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Der Vertrag über den Offenen Himmel

Ein Konzept zur Aktualisierung des Vertrages

SWP-Studie 2002/S 21, 15.06.2002, 27 Seiten Forschungsgebiete

Noch 1992 erschien der Vertrag über den Offenen Himmel revolutionär - heute ist er in Vergessenheit geraten. Daran haben auch die jahrelang von der NATO geforderte Ratifikation Rußlands, im März 2001 endlich durchgeführt, und das Inkrafttreten am 1. Januar 2002 wenig geändert. Dieser Vertrag, der Bestimmungen über die Beobachtung aus der Luft durch militärische Aufklärungsflugzeuge zwischen Vancouver und Wladiwostok enthält, war vor zehn Jahren noch ein Signal für den politischen Umbruch, für die Bereitschaft zu kooperativer Sicherheitspolitik, Offenheit und Transparenz.

Der Begriff "Offener Himmel" verspricht uneingeschränkte Aufklärung aus der Luft, ein Versprechen, das der Vertrag nicht halten kann. Geprägt von der Furcht vor Spionage, ist er entsprechend einschränkend, bürokratisch und ineffizient. Zudem ist während des letzten Jahrzehnts mit der kommerziellen Satellitenindustrie eine überzeugende Konkurrenz herangewachsen, die Bilder von allen Teilen der Erde verkauft, von deren Güte man vor einem Jahrzehnt noch nicht zu träumen wagte. Vertrauensbildung in der vorgesehenen Form ist nicht mehr erforderlich, effektive Aufklärung nicht möglich, der "Offene Himmel" durch viele Satelliten ohnehin garantiert - was soll mit diesem Vertrag geschehen?

Wäre er nicht erst vor kurzem in Kraft getreten, würden nicht eine Reihe von Staaten sich um Mitgliedschaft bewerben, hätte Europa nicht gerade die Bush-Administration dafür getadelt, den Vertrag zur Begrenzung der strategischen Raketenabwehr zwischen den USA und der Sowjetunion von 1972 (ABM-Vertrag) in das Archiv verbannt zu haben - dieser Vertrag würde als unzeitgemäß, unbrauchbar und überholt in der Schublade mit der Aufschrift »Nachlaß des Kalten Krieges« verschwinden.

Das wäre hinzunehmen, wenn die Umsetzung des Vertrages ruhen, auf die richtige Gelegenheit warten und kein aktives Handeln erfordern würde. Der OH-Vertrag verlangt jedoch nationales und internationales Engagement, er verlangt den Einsatz von Soldaten und Flugzeugen mit kostspieliger Sonderausstattung, den Austausch von Informationen und die gemeinsame Verhandlung politischer und technischer Vorschriften zwischen den Vertragsstaaten. Das alles kostet viel Geld, insbesondere für einen Vertragsstaat wie Deutschland, der nicht einmal mehr ein Beobachtungsflugzeug besitzt, um damit, wie im Vertrag vereinbart, ein Beobachtungsteam bis Wladiwostok fliegen zu lassen. Neubeschaffung eines nationalen Beobachtungsflugzeugs oder Gemeinschaftsprojekt mit einem oder mehreren Staaten oder nur die gelegentliche Anmietung eines geeigneten Flugzeugs - alle Aufwendungen müssen sicherheitspolitisch Sinn ergeben und auch in einer Zeit der knappen Kasse für den Verteidigungshaushalt vertretbar sein.

Was ist jedoch zu tun, wenn die Analyse zu dem Schluß führt, daß das Ziel des OH-Vertrages nicht mehr zeitgemäß ist? Ein neues Vertragsziel ist zu entwickeln, das diese Bedingung erfüllt. Der Vertrag muß aktualisiert und entbürokratisiert werden, auf die Themen ausgerichtet, die Sicherheitspolitik heute bestimmen: regionale bewaffnete Konflikte, das Verhindern der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Kooperative Beobachtungsflüge von Vancouver bis Wladiwostok sind heute nur noch sicherheitspolitisch attraktiv, wenn sie relevante und aktuelle Fragestellungen beantworten und nicht nur der Einübung einer Routine dienen.

Die deutsche Bundesregierung hat gute Gründe, in diesem Bereich aktiv zu werden: Sie war eine der treibenden Kräfte für das Zustandekommen des OH-Vertrages Anfang der 90er Jahre. Das Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr hat über viele Jahre vertragsrelevante Expertise erworben und international zu deren Verbreitung beigetragen. Letztlich sind Deutschland und einige andere europäische Staaten den USA den Beweis schuldig, daß es möglich und nützlich ist, einen Rüstungskontroll-Vertrag, der noch im Geiste des Kalten Krieges entstanden ist, zu modernisieren und ihn den Bedürfnissen einer Sicherheitspolitik nach dem 11. September 2001 anzupassen.

Diese Studie schlägt ein Konzept zur Aktualisierung des OH-Vertrages vor. Sie empfiehlt zudem der Bundesregierung, in der Europäischen Union einen gemeinsamen Standpunkt im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik für die Modernisierung des OH-Vertrages herbeizuführen. Ziel sollte sein, intensive Verhandlungen dazu in der Beratungskommission "Offener Himmel" in Wien zu führen.