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Putin als Verwalter des russischen Problemstaus

Vladimir Putin wird in seinem dritten Präsidentenmandat kaum mehr als die Verwaltung des Problemstaus leisten können und wollen, meint Hans-Henning Schröder.

Kurz gesagt, 05.10.2011 Forschungsgebiete

Unter Vladimir Putins nächster Präsidentschaft wird sich Russlands Außenpolitik nicht ver­ändern. Wenig Bewegung wird es auch in der Innenpolitik geben, und das führt, wie Hans-Henning Schröder meint, zur weiteren Entfremdung zwischen der Bevölkerung und der Führung.

Das Selbstverständliche vorweg: Russlands Außenpolitik wird sich nicht ändern. Warum sollte sie es auch? Unter Medwedew wie unter Putin hat Russland seine nationalen Interessen verfolgt. Der russischen Führung geht es darum, den Status als internationaler Akteur mit Sitz im UN-Sicherheitsrat und als nukleare Großmacht zu wahren, sich als Hegemon im postsowjetischen Raum durchzusetzen und die gutnachbarliche Beziehungen zur Europäischen Union, dem wichtigsten Wirtschaftspartner, fortzuentwickeln, ohne allzu viele Zugeständnisse zu machen. Diese Ziele wird auch Putin in seiner dritten Amtszeit verfolgen. Für eine Umorientierung gibt es keinen Anlass, zumal sowohl die USA wie die EU in den letzten Jahren kein besonderes Interesse gezeigt haben, die Beziehungen zu Russland neu zu gestalten.

Viel relevanter ist die Frage, wie es in Russland selbst weitergehen wird. Denn hier haben sich die Probleme angestaut. Putin selbst hat in seiner zweiten Amtszeit (2004-2008) zwar das Regime stabilisiert, ist die schwierigen sozialen und ökonomischen Fragen aber nicht ent­schieden angegangen. Sein Nachfolger Medwedew hat das im Herbst 2009 mit seiner Moder­nisierungskampagne nachzuholen versucht, scheiterte jedoch an der mangelnden Unterstüt­zung durch die Eliten, die kein Interesse an wirklichen Änderungen haben. Die sozialen Ge­gensätze, die unzureichende Gesundheitsversorgung, die Abhängigkeit der Wirtschaft von Rohstoffexporten, die technologische Rückständigkeit und die Korruption in Politik und Verwaltung – keines dieser Probleme wurde einer Lösung zugeführt.

Das ist ab Mai 2012 wieder Putins Aufgabe. Und die Rahmenbedingungen haben sich nicht verbessert. Die russische Wirtschaft ist durch die Finanzkrisen von 2008 und 2011 geschwächt, die Armut ist angestiegen, in der Bevölkerung wächst der Unmut. Die neuen Mittelschichten, in den Jahren der hohen Ölpreise entstanden, wollen Sicherheit und sehen sich politisch nicht vertreten. Angesichts des Reformunwillens der Eliten nimmt die allgemeine Frustration zu. Mehr als ein Fünftel der Bevölkerung spielt mit dem Gedanken zu emigrieren.

Um die Optionen Putins richtig einzuschätzen, muss man sich vor Augen halten, in welchem Rahmen der russische Präsident agiert. Im Grundsatz muss er drei Aufgaben lösen:

 

  • Er muss die relevanten Elitengruppen im Gleichgewicht halten und für einen Interessen­ausgleich zwischen ihnen sorgen. Nur wenn es gelingt, das Elitenkartell zusammenzuhalten, wird es ge­lingen, die politische Hegemonie der reichen Minderheit über die Masse der Gesellschaft zu wahren. Putin und Medwedew haben diese Moderatorenrolle in all den Jahren seit 2000 erfolgreich ausgeübt.

  • Der Präsident muss aber auch die Gesellschaft integrieren und die Vorstellung bedienen, der Staat sei für alle Bürger da. Putin hat dies in zwei Amtszeiten erfolgreich getan – er war und ist der einzige Politiker, dem eine Mehrheit der Bevölkerung vertraut. Da das Vertrauen in Institutionen in Russland gering ist – für Parteien, Polizei, Gerichte, Parla­ment und Beamte haben die Massen nur Verachtung übrig –, ist das Vertrauen zur Person Putin das einzige Element, das die Bevölkerung an die Führungseliten binden kann.

  • Schließlich muss der Präsident eine ganze Reihe von politischen, sozialen und ökonomi­schen Problemen lösen. Dazu gehören die Reform der sozialen Sicherungen und des Gesundheitswesens, die Bekämpfung der Armut und die Abschwächung der sozialen Ge­gensätze, der Ausbau der Infrastruktur, der Ausbau von Bildung, Wissenschaft und For­schung auf einem international konkurrenzfähigem Niveau und parallel dazu die Schaf­fung einer leistungsfähigen verarbeitenden Industrie, um die Abhängigkeit von Energie­exporten zu verringern.

Die ersten beiden Aufgaben hatte Putin in seinen bisherigen Amtszeiten (2000-2008) souverän gelöst. Sein Geschick als Moderator und eine ebenso erfahrene wie skrupellose PR-Abteilung haben ihm dabei geholfen. Mit der dritten Aufgabe – die Lösung der wirklichen sozialen und wirtschaftlichen Probleme – hat er sich dagegen schwer getan. Nun, in der der dritten Amtszeit, die sechs Jahre dauern wird, kann er dem nicht mehr ausweichen. Doch dazu muss er sich entscheiden: höhere Ausgaben im Sozial- und Gesundheitsbereich weichen die Währung auf, die Einschränkung von Korruption entzieht Politikern und Beamten ihre Ne­beneinkünfte, ein funktionierendes Rechtssystem schränkt den Einfluss der Machtapparate, der »Dienste«, ein. Eine konsequente Reformpolitik gefährdet also die Geschlossenheit des Elitenkartells. Der Verzicht auf wirksame soziale und ökonomische Reformen wiederum führt zu einer weiteren Entfremdung zwischen Führung und Bevölkerung.

Putin steht also vor demselben Dilemma, das Medwedew nicht überwinden konnte. Putin selbst ist sicher eine politische Figur von mehr Gewicht als Medwedew. Die Wahl Medwe­dews als Ministerpräsident deutet aber darauf hin, dass Putin den Kompromiss sucht. Ein Schwergewicht wie der frühere Finanzminister Aleksei Kudrin als Ministerpräsident hätte für eine konsequente Wirtschafts- und Finanzpolitik gestanden, Medwedew, Putins ewiger Büro­chef, steht für den Mittelweg. Ob es auf diese Weise gelingt, die Strukturprobleme der russi­schen Wirtschaft zu lösen, kann bezweifelt werden. Für ernsthafte Reformen des politischen Systems, für mehr Wettbewerb und eine Kontrolle der Exekutive durch Gesellschaft und Par­lament stehen weder Putin noch Medwedew. Dafür gibt es in den Eliten auch keine Unterstützung. Die neue Putin-Adminstration wird also den Reformstau verwalten.