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Der Stabilitäts- und Wachstumspakt: Testfall "blauer Brief"

Arbeitspapier 40, 15.03.2002, 6 Seiten

Elke Thiel

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt: Testfall „blauer Brief“

Aktueller Anlaß

Am 30. Januar richtete die Europäische Kommission an den Rat die Empfehlung, gegenüber Deutschland und Portugal eine frühzeitige Warnung auf der Grundlage der Verordnung 1466/97 des Stabilitäts- und Wachtumspaktes auszusprechen. Für beide Länder stellte die Kommission ein steigendes Defizit der öffentlichen Haushalte fest, das sich der im Maastricht-Vertrag festgelegten Obergrenze von 3% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu nähern drohte. Es war das erste Mal, daß das Frühwarnsystem in Kraft gesetzt werden sollte. Deutschland hat mit einer haushaltspolitischen Selbstverpflichtung eine diesbezügliche Entscheidung im Rat abgewendet.

Aus Sicht der Beteiligten wurde der Pakt dadurch nicht verletzt. Diese Aussage wird daran zu messen sein, ob Deutschland die abgegebene Selbstverpflichtung erfüllt. Mit der Abwandlung des Verfahrens der Frühwarnung wurde schon beim ersten Anwendungsfall ein Präzedenzfall geschaffen, auf den sich andere Eurostaaten in schwierigen Haushaltssituationen berufen können. Die nie ganz verstummte Debatte, ob der auf deutsche Initiative geschlossene Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht weniger restriktiv gestaltet werden müsse, hat neuen Auftrieb erhalten. Zugleich verstärkt sich der Eindruck, daß die großen Mitgliedstaaten die Regeln der EU nach ihren jeweiligen Eigeninteressen auslegen.