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Griechenland: Grünes Licht für die zweitbeste Lösung

Im Streit um den richtigen Weg für die Griechenland-Rettung hat sich wieder ein halbherziges Konzept durchgesetzt. Dieses "Durchwursteln" wird deutlich teurer, als es ein Schuldenschnitt wäre, meint Ognian Hishow.

Kurz gesagt, 27.11.2012 Forschungsgebiete

Im Streit um den richtigen Weg für die Griechenland-Rettung hat sich wieder ein halbherziges Konzept durchgesetzt. Dieses "Durchwursteln" wird deutlich teurer, als es ein Schuldenschnitt wäre, meint Ognian Hishow.

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen der Eurogruppe und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über das weitere Vorgehen bei der Zahlungskrise in Griechenland sind vorerst beigelegt. Mit den beschlossenen Maßnahmen hoffen die Beteiligten, das südeuropäische Land auf einen nachhaltigen Stabilitätspfad zu bringen und in die Lage zu versetzen, seinen Schuldendienst zu leisten. Zugesagt wurde eine Soforthilfe von knapp 44 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln, wobei gut die Hälfte für die Stützung des griechischen Bankensystems vorgesehen ist. Das ist sinnvoll, weil die Banken bei einer Rückkaufaktion auf 70 Cents pro Euro ihrer Forderungen gegenüber Athen verzichten sollen. Ein weiterer Teil - etwa 5 Prozent des BIP - soll in den griechischen Haushalt fließen. Die Schuldenquote soll langfristig auf 124 Prozent des BIP reduziert werden.

Doch Athen ist auch nach der Einigung weit entfernt von mehr Wachstum und einem geringeren Haushaltsdefizit. Stünde Griechenland allein da, wäre alles halb so schlimm; es ist aber in guter Gesellschaft mit den anderen PIIGS-Partnern. PIIGS steht für die überschuldeten Sorgenkinder der Eurozone Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien. Beunruhigend ist, dass diese Liste länger zu werden scheint. Der nächste Anwärter könnte Frankreich sein. Während sich der Kreis der Überschuldeten erweitert, hat das hektische Dauermanagement der Schuldenkrise bislang nicht die erhoffte Wende gebracht. Der neueste Vorstoß ist dabei nur ein weiterer Teil des Flickenteppichs unzureichender Maßnahmen.

Die Herbstprognose von Eurostat für 2013 beziffert die zu erwartende Schuldenquote der PIIGS-Staaten mit jeweils 123, 122, 127, 188 und 93 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung. Rein rechnerisch wäre angesichts dessen ein Schuldenerlass rational - wenn ein Land budgetmäßig überfordert ist, soll seine Schuld so nachhaltig reduziert werden, dass der Haushalt ausgeglichen werden kann oder sogar Überschusse erzielt.

Der Vorschlag des IWF aber ist von den Euro-Finanzministern abgelehnt worden, weil mit einem Schlag große Summen bereitgestellt werden müssten. Stattdessen versuchen die Finanzminister, den Sorgenkindern mit einer Kombination aus weiteren Krediten und Einsparungen im Haushalt zu Wachstum zu verhelfen. Auch Selbsttäuschung ist im Spiel: Deutschland würde an der griechischen Schuld verdienen, heißt es vielfach, weil Athen ja Zinsen überweise. Das aber ist nur möglich, weil frisches, unter anderem von Berlin verbürgtes, Geld nach Griechenland fließt.

Dauertransfers sind langfristig teurer als ein Schuldenschnitt

Ein Gesundsparen jedoch ist speziell bei Griechenland und Portugal (indessen wohl auch bei Spanien) kaum möglich. Stagnieren oder sinken in einer Volkswirtschaft der Privatverbrauch und die Exportnachfrage, erzeugt ein immanenter Mechanismus - der Einkommensmultiplikator - aus Sparmaßnahmen des Staates einen weiteren Rückgang der Wirtschaftsleistung und damit neue Haushaltsdefizite. Diese Multiplikatorwirkung kann weder ausgeschaltet noch "ausgetrickst" werden. Nur wenn z.B. der Export steigt und/oder die Binnennachfrage anzieht, können Haushaltskonsolidierungen erfolgreich sein. In Irland besteht Hoffnung, dass dies eintritt; auch Italien mit seiner diversifizierten Industrie könnte der Schuldenfalle aus eigener Kraft entkommen. Nicht so die restlichen PIIGS. Immerhin gereicht Spanien eine kleinere Schuldenquote zum Vorteil.

Was ist demnach zu tun? Zunächst ist festzustellen, dass Staaten im Unterschied zu Privaten ihre Schulden nicht zurückzahlen müssen. Sie sollten lediglich ihre Schuldenquote verringern, indem sie die Zinsen bedienen und die Hauptschuld refinanzieren. Haushaltsdefizite sind erlaubt, aber sie sollten eine genau errechnete Obergrenze nicht überschreiten. Liegen die Defizite oberhalb dieser Grenze, klafft eine Nachhaltigkeitslücke und die Schuldenquote wächst.

Vor diesem Hintergrund scheint der griechische Fall am klarsten zu sein: Athen kann ohne einen Schuldenschnitt nicht von seinem immensen Schuldenberg heruntergekommen, zumal es für Wachstum sorgen und den Abbau der Arbeitslosenrate von offiziell 24 Prozent vorantreiben muss. Auch 2013 müssen die Staatsausgaben um weitere 21- 22 Mrd. Euro gekürzt werden. So groß nämlich ist die Nachhaltigkeitslücke, die ca. 10 Prozent des BIP beträgt - und dies nach Einrechnen der 10,6 Mrd. an neuen Hilfsgeldern, die dem Haushalt zugutekommen. Sie muss geschlossen werden, damit ein Abbau der Schuld einsetzt. Die Nachhaltigkeitslücken Spaniens, Irlands und Portugals betragen jeweils 5,6 Prozent, 4,6 Prozent und 3,9 Prozent des BIP, wobei es Irland im Unterschied zu Spanien und Portugal gelingen dürfte, ein positives reales Wachstum zu erzielen.

Auf dieser Grundlage wird Griechenland (und wohl auch Portugal), ohne dass dies offen benannt wird, immer mehr zum Empfänger in einer "temporären Transferunion". Dem Land werden bereits Zinszahlungen erleichtert; zudem ist die Reformperiode bis 2022 verlängert worden. Nun sind weitere Hilfen vereinbart worden. All diese Maßnahmen vermögen es nicht, Griechenland in die Lage zu versetzen, seine Schuldenquote nennenswert zu verringern. Entsprechend dürften immer weitere Hilfen benötigt werden. Es sei denn, es wird ein Schuldenschnitt beschlossen.

Die Kosten eines Schuldenschnitts lassen sich schätzen. Athen wäre in der Lage eine Schuldenquote von 70 bis 75 Prozent des BIP zu tragen, da der marktrelevante Zinsdienst dann bei etwa 4 bis 5 Prozent des BIP und 9 bis 10 Prozent der Staatsquote liegen würde. Deutschland müsste etwa ein Drittel des zu erlassenden Betrages von ca. 200 Milliarden Euro übernehmen, was seine Schuldenquote einmalig um 2,2 Prozent ansteigen ließe.

Eine Transferunion, wie sie derzeit praktiziert wird, dürfte langfristig deutlich mehr kosten, zumal die von der Eurogruppe angestrebte Schuldenquote von 124 Prozent des BIP für Griechenland nur dann tragbar ist, wenn die Zinsen auf die neuen Kredite dauerhaft subventioniert werden. Die Politik hat sich für den höheren Preis für die Rettung Griechenlands entschieden - womöglich, weil sich eine versteckte Transferunion besser verkaufen lässt als ein Schuldenerlass.

Der Text ist auch auf EurActiv.de und Tagesspiegel.de erschienen.