäischen Außenministerin« zu erfüllen, entwickelt sich das Amt eher zu einer Hohen Koordinatorin mit begrenzter Außenwirkung.